Verletztes Dressurpferd Totilas:Nun lockt die Weide

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Mit nachgezogenem linken Huf: Totilas in Aachen (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Wegen einer mysteriösen Verletzung steht Wunderpferd Totilas vor dem Karriereende. Es ist nicht der erste Rückschlag.
  • Sein Werdegang erzählt von den enormen Belastungen im Reitsport.

Von Gabriele Pochhamer, Aachen

Es wird immer unwahrscheinlicher, dass der "Wunderhengst" Totilas noch einmal in den Sport zurückkehren kann. Marc Koene, der Mannschaftstierarzt der deutschen Dressurreiter, bestätigte die Diagnose einer belgischen Tierklinik, in die der 15-jährige Totilas nach seinem Rückzug von der Europameisterschaft in Aachen gebracht worden war. Die Ursache für die im Grand Prix sichtbaren, aber vom Reiter Matthias Rath nach eigenen Aussagen unbemerkten Taktstörungen ist demnach ein Knochenödem am Krongelenk des linken Hinterbeins, also innerhalb des Hufes. Das ergab die Magnetresonanztomografie (MRT), die bei Pferden erst seit kurzem in einigen entsprechend ausgestatteten Kliniken durch- geführt werden kann. Äußerlich war an Totilas' Bein nichts zu sehen oder zu fühlen. Es war weder warm noch geschwollen und auch auf die Untersuchung mit der Hufzange reagierte der Hengst nicht.

Bei einem Knochenödem bildet sich im Knochen Flüssigkeit. Es entsteht Druck im Knochen, der wiederum in den meisten, aber nicht in allen Fällen Schmerzen verursacht. Knochenödeme kommen bei menschlichen Sportlern häufig vor, so sollen die Schambeinentzündungen bei Fußballspielern, etwa bei dem Nieder- länder Arjen Robben, darauf zurückzuführen sein. Ursache kann ein Stoß sein, aber auch Überlastung oder Verschleiß. Die Behandlung ist langwierig und mit ungewissen Erfolgsaussichten.

"Eine Ruhepause über Wochen bis Monate ist angebracht", sagt Koene. Es bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass das Ödem und damit der Schmerz zurückkehre. Mit Medikamenten kann der Druck aus dem Knochen genommen werden. Ob es sinnvoll ist, ein 15-jähriges Pferd nach einer solchen Verletzung erneut anzutrainieren, will er nicht kommentieren. "Das müssen die Besitzer entscheiden", sagt Marc Koene.

Totilas gehört Paul Schockemöhle, der ihn vor fünf Jahren für angeblich zehn Millionen Euro kaufte, nachdem der Hengst unter dem Niederländer Edward Gal in Kentucky drei Weltmeistertitel gewonnen hatte. Ann-Kathrin Linsenhoff, Mannschafts-Olympiasiegerin von 1988, beteiligte sich an dem zum "Wunderpferd" hochstilisierten Rappen, um ihrem Stiefsohn Matthias Rath den Weg zu den Olympischen Spielen zu ebnen.

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Doch eine Enttäuschung reihte sich an die nächste, Ross und Reiter haben nun eine Serie von Rückschlägen und Verletzungen hinter sich. Zwar half Totilas 2011 in Rotterdam, eine Teammedaille zu gewinnen, für eine Einzelmedaille reichte es aber nicht. Im olympischen Jahr 2012 erkrankte Matthias Rath am Pfeifferschen Drüsenfieber. Im Jahr darauf fiel Totilas vom Phantom, dem Gestell, das in der Pferdezucht für den Deckakt benutzt wird, vor der WM 2014 zog er sich angeblich im Trainingslager ein Überbein zu. Und dazwischen lag der Tag, an dem Totilas beschlossen hatte, den Chef rauszukehren. Um den rebellierenden Hengst zur Räson zu bringen, wurde schließlich der umstrittene niederländische Trainer Sjef Janssen engagiert. Mit seiner Unterwerfungsstrategie, von den einen Rollkur genannt, von Janssen selbst LDR (Low, deep and round), ging Totilas wieder in der Spur.

Der fragile Gesundheitszustand des Hengstes war auch den Offiziellen, also dem Dressurausschuss unter Führung des Schockemöhle-Angestellten Klaus Roeser und der Bundestrainerin Monica Theodorescu, bekannt. Die deutsche Meisterschaft in Balve wurde Rath erlassen, stattdessen brauchte er Totilas nur in zwei Prüfungen beim internationalen Turnier in Hagen zu reiten. Offenbar rechnete niemand damit, dass das Pferd alle drei EM-Prüfungen überstehen würde: Vor Aachen musste Rath nicht ein einziges Mal seine Musikkür, in der einer von zwei EM-Einzeltiteln vergeben wird, öffentlich zeigen.

Bereits bei der Tierarztkontrolle vor dem Start in Aachen hatte es Diskussionen gegeben. Einer der beiden Veterinäre wollte Totilas in die "Holding Box" schicken, ein Areal, in dem das Pferd in Zweifelsfällen noch einmal genauer untersucht werden kann. Chefrichterin Katrina Wüst schloss sich jedoch der Meinung des zweiten Tierarztes an und erklärte das Pferd für "fit to compete", also fit genug, um zu starten.

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Wäre Totilas in Aachen statt mit 75,971 Prozent mit den erhofften - und in Hagen erreichten - 80 Prozent aus dem Viereck gekommen, hätte es zum Gold für die Deutschen gereicht, so wurde es Bronze. Den Titel gewannen die Niederländer, Silber ging an die Briten. Für Paul Schockemöhle kommt ein Comeback seines Hengstes nur in Frage, wenn Totilas tatsächlich drei Prüfungen durchstehen würde.

Doch daran mag im Moment niemand glauben, selbst Trainer Sjef Janssen nicht. Im niederländischen Fernsehen sagte er über Totilas: "Er hat ständig solche Robben-Verletzungen, eine Verletzung nach der anderen. Wir haben ihn zwar wieder in Gang bekommen, aber davon wird man total verrückt. Vielleicht müssen wir ihm seine ruhigen alten Tage gönnen."

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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