Manchmal ist es ganz gut, wenn der jüngere Bruder dabei ist. Auf Reisen. Der Ältere kann dann an den Jüngeren unliebsame Aufgaben delegieren. Zum Beispiel schwere Dinge schleppen. Domen Prevc übernahm am Freitagnachmittag die Sherpa-Dienste allerdings bestens gelaunt und trug lächelnd den gläsernen Siegerpokal seines 23-jährigen Bruders Peter im Zielraum von Garmisch-Partenkirchen spazieren. Der war nach dem Sieg des Neujahrsspringens und der damit verbundenen Führung in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee vor dem Deutschen Severin Freund indes schwer beschäftigt und ein gefragter Interviewpartner. Und da Skispringer ihre sperrigen Skier mit den vielen Firmenlogos nur zum Schlafengehen zur Seite legen, überlassen sie die Trophäen anderen. Freund gab sie nach seinem Sieg in Oberstdorf seinem Pressesprecher, Peter Prevc hat einen noch vertrauenswürdigeren Träger gefunden.
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Zufrieden mit Platz drei: Auf der ungeliebten Schanze gibt der deutsche Favorit die Führung in der Tournee-Gesamtwertung aber an den starken Peter Prevc ab.
Dabei ist der 16-jährige Domen Prevc in der Skisprung-Szene mehr als nur ein kleiner Bruder, er sprang in Garmisch-Partenkirchen selber mit und beendete als jüngster Teilnehmer den Wettkampf auf dem respektablen 18. Platz. Bei der Qualifikation in Innsbruck sprang er am Samstag dann am zweitweitesten. Vor der Vierschanzentournee hatte er in Engelberg sogar selbst einen Pokal gewonnen, er wurde Zweiter hinter seinem Bruder. "Da bleibt zu hoffen, dass es bis zu einem Dreifach-Sieg der Prevc-Brüder noch etwas dauert", hatte Freund damals kundgetan. In der Tat gibt es noch ein drittes Familienmitglied, den 19-Jährigen Cene. "Der konzentriert sich aber gerade auf sein Studium", erzählt Peter: "Aber auch er wird kommen."
"Seine Technik ist die effektivste. Sein Flugsystem stimmt eigentlich immer"
Für die Konkurrenz muss das wie eine Drohung klingen. Die internationalen Rivalen überfordert ja schon allein die Leistungen des Ältesten, der in dieser Saison die Szene fast nach Belieben dominiert und mit seinem aggressiven Sprungstil das Skispringen noch mal auf ein neues technisches Niveau gehoben hat. Niemand fährt vor dem Absprung mit einer tieferen Hocke an, seine breite V-Stellung in der Luft taugt für jedes Lehrbuch. "Seine Technik ist die effektivste. Sein Flugsystem stimmt eigentlich immer", findet der österreichische Vorjahressieger Stefan Kraft. Und das gilt für fast jede Schanze und alle Bedingungen.
Das kann man schon allein an seinen Ergebnissen in diesem Winter ablesen. Der Slowene aus Kranj hat vier der bisher neun Wettbewerbe gewonnen, dreimal war er Zweiter, einmal Dritter. Nur einen negativen Ausreißer erlaubte er sich mit einem elften Rang in Lillehammer. "Im Moment kann mein Selbstvertrauen auch kein schlechter Sprung zerstören", bekannte er in Garmisch-Partenkirchen, wo er vor Kenneth Gangnes und Freund gewann. Er suchte nach seinem zweiten formidablen Sprung auf die Tageshöchstweite von 136 Metern lange nach den richtigen Worten. "Das war ein unbeschreibliches Gefühl, als ich gelandet bin. Das war einer meiner besten Sprünge überhaupt in meiner Karriere."
Dabei hat er mit seinen Darbietungen schon so manche Grenzen in seinem Sport verschoben. Zum Beispiel im vergangenen Jahr im norwegischen Vikersund, als er als erster Mensch einen Flug auf 250 Meter sicher stand. Oder daheim in Planica, als die Wertungsrichter fünfmal die Bestnote 20 zückten. Peter Prevc ist ein Überflieger, einer, der schon etliche Medaillen bei Olympia oder Weltmeisterschaften gewonnen hat. Aber gleichzeitig ist er auch ein Überflieger mit Makel: Eine Goldmedaille blieb ihm bei einem Großereignis bisher verwehrt. Doch die wenigen Enttäuschungen haben ihn nicht heruntergezogen, sondern noch härter zu sich selbst gemacht. "Ich habe mich noch nie so intensiv auf eine Saison vorbereitet wie auf diesen Winter", sagt Prevc.
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Der Kleine ist noch aggressiver
Vielleicht liegt das ja auch weniger an seinem Dauerrivalen Severin Freund, gegen den er in der vergangenen Saison den Gesamtweltcup bei Punktgleichheit nur deshalb verlor, weil der Deutsche am Ende auf mehr Weltcupsiege kam, sondern vielmehr an seinem Bruder. Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster gerät beim 16-jährige Domen regelrecht ins Schwärmen: "Er ist etwas ganz Außergewöhnliches. Das ist fliegerisch wahrscheinlich das Beste, was es jemals gab. Das ist Prevc 2.0." Vielleicht muss sich bald schon sein Bruder Peter hinter ihm einreihen.
Bei den nun folgenden Springen in Innsbruck (Sonntag, 14 Uhr) und Bischofshofen (Dreikönigstag) wird der Jüngere den Älteren wohl noch nicht überrumpeln können. "Aber eine Überraschung traue ich Domen schon zu", sagt Werner Schuster. Peter Prevc würde das nicht wundern: "Es heißt ja, dass ich ungemein aggressiv abspringe. Aber Domen ist noch aggressiver." Vorerst muss der Kleine aber dem Großen noch die Pokale hinterhertragen.