Dass auch hochdekorierte Sportler und Sportlerinnen ihren Beruf ungerecht finden, kommt vor - insbesondere wenn dieser kaum noch Spaß bereitet. Die Oberstdorferin Katharina Schmid hat bei Olympia in Pyeongchang 2018 und Peking 2022 Silber gewonnen, zudem ist sie zweimal Weltmeisterin und einmal Dritte geworden. Darauf könnte man bauen, jedoch ist bei Schmid wie bei allen deutschen Top-Springerinnen eine schwierige Zeit angebrochen. Ein Trainerwechsel zu Saisonbeginn könnte der Grund sein, aber auch die Stärke der Konkurrenz. In diesen Tagen, da auch die Deutschen sich auf die erste, wenigstens halbe Vierschanzentournee der Frauen freuen, ist ihnen die Form verloren gegangen. Schmid etwa, geborene Althaus, aus Oberstdorf ist als Zwölfte beste Deutsche vor Anna Rupprecht, Selina Freitag und den anderen. Es mag daran liegen, dass der vorige Trainer gegangen war und der vorläufige Nachfolger Thomas Juffinger erst sein Training ordnen muss. In solchen Lagen könnte schon ein Top-Ten-Platz bei einer der zwei Stationen vieles auslösen.
Familien-Flieger
Nicht nur im Teamsport, auch in jenem fast einsamen Sport, den man allein, hoch in der Luft ausübt, gibt es nicht nur Freunde, sondern ganze Familien, die durch die Luft fliegen. In jener Zeit, in der der Slowene Peter Prevc seine Erfolgsphase hatte, viele Weltcups gewann, dazu vier Olympiamedaillen und 2016 Skiflug-WM-Gold, in jener Zeit, in der auch seine Brüder Domen und Cene leidlich erfolgreich sprangen und Pokale und Medaillen nach Hause brachten, da war ihre Schwester Nika Prevc noch im Jugendtraining. Sie wäre nicht die erste jüngere Schwester, die wegen ihrer älteren Brüder richtig Gas gegeben hat. Jedenfalls zählt die 18-Jährige nun zum Top-Trio im Frauen-Skisprung. Die großen Springerinnen setzen längst beachtliche und lange Flüge in den Schnee. Und auch Nika wird von dem großen Aufbruch mitgerissen, der das Frauen-Skispringen ein weiteres bisschen prominenter macht. Nach der Two-Nights-Tour, der ersten und wohl letzten Frauen-Tournee mit nur zwei Stationen, wird vermutlich im Hause Prevc eine weitere Medaille hängen.
Japanische Zurückhaltung
Auch im Skisprungland Japan gibt es Familien, in deren Kindern ein bestimmtes Gen zur Geltung kommt: Dieses Gen sorgt vermutlich für lange Beine, Schnellkraft in der Hocke und den Wagemut, dass sich der Genträger schon als Kind nichts dabei denkt, einfach von einer viel zu großen Schanze zu springen. Die Familie Kobayashi aus Hachimantai hat drei Skisprungsöhne und eine Skisprungtochter, den älteren Junshiro, seine Schwester Yuka, den jüngsten Sohn Tatsunao und einen gewissen Ryoyu, den Erfolgreichsten, Olympia- und Gesamtweltcupsieger. Er ist auch schon 27 Jahre alt, aber die Zeiten sind ja vorerst vorüber, in denen Teenager die Älteren übertrumpften. Ryoyu Kobayashi hat sich nun auch bei den ersten Sprüngen in diesem Winter zurückgehalten, im späteren Dezember gelangen sie ihm besser. Zwar hat er im Gesamtklassement Rückstand zur Spitze, doch die Tournee ist ja eine eigene Serie im Weltcup, eine, die den Athleten oft wichtiger ist als ein Pokal am Ende der Saison, wenn sich kaum noch einer für diese Sportler mit den langen Beinen interessiert.
Cool bleiben
Was muss passieren, damit der Skispringer Andreas Wellinger entspannt springt? Dass er den einen Schritt noch macht, den aufs oberste Treppchen, nach all seinen vielen Podestplätzen in diesem Winter? Ganz einfach, sagt Wellinger: "Gar nichts" muss passieren. Denn der Olympiasieger von Pyeongchang/Südkorea 2018 ist zufrieden. Als schlechteste Platzierung in dieser Saison steht ein vierter Rang in seiner Liste. Tatsächlich würde es an Skispringer-Hochmut grenzen, würde ein Athlet in so einer Lage, also knapp vor der Grenze zum ersten Weltcupsieg, an seiner Form herumpfuschen. Wellinger ist mit 28 Jahren noch vergleichsweise jung im Team; Pius Paschke hat neulich mit 33 seinen ersten Weltcupsieg geholt. Wellinger vertraut also auf seine Form, denn mit 28 Jahren kann man auch schon die Geduld als Tugend schätzen. Jedenfalls hat er eines begriffen: Manchmal ist es besser, nicht während der Saison einen Medaillensprung mit aller Gewalt zu einem Siegsprung machen zu wollen. Nur wenn Wellinger seinem Erfolg vertraut, dann kommt er auch.
Neues Design
Im Skispringen braucht man Mut und Zuversicht nicht nur auf der Schanze, sondern auch im Alltag. Karl Geiger war im vergangenen Winter 2022/23 nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. "Ich hatte durchaus einen guten Sprung", sagte er. Hin und wieder erreichte er sogar eine annehmbare Platzierung, aber es dauerte, bis er sein Problem endlich erkannte. Denn der Oberstdorfer ist nicht zufrieden mit "annehmbaren" Platzierungen. Geiger war ja schon Tournee-Zweiter im Jahr 2021. Der 30-Jährige grübelte also weiter, und was herauskam, ist jene Form, in der er nun springt und mit der er als zweiter Verfolger von Stefan Kraft gilt, hinter seinem Mannschaftskollegen Andreas Wellinger. Denn Geiger hat seine Form quasi neu designt. Er riss alles ein, nahm Maß und baute sie Stück für Stück wieder auf. Und auch seine Zuversicht ließ ihn nicht im Stich. Geiger hatte auch in den ersten Weltcups dieser Saison nicht brilliert, vertraute aber seinem Weg, bis die Form plötzlich da war und Geiger siegte, zweimal hintereinander.