Vielseitigkeit:Erschöpfte Pferde und nasse Reiter

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Im Galopp auf dem Weg zum Podíum: Sandra Auffarth. (Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

Wuchtige Hindernisse, unebene Strecken: Die EM zeigt, dass die Strecken in der Vielseitigkeit immer schwerer werden - auch für erfahrene Reiterinnen wie Sandra Auffarth.

Von Gabriele Pochhammer, Haras du Pin

Die Ausbeute war üppig: Silber fürs Team (126,0 Minuspunkte), Bronze für Sandra Auffarth auf Viamant de Matz, Platz vier für Christoph Wahler (Carjatan) und Rang fünf für Jérôme Robiné (Black Ice). Am Ende hatten die deutschen Buschreiter bei der EM in Haras du Pin (Frankreich) mehr erreicht, als es nach dem Ausscheiden des dreimaligen Olympiasiegers Michael Jung und Chipmunk ausgesehen hatte. Mit dem knappen Abstand von 0,2 Punkten setzte sich das Team vor die Franzosen, die auf Platz drei kamen. Die Briten hatten sich bereits nach dem Gelände einen komfortablen Vorsprung verschafft, gewannen mit weitem Abstand (103,9) den Titel. Rosalind Canter auf Graffalo und Kitty King auf Vendredi Biats gewannen Einzelgold und -silber.

Das war kein Spaziergang für die 54 Pferde und Reiter auf der Geländestrecke im hügeligen Park zu Füßen des Schlosses, das einst Ludwig XIV. gebaut hatte und das jahrhundertelang Mittelpunkt der französischen Pferdezucht war. Die Zeiten ändern sich, es gibt keinen König mehr und in Haras du Pin nur noch Kaltblüter, Esel und Maultiere. Lediglich für die jährliche große Vielseitigkeit kommen nochmal Pferde aus allen Himmelsrichtungen angereist.

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Eine Frage der Berechnung: Michael Jung hat in Luhmühlen abermals seine Ausnahmestellung als Vielseitigkeitsreiter bewiesen.

Von Gabriele Pochhammer

In diesem Jahr bei der EM wartete richtig harte Arbeit auf Reiter und Pferd, der Boden war nach tagelangem Regen schwer und klebrig. Die Strecke wurde noch morgens vor der Prüfung um fast 2000 Meter auf 4800 Meter verkürzt, eine ganze Schleife mit vier Hindernissen herausgenommen. Zeitweise wurde sogar über Abbruch nachgedacht. Das hügelige Terrain machte nicht nur vielen Pferden zu schaffen, die sichtbar erschöpft den letzten Berg zum Ziel hinaufgaloppierten.

Sandra Auffarths Versprechen ans Pferd: Die nächsten drei Monate keine Dressur

Auch mancher Reiter hatte offenbar zu wenig trainiert und konnte seinem Pferd auf den letzten Metern nicht helfen. Die Tendenz in der Vielseitigkeit zu immer kürzeren Strecken, auf möglichst perfekten federnden Böden mit schnell aufeinander folgenden Hinderniskomplexen zeigt Wirkung, besonders wenn es richtig schwer wird wie nun in der Normandie: wuchtige Hindernisse, in die Landschaft eingepasst, nicht nur in die Gegend gestellt, für mutige Pferde und Reiter, die neben dem Gesäß auch das Gehirn einsetzen. Und kaum ein Galoppsprung zu ebener Erde.

"Hier zählte jedes Kilo zu viel", sagt Chris Bartle, der Trainer der britischen Sieger, der bis 2016 das deutsche Team zu vielen Medaillen geführt hat. Er verlangt eine Top-Fitness auch von seinen Reitern. Die neue Europameisterin Rosalind Canter (37), zugleich Bartles Privatschülerin, bringt keine 50 Kilo auf die Waage. Ihr Pferd Graffalo, genannt Walter, freute sich über das Leichtgewicht auf seinem Rücken und galoppierte als einziger locker in die erlaubte Zeit von 8:18 Minuten. Das tägliche lange Training auf Gras, Sand oder hartem Untergrund, bergauf und bergab hat sich ausgezahlt.

Michael Jung war auf dem Weg zum vierten Titel. Dann lud ihn sein Wallach im Wasser ab

Nur wenige Ritte sahen so mühelos aus wie der von Canter. Etwa der von Sandra Auffarth. Für die 36 -Jährige war Haras du Pin vertrautes Terrain, hier war sie vor neun Jahren mit Opgun Luovo Weltmeisterin geworden. Diesmal saß sie auf einem anderen französischen Fuchs, dem 14-jährigen Viamant de Matz, nicht so dressurbegabt wie sein früherer Stallgefährte, aber im Gelände mit ähnlichem Potenzial. "Der Boden war noch schlechter, als ich gedacht hatte", sagte Auffarth, "es gab immer wieder plötzlich glitschige Stellen, deswegen habe ich nicht volles Risiko geritten." 13,3 Zeitfehler reichten trotzdem für das drittbeste Geländeergebnis, das Auffarth mit fehlerlosem Springparcours halten konnte. Eine für Viamant de Matz' Verhältnisse sehr gute Dressur hatte dann für den passenden Auftakt gesorgt. "Ich musste meinem Pferd versprechen, dass es drei Monate kein Dressurviereck mehr betreten muss", sagte sie. Das hat offenbar geholfen. Die Anstrengung des Cross sah man Viamant beim Vet-Check am Sonntag morgen nicht an, er hatte noch Lust zu buckeln und herumzualbern.

Auffahrt, die ja schon am Olympiagold von London 2012 beteiligt war, ist natürlich erste Wahl für Paris 2024. Ob sie danach der Vielseitigkeit verloren geht und in den reinen Springsport überwechselt, lässt sie offen. "Das hängt von meinen Pferden ab", sagt sie. "Im Moment habe ich mehr Springpferde im Stall, aber wenn ich wieder ein richtig gutes Vielseitigkeitspferd kriege, wer weiß?" Mit Mittelmaß wird sie sich nicht mehr zufriedengeben. Schon mehrfach hat sie mit vorderen Plätzen beim Hamburger Derby und seinen Pendants in Falsterbo (Schweden) und Hickstead (England) bewiesen, dass sie auch im Springsattel zuhause ist.

Für Michael Jung, der nach der Dressur in Führung lag, sah es zunächst aus, als ob er seinen vierten EM-Titel sicher nach Hause bringen würde. Doch gegen Ende der Strecke vor dem letzten Wasserhindernis strauchelte der Wallach, ging auf die Knie und lud seinen Reiter in hohem Bogen im Wasser ab. Reiter und Pferd ist nichts passiert, geblieben ist nur die nagende Frage: Warum? Hatte der Wallach den Boden nicht richtig eingeschätzt? Hatte er nicht schnell genug reagiert? Konnten seine Beine das Gewicht in dem Moment nicht halten? Bis zum Olympiajahr müsste die Frage geklärt sein.

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