Uruguay ohne Suárez gegen Kolumbien:Rache für den Beißer

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Unterstützung für den Verbannten: Ein Fan trägt sein Idol Luis Suárez mit sich (Foto: AFP)

Der verbannte Luis Suárez wird daheim in Uruguay wie ein Opfer empfangen. Das Land hegt Revanchegelüste - und will nun sogar die Konten der Fifa überprüfen lassen. Auch Staatspräsident Mujica beteiligt sich an den lautstarken Protesten.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Uruguays Präsident ist ein weiser Mann, er lebt in einer Gartenlaube neben Blumenfeldern am Rande von Montevideo und fährt einen alten Käfer. Früher war José alias Pepe Mujica Guerillero, in seinem Körper stecken Kugeln der Polizei, mit 74 wurde er 2010 Staatschef.

Unter seinen Bäumen kann man stundenlang die Welt besprechen, Krieg und Frieden, Kapitalismus, Drogen - und natürlich den Fußball, die uruguayische Leidenschaft. Zweimal war das kleine Land Weltmeister, Mujica hat es erlebt. Er weiß auch, was Strafe bedeutet, der frühere Rebell saß 14 Jahre lang im Gefängnis. Nun führt der Blumenzüchter und Presidente zum Abschluss seiner Amtszeit eine nationale Sache an: Es geht um den Fall Suárez, Uruguays Drama.

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Die hohe Strafe für den Beißer Luis Suárez ist nur selbstverständlich, und welcher Klub auch immer ihn jetzt noch anheuert, gerät in Erklärungsnot. Für die Turnierleitung indes hat die Schwächung Uruguays einen günstigen Nebeneffekt.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Auch Mujica ging in den Angriff über, als am Donnerstag die Meldung aus Rio de Janeiro kam und die Causa zur Staatsaffäre wurde. Für neun Pflichtspiele und vier Monate hat die Fifa den Stürmer Luis Suárez gesperrt, nachdem er beim 1:0 im letzten Gruppenspiel den Italiener Giorgio Chiellini in die linke Schulter gebissen hatte. Ohne ihn bestreitet die himmelblaue Auswahl am Samstag ihr Achtelfinale gegen Kolumbien in Rios Maracanã, wo 1950 der zweite Titel erobert worden war.

"Wir sind wütend", sprach Mujica in das Fernsehprogramm ("Mit Links") von Diego Maradona und dem Moderator Víctor Hugo Morales. Nichts verstünden diese Menschen von der Fifa, "sie sind unsensibel und ungerecht. Es gab bei dieser WM viel härtere Szenen als die von Suárez gegen Chiellini." Er hatte Erklärungen. Italiener seien Champions der Provokation. Und: "Wir haben England und Italien rausgeworfen. Wie viel Geld haben die verloren!"

Dann eilte Mujica neben Hunderten Landsleuten mit Fahnen und Plakaten zum Flughafen Carrasco, in dessen muschelartigem Terminal der Verurteilte aus Brasilien ankommen sollte. Man plante einen Staatsempfang, trotz Nebel und Kälte im Winter am Río de la Plata. Doch Suárez' Abreise aus dem Spielort Natal verzögerte sich, erst am frühen Freitagmorgen erreichte er mit Frau und Kindern die dunkle Heimat und wurde mit einem weißen Geländewagen nach Hause gefahren.

Es gab zunächst nur ein Foto hinter der Scheibe, beim Abschied von der Mannschaft hatte man ihn weinend gesehen. Aber die 3,5 Millionen Uruguayer sind mit sehr wenigen Ausnahmen auf seiner Seite.

Uruguay stand still, als der Schiedsspruch der Fifa eintraf. Die Fahrer von Bussen und Taxis drehten das Radio lauter, zunächst herrschte schweigendes Entsetzen. Wenn man einen Uruguayer eines Tages fragt, was er am 26. Juni 2014 gemacht habe, wird das wohl fast jeder wissen. Es war eines dieser historischen Ereignisse wie das Maracanazo, der Triumph vor 64 Jahren über Brasilien, oder 1972 die Rettung der Überlebenden des Absturzes in den Anden. Nur wesentlich unerfreulicher.

Bald mündete die Trauer in eine Empörung wie in Buenos Aires auf der anderen Seite des Flusses nach Maradonas WM-Ausschluss 1994 wegen Dopings. "Wir sind alle Suárez", titelt die uruguayische Zeitung El País und verspricht für diesen Samstag ein beigelegtes Suárez-Poster: "Luis Suárez wurde wie ein Krimineller behandelt."

Eine Karikatur in dem Blatt zeigt den Sünder im Nationaltrikot von La Celeste am Kreuz, das entspricht in etwa dem Empfinden des Volkes. Uruguay in der Person seines derzeit wichtigsten Sportlers wurde von einer feindlichen Organisation gekreuzigt. Das Innenministerium ordnete Schutz für die englische und italienische Botschaft in Montevideo an, man kann nie wissen. Die Diplomatie läuft auf Hochtouren. Ein Anwalt wurde nach Barcelona entsandt, er soll dort mit Suárez' Anwälten und Beratern (sein Manager ist Pep Guardiolas Bruder Pere) die Abwehr aufbauen.

In Brasilien verteidigten die Juristen und Funktionäre vergeblich. "Man kann solches Benehmen auf einem Spielfeld nicht tolerieren, am wenigsten während einer Fifa-WM, wenn Millionen Zuschauer auf die Spieler blicken", argumentiert der Schweizer Claudio Sulser, Vorsitzender der Disziplinar-Kommission. "Eine völlig übertriebene Entscheidung", wettert Uruguays Verbandschef Wilmar Valdez: "Es gibt keine Beweise für eine so harte Strafe."

"Was hat der Junge im Kopf?"

Der uruguayische Sportdirektor erinnerte an die Korruption der Fifa und will deren Konten prüfen. Mitten im Wahlkampf für Mujicas Nachfolge sind in dieser Sache ausnahmsweise alle Parteien einer Meinung. Nur vereinzelte Stimmen weisen darauf hin, dass dies bereits Suárez' dritte Beißattacke gewesen sei und es um Fußball gehe, nicht um Krieg. Alcides Ghiggia, Angreifer aus den Fünfzigerjahren, fragt sich, "was sich der Junge denkt und was der im Kopf hat".

Scheitert die Revision, wird Suárez auch seinem Klub FC Liverpool bis November fehlen, was den Wechsel zu Real Madrid oder zum FC Barcelona beschleunigen könnte. Diego Forlán, der Held von 2010, oder Christian Stuani sollen ihn gegen Kolumbien ersetzen, das Team verspricht Rache. "Uruguay wird extrem gefährlich", warnt auch Pepe Mujica, der Präsident: "Je mehr sie uns prügeln, desto schlimmer wird es." Suárez sei natürlich jederzeit in seiner Hütte willkommen.

© SZ vom 28.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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