Skispringen:Ein "herkömmlicher" Tournee-Sieg

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Für seine Verhältnisse fast schon ekstatisch: Der introvertierte Ryoyu Kobayashi posiert in Bischofshofen nach seinem Gesamttriumph bei der 70. Vierschanzentournee. (Foto: CHRISTOF STACHE/AFP)

Der Japaner Ryoyu Kobayashi gewinnt zum zweiten Mal die Vierschanzentournee, verpasst aber in Bischofshofen den Grand Slam. Die deutschen Springer beenden den Wettkampf wie in den Jahren zuvor - gut, aber für ganz vorne reicht es nicht.

Von Volker Kreisl, Bischofshofen

Irgendwo zwischen Schanzentisch und Systemschluss hatte ihn sein Körper ganz kurz im Stich gelassen. Die bewährte, wie im Schlaf durchgeführte Klappbewegung geriet ein wenig zu unpünktlich, zu vorsichtig, seine Flughöhe war deshalb etwas niedriger, und am Ende des Abends geschah tatsächlich das, was zuletzt kaum noch vorstellbar war: Ryoyu Kobayashi verließ den Auslauf nicht als Sieger.

Aber das galt nur für diese Schlussstation in Bischofshofen. Das, worum es hier eigentlich ging, blieb ihm: Der Japaner, der einschließlich des Weltcups in Engelberg in der Schweiz die vergangenen vier Springen gewonnen hatte - und dabei, wenn überhaupt, nur kleinere Fehler gemacht hatte -, gewann die 70. Vierschanzentournee wegen seines üppigen Vorsprunges von 24,2 Punkten, der an diesem Abend nie in Gefahr war. Was ihm aber nicht gelang, das war der Schritt in eine neue Dimension des Skispringens. Mit einem abschließenden Sieg wäre er der erste Skispringer mit zwei Tournee-Grand-Slams gewesen, also mit allen vier Siegen in Serie.

Verfolger Marius Lindvik hatte schon früh alle Chancen vergeben

So aber bleibt ihm der erste, erzielt im Januar 2019, und aktuell ein weiterer, souveräner, "herkömmlicher" Tournee-Sieg, der an diesem Abend erstaunlich früh feststand. Platz zwei in der Gesamtwertung ging an den Norweger Marius Lindvik, der seine geringe Restchance auf den Gesamtsieg bereits im ersten Durchgang mit nur 126 Metern früh vergab. Seinem Landsmann Halvor Egner Granerud gelang dagegen rechtzeitig noch ein derart großer Satz im zweiten Durchgang, dass auch die besten Springer des Deutschen Skiverbands, Karl Geiger und Markus Eisenbichler, über ihre Gesamtplätze vier und fünf nicht mehr hinauskamen.

Wurde er von Strahlen aus dem All gestoppt? Seriensieger Ryoyu Kobayashi landet im letzten Wettkampf der Vierschanzentournee nur auf Platz fünf. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Nach der Qualifikation schien zunächst alles wie immer abzulaufen - das Gros der Akteure springt und gibt sein Bestes, dann kommt Kobayashi und setzt sich noch davor. Diesmal herrschte prächtiges, kaltes Winterwetter - trockener, frischer Pulverschnee lag im Landebereich und im Auslauf, die Sicht war klar. Und die Anlaufspur erwies sich als schnell - derart schnell, dass zwischendurch von der niedrigen Luke acht gesprungen wurde, aber auch das war für den Japaner mit der überragenden Technik bislang kein Problem gewesen. War es dann vielleicht doch der Respekt vor diesem historischen Sportmoment, der ihn auf einmal auf Sicherheit setzen ließ?

Kobayashi wirkte danach ungerührt wie immer und kommentierte den Tag dementsprechend wie bei seinen Siegen: sachlich, emotionslos, ohne jedes extreme Wort, das irgendwie als respektlos gegenüber seinen Konkurrenten verstanden werden könnte. "Ich habe wirklich angegriffen", erklärte er später im Sender ORF. Und etwas traurig sei er schon, dass es nicht geklappt hatte, er sei "ein wenig müde" - andererseits, so stellte er klar, "freue ich mich auch, denn ich habe ja die Vierschanzentournee gewonnen".

Fünf Jahre ohne Sieg bei der Tournee - Daniel Huber beendet Österreichs Warten

Die rückte dann in ihrem Finale doch noch einige Nebendarsteller ins Rampenlicht, manche als überraschende Verlierer, andere als plötzliche Gewinner. Der prominenteste war Daniel Huber, der mit seinem Sieg auch gleich mehrere Geschichten schrieb. Es war sein erster Einzel-Weltcupsieg, lange war der 29-Jährige im Schatten anderer gestanden, nun erledigte er jenen Job, auf den Österreichs Skispringer gut fünf Jahre lang gewartet hatten. Denn seit dem 30. Dezember 2016 hatte das ÖSV-Team keinen Sieg mehr bei einer Vierschanzentournee erzielt. Nun gelang Daniel Huber im Finale endlich ein pünktlicher Absprung und ein gewaltiger Satz, der ihn über die grüne Linie trug und noch weiter.

Nur einer stand danach noch oben, der Oberstdorfer Karl Geiger, der schon während dieser gesamten Tournee vom Hin und Her zwischen Rückschlägen und Teilerfolgen gebeutelt wurde, der anfangs als einer der ersten Favoriten gehandelt worden war. Nun wollte er wenigstens noch einen Podesterfolg mitnehmen, wenn schon nicht im Gesamtranking, dann wenigstens in der Tageswertung. Sein Skisprunggefährte und Zimmerkollege Markus Eisenbichler hatte sich in diesen Tagen zwar aus einem längeren Tief herausgearbeitet, jedoch seinen teils kapitalen Weitflügen auch immer wieder Durchschnittssprünge folgen lassen.

Blieb also Geiger, der als letzter Springer dieser 70. Vierschanzentournee dann doch noch das Podest erklomm. Dabei hatte er es spannend gemacht - enttäuschte in der Qualifikation, die er gerade so überstand, legte dann in Durchgang eins einen fabelhaften Sprung auf 140,5 Meter vor und sicherte im Finaldurchgang wiederum mit 0,8 Punkten Vorsprung von 281,9 Zählern seinen Podestplatz ab. Mal Tiefen, mal Höhen - es war noch einmal ein Ergebnis, das das Abschneiden aller deutschen Springer bei dieser Tournee irgendwie treffend unterstrich.

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