Viktoria Rebensburg:Für immer Rennsemmel

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Erleichtert in Are: Viktoria Rebensburg lässt sich nach dem Gewinn der Silbermedaille im Riesenslalom von den Teamkollegen auf Schultern tragen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Rebensburg stammt noch aus einer Zeit, als Winter lang waren und Kinder im Skiclub. Nach ihrer Silberfahrt fragen sie sich beim DSV: Wie lange bleibt ihre Vorfahrerin noch dabei? Und finden sie eine neue?

Von Johannes Knuth, Are

Ein kleines bisschen ziviler Ungehorsam hat noch selten geschadet, Viktoria Rebensburg hat die entsprechende Episode aus ihrer Kindheit neulich noch mal im Gespräch erzählt: Wie ihre älteren Geschwister sich für ein Nachwuchsrennen eingeschrieben hatten, wie die kleine Viktoria unbedingt auch mitmachen wollte, aber nicht durfte, weil sie noch zu jung war. Und wie sie zu Hause dann halt kurzerhand einen Aufstand anzettelte, bis die Mutter, die ihr Kind einst beim Ski-Club Kreuth angemeldet hatte, weil man das damals halt so machte, sagte: "Dann ruf halt den Trainer an, ob du mitfahren darfst." Und dann fuhr Rebensburg natürlich mit.

Viele Skifahrerkarrieren nehmen ihren Lauf, weil die Eltern ihre Kinder anschieben; oft rutschen Vater oder Mutter später noch im Weltcup am Hang entlang. Bei Rebensburg war es umgekehrt. Rebensburg schob sich erst einmal selber an.

Der sog. "Tirolberg" am Donnerstagabend, der Sammelpunkt der Österreicher bei dieser Ski-WM in Schweden, hier ist die Skination noch jeden Abend Skination. Auch Rebensburg drehte hier noch eine Ehrenrunde, knapp drei Stunden, nachdem sie Silber im Riesenslalom und damit die erste deutsche Medaille in Are gewonnen hatte: rhythmisches Klatschen, Fotos mit den Mittermaiers und Neureuthers, die kurz zuvor angereist waren, die Rosi, der Christian, die Miri und der Felix, dem der Kopf schon wieder brummte von einem Trainingssturz. Später erzählte Rebensburg noch mal von ihrer Silberfahrt, und als sie fertig war, lächelte sie wie eine, die mit sich im Reinen ist: "Mir war wichtig, dass ich sagen kann: Ich habe hier in jedem Rennen alles gegeben", im Super-G, in der Abfahrt und nun im Riesenslalom. "Und dass ich als, ja ... als glücklicher Mensch heimfliegen kann." Sie habe Silber gewonnen, nicht den Weltmeistertitel verloren, betonte sie, dann wurde bei Speckknödeln und Buchteln in Vanillesoße gefeiert. Und mit einem kleinen Bier, wie Rebensburg es versprochen hatte, und später vielleicht noch mit einem kleinen mehr.

Der Weltmeistertitel: bis zur letzten Kuppe hatte es tatsächlich so ausgesehen, als könnte sie ihn an sich reißen. Als vierte Deutsche, nach Ossi Reichert, Maria Epple und Kathrin Hölzl. Und das in einem Winter, in dem Rebensburg bislang keinen Weltcup gewonnen hatte. Doch am Donnerstag hatte Rebensburg die schweren Gedanken abgeworfen, die diese Saison mit sich brachte. "Ich bin älter geworden", sagte die 29-Jährige später, das müsse ihr ja auch zugutekommen. Sie ließ sich nicht vom stürmischen Wind verrückt machen; sie wusste, wie sie ihre Ski in die aufgeweichte Piste pressen musste; sie dimmte die Nervosität vor dem zweiten Lauf herunter, nachdem sie den ersten als Schnellste beendet hatte. Und dann: vier Zehntelsekunden schneller als Petra Vlhova, bei der letzten Zwischenzeit!

Doch dann verließ Rebensburg etwas der Mut, von dem Vlhova bis zur letzten Sekunde beseelt war. Silber, 14 Hundertstelsekunden hinter der Slowakin. Der Ärger im Ziel war erst mal groß, aber Rebensburg tröstete sich später zunehmend damit, dass Vlhova die einzige gewesen war, die am Donnerstag einfach stärker war.

Und Silber an jenem Ort, an dem sie 2007 ihre erste WM bestritt - "das ist doch eine coole Story", sagte Rebensburg. Eine Story übrigens, die einiges erzählt über eine deutsche Skifahrerinnenkarriere.

Als Rebensburg vor zwölf Jahren im Ziel in Are stand, rote Backen, Platz acht im Riesenslalom, da hatte man wahrhaftig eine "Rennsemmel" vor sich. Einer ihrer ersten Trainer hatte sie so getauft, weil sie am liebsten so direkt wie möglich den Berg hinuntersauste. Das war technisch nicht piekfein, aber schnell. Und zwei Jahre nach Are war Rebensburg schon Riesenslalom-Olympiasiegerin, sie hatte da noch kein Weltcuprennen gewonnen, das gelang ihr erst im folgenden Winter. Sie habe, jedenfalls was den Verlauf ihrer Karriere angeht, damals nur einen Weg gekannt, hat Rebensburg neulich erzählt: bergauf.

Bei Nachwuchsrennen dünnen die Startlisten seit Jahren bedenklich aus

Den Gegenbeweis erhielt sie bald, und sie erlebte ihn mächtiger, als ihr lieb war: Sie stolperte in Formtiefs, in Krankheiten vor den Winterspielen 2014, wo sie doch noch Riesenslalom-Bronze gewann. Sie setzte sich mit ihrem Disziplintrainer ab, als fahre sie "in einem Team im Team", wie Alpindirektor Wolfgang Maier damals sagte. Dickkopf, dieses Etikett baumelte lange an Rebensburg, wobei es wohl eher so war: Eine gewisse Sturköpfigkeit hatte sie erst dorthin gebracht, wo sie bereits war. Und zum anderen, sagten sie im DSV damals, sei Rebensburg bald wieder vorbildlich auf den Verband zugegangen. Als Maria Höfl-Riesch kurz darauf aufhörte und Rebensburg "allein im Wind" stand (Maier), als Vorfahrerin der deutschen Frauen, zogen sie ein kleines Team um sie herum auf, mit eigenen Betreuern und Servicemann. Doch ein paar Stresstests sollten noch auf sie warten, vor allem bei der WM in St. Moritz vor zwei Jahren.

Rebensburg wurde damals Vierte im Super-G, im Riesenslalom schied sie früh aus; es war ein Tiefschlag, der ihr ein paar schlaflose Nächte bereitete. Es ist zu bezweifeln, ob man als Sportler an Niederlagen wirklich wächst. Rebensburg kam im folgenden Winter jedenfalls nicht schwächer zurück. Sie stellte ihr Konditionstraining um, beschnitt ihr Rennprogramm. Sie habe sich "fast wie ein anderer Athlet gefühlt", sagte sie: Zum einen war sie noch immer der Bauchmensch, der möglichst geradeaus den Hang hinunterrauschen wollte, zum anderen habe sie eingesehen, "dass ich bei gewissen Dingen ganz konsequent sein muss". Am Ende des vergangenen Winters hatte sie zum dritten Mal die Gesamtwertung im Riesenslalom-Weltcup gewonnen, sie wurde Vierte bei Olympia, vor einer Woche hauchdünn Vierte beim Super-G in Are. Aber große Titel gewinnt man ja oft nur unter großen Entbehrungen. Und nun?

Rebensburg, hat Alpinchef Wolfgang Maier neulich gesagt, komme ja erst ins beste Rennfahreralter. Das war zum einen richtig, zum anderen möchten sie auf ihre Vorfahrerin natürlich nicht so bald verzichten. Es ist nicht so, dass sie gerade schlecht aufgestellt wären, vor allem Kira Weidle, 22, hat sich zuletzt beachtlich entwickelt, Stefan Luitz führt weiter großes Potenzial mit sich, Thomas Dreßen wird im kommenden Winter zurückkommen - doch manche Kader und Startlisten bei Nachwuchsrennen dünnen seit Jahren bedenklich aus. Immer weniger Kinder finden den Weg in den Schnee, die Winter werden kürzer, die Rennfahrerkarrieren teurer. Früher, hat Alpinchef Maier in Are erzählt, habe man als Nachwuchstrainer seinen Plan durchgezogen, heute müsse man seine Konzepte erst mal den Eltern vorstellen, bevor man die oft gut behüteten Kinder richtig anlernen dürfe. Alles in allem, fand Maier bereits vor zwei Jahren, fehle es "so ein bisschen an Nachwuchs und Typen, die diesen Sport wirklich als Rennsport betreiben wollen", an Kindern also, die neben den Skiliften groß werden, die nicht nur Rennen trainieren, sondern auch mal durchs Gelände toben. Die Rennsemmeln also.

Bis zu den nächsten Winterspielen, hat Rebensburg vor Kurzem gesagt, werde sie wohl nicht mehr durchhalten. Das Projekt Gesamtweltcup hat sie auch stillgelegt, "solange Frau Shiffrin fährt, werden wir uns darüber eh keine Gedanken machen müssen", sagt Bundestrainer Jürgen Graller. Aber der Riesenslalom und der Super-G, die etwas kurvigere Speed-Übung, da hat er mit Rebensburg schon noch ein bisschen was vor. Er habe jedenfalls "selten eine Athletin gesehen, die für den Super-G so perfekte Voraussetzungen mitbringt", sagt Graller über Rebensburg, mit ihrer Kurvenfertigkeit und dem Rennsemmel-Gen, das sie sich zweifelsfrei bewahrt hat. Sie werden in den kommenden Jahren wohl ein bisschen die Abfahrt schleifen lassen, um das Training noch besser auf die zwei Kerndisziplinen auszurichten. Und in zwei Jahren findet schon die nächste WM in Cortina statt, dort könnte Rebensburg sich ja noch mal um das WM-Gold bemühen, das ihr noch fehlt. "Schaun mer mal", sagte sie am Donnerstag. Und klang wie eine, die schon eine Menge hinter sich hat.

Und auch ein bisschen was vor sich.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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