Pferde haben den Menschen einiges voraus: Sie sind unbestechlich. Sie lassen sich nicht beeindrucken von großen Namen und dicken Konten, sie sind nicht von Geltungsdrang getrieben, und die Medaillen, die ihren Reitern umgehängt werden, sind ihnen herzlich egal. Totilas hat bei der Europameisterschaft in Aachen allen, die ihn seit Jahren für ihre Zwecke missbrauchten, die Maske vom Gesicht gerissen. Zu einem hohen Preis: Denn vermutlich hatte der 15-jährige Hengst Schmerzen bei seinem hoffentlich letzten sportlichen Auftritt.
Immer wieder trat er hinten unregelmäßig auf, entlastete das linke Hinterbein bei jedem Halten, alle konnten das sehen. Erst am nächsten Tag gab Equipechef Klaus Roeser zu: "Das Pferd war nicht in Ordnung." Vorher will keiner etwas bemerkt haben, nicht Roeser, nicht Bundestrainerin Monica Theodorescu und schon gar nicht der Reiter, der doch als erster hätte fühlen müssen, dass mit seinem Pferd etwas nicht stimmte. Ihm waren nicht nur die Taktstörungen entgangen, sondern auch die Fehler in den Galoppwechseln. Schon bei der Veterinärkontrolle am Tag vor dem Start hatte ein Tierarzt eine Nachuntersuchung gefordert, war aber überstimmt worden von seinem Kollegen und zwei Richtern.
Es mehren sich die Vorwürfe: Warum wurde Totilas überhaupt nominiert?
Die Mitteilung von Equipechef Klaus Roeser, einem Angestellten von Totilas-Mitbesitzer Paul Schockemöhle, dass Totilas zurückgezogen und nun in einer Tierklinik untersucht werde, war der Schlusspunkt unter eine Serie von Pannen und Fehlentscheidungen, in deren Zentrum ein Pferd stand, das sich nicht wehren konnte. Die Verbandsführung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Pferd mit Gesundheitsproblemen quasi auf Abbruch ins Team genommen zu haben, um den Titel zu retten. "Das kann man so sehen", sagte Röser, "aber ich kenne kein Pferd, das nicht irgendwo ein Problem hat."
Verletzte Pferde sind also die Regel und nicht eine bedauerliche Ausnahme? Man kann wohl sagen, dass sich Roeser damit selbst als das größte Problem der Dressur geoutet hat, Rücktrittsforderungen wurden bereits laut.
Das einstige Wunderpferd Totilas, lackschwarz und immer noch bildschön, berührte in seinen besten Zeiten die Herzen wie kein Dressurpferd zuvor. Zu seinen Auftritten strömten Menschen ans Dressurviereck, die sich vorher noch nie für Piaffen, Pirouetten und Traversalen interessiert hatten.