Federer vs. Wawrinka bei den US Open:Aggressiv wie ein Schachmeister

Lesezeit: 3 min

Roger Federer (links) und Stan Wawrinka stehen für das Schweizer Tennisteam auf der gleichen Seite. (Foto: Julian Finney/Getty Images)
  • Roger Federer ändert bei den US Open seinen Stil und ist damit erfolgreich.
  • Im Halbfinale trifft er auf seinen Landsmann Stan Wawrinka. Der Respekt voreinander ist groß.
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Von Jürgen Schmieder, New York

Wer am Mittwochnachmittag durch die Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions spazierte, der erlebte das, was bei TV-Serien mit dem Begriff Spoiler umschrieben wird - wenn jemand die Handlung ausplaudert, damit die Spannung raubt und das Sehvergnügen trübt.

Draußen regnete es gerade, drinnen tippelte Richard Gasquet nervös umher. Etwas Nervosität ist vor einer Partie gegen Roger Federer natürlich erlaubt, doch soll der Franzose, das war aus seinem Umfeld zu hören, seiner Entourage verraten haben, dass er selbst nicht daran glaube, seinen Kontrahenten am Abend bezwingen zu können. Einen Satz könne er vielleicht gewinnen, soll Gasquet gesagt haben - aber keinesfalls drei.

Federer lenkt das Spiel wie ein Schachmeister

Wenn Darsteller die Dramaturgie einer Serie verraten, dann werden sie von den Fans beschimpft, sie müssen gewöhnlich eine gewaltige Strafe bezahlen und werden schlimmstenfalls vom Produzenten hinausgeworfen; Gasquet dagegen durfte sein Preisgeld behalten und wurde von den Zuschauern mitleidig beklatscht, weil er seine Strafe auf dem Spielfeld erlebte. Er gewann keinen Durchgang, schlimmer noch: Die gewonnenen Spiele zusammengerechnet hätten knapp zum Satzgewinn gereicht - er wurde von Federer in nur 87 Minuten 3:6, 3:6, 1:6 vom Platz geprügelt.

Der Franzose sei dennoch freigesprochen vom Vorwurf des Verrats, schließlich hatten 100 Prozent der Beobachter diesen Verlauf prognostiziert. Federer schwebt bei diesen US Open bislang geschmeidig über den Platz und vollführt bisweilen Bewegungen wie ein Badminton-Spieler. Vor allem aber gestaltet er die einzelnen Ballwechsel so, wie Schachspieler Garri Kasparow einst seine Partien angelegt hat: Durch aggressive Eröffnung verschafft sich Federer bereits zu Beginn einen Stellungsvorteil, er drückt seine Gegner in die Defensive und zwingt sie allein durch dieses Zur-Schau-Stellen seiner Position zu Fehlern. Dieser Halbvolley-Return etwa, bei dem Federer in den zweiten Aufschlag seines Gegners stürmt und danach ans Netz rückt, wird derzeit als Sneak Attack By Roger (SABR) gefeiert - der Begriff Federer-Verteidigung wäre ebenso treffend.

"Ich würde das für mich eher Spaßtennis nennen", sagte Federer nach der kurzen Partie gegen Gasquet, bei der er erneut nur 1,2 Kilometer laufen musste und dadurch Kraft sparen konnte. Insgesamt hat er bei diesen US Open nun 6,4 Kilometer zurückgelegt, die anderen Halbfinalisten (Marin Cilic: 10,9; Stanislas Wawrinka: 11,2; Novak Djokovic: 12,1) beinahe doppelt so viel. Der 34 Jahre alte Federer wertet seinen neuen Stil als Energiesparmodus mit hohem Freudefaktor: "Aggressiv agieren, nach vorne rücken, die Punkte kurz gestalten. Es fühlt sich an, als würde ich bestimmen, was da passiert. Auf diese Weise zu gewinnen ist großartig."

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Interview: Jürgen Schmieder

Im Halbfinale am Freitag trifft Federer auf Stan Wawrinka, der sich ebenfalls deutlich 6:4, 6:4, 6:0 gegen Kevin Anderson (Südafrika) durchgesetzt hat. Federer hat das Match gegen seinen Landsmann bereits zur Schachpartie mit Schläger und Filzkugeln erklärt: "Du weißt, dass er weiß, was deine Vorlieben sind und wohin du wahrscheinlich laufen wirst. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in Gedanken begegnen, noch bevor ein Punkt gespielt wird. Das ist unheimlich, aber ihm geht es wahrscheinlich genauso. Ich freue mich auf diesen Test, es wird eine große Herausforderung für mich."

Es gibt drei Möglichkeiten, dem neuen Federer-Stil zu begegnen: 99,8 Prozent aller Tennisprofis wählen den Gasquet-Fatalismus, der Rest besteht aus Wawrinka und Djokovic. Der Serbe kann verteidigen und kontern, Wawrinka dagegen scheint mittlerweile in der Lage zu sein, ebenso aggressiv wie Federer zu agieren - gegen Anderson präsentierte er gar eine Variante der forschen Federer-Verteidigung. "Ich versuche keinesfalls, ihn zu kopieren", sagt Wawrinka: "Ich habe mich in den vergangenen Jahren jedoch derart entwickelt, weil ich analysiert habe, was die Besten machen: wie sie sich verbessern, warum sie so gut spielen, warum sie so schnell spielen."

Es dauerte ein wenig, bis er die Analysen so ausgewertet hatte, dass er sie spielerisch umsetzen konnte - plötzlich bezwang er sogar Federer, gegen den er jahrelang nur das Nachsehen gehabt hatte. "Jetzt ist auch Roger nervös, wenn er gegen mich spielen muss", sagt Wawrinka über seine Entwicklung: "Davor war immer nur ich aufgeregt, weil ich wusste, dass ich sein Level noch nicht erreicht habe." Diese Nervosität von Federer bedeute ihm sehr viel: "Es zeigt mir, dass er weiß, dass ich auf diesem Level mithalten kann. Er weiß auch, dass ich mein Spiel durchziehen kann und nicht mehr nur darauf reagiere, was er macht."

Eine Hose als Glücksbringer

Gegen Federer in dessen derzeitiger Verfassung braucht er dennoch wohl den besten Tag seiner Karriere, das weiß auch Wawrinka. "Er wird aggressiv gegen mich spielen, da bin ich mir sicher", sagt er: "Ich darf ihm keine Zeit geben, ich muss ihn nach hinten drücken. Wenn ich eine Chance gegen ihn haben möchte, dann muss ich richtig schnell und forsch spielen." 16 von 19 Partien hat Wawrinka bislang gegen Federer verloren. Zuletzt, auf dem Weg zum French-Open-Titel, gewann Wawrinka freilich glatt in drei Sätzen.

Vielleicht tippelte Wawrinka deshalb am Mittwochabend nicht nervös durch die Katakomben im Arthur-Ashe-Stadion, sondern verteilte nach der Partie gegen Anderson ein paar Geschenke an die Schweizer Journalisten: kleine grau-weiß-rot karierte Tennishosen an einem Schlüsselbund. Wawrinka hat diesen textilen Offenbarungseid bei seinem Sieg in Paris am Körper getragen, nun baumelt eine Miniversion als Glücksbringer an seiner Tasche. Das Geschenk ist durchaus als Botschaft zu verstehen, dass vor der Partie gegen Federer kein Spoiler zu erwarten ist. Niemand weiß, wer gewinnen wird - weil Stan Wawrinka daran glaubt, dass er gewinnen kann.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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