Jan Ullrich:"Habe ziemlich schnell gelernt, dass Doping weitverbreitet war"

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Der ehemalige deutsche Radrennfahrer Jan Ullrich hat bewegte Jahre hinter sich - jetzt erscheint eine Doku über sein Leben. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Drogen, Ängste, Tod: Der frühere Radprofi Jan Ullrich gewährt tiefe Einblicke in seine mittlerweile überstandene Lebenskrise - und spricht erstmals klar über Doping bei Team Telekom.

Der frühere Radprofi Jan Ullrich hat erstmals über Doping im Team Telekom gesprochen. "Ich habe ziemlich schnell gelernt, dass Doping weitverbreitet war. Mir wurde vermittelt: Du bist gut, ein Riesentalent, du trainierst mit hohem Einsatz, du hast alle Fähigkeiten, die es braucht. Doch wenn du hier mithalten willst, musst du mitmachen", sagte der 49-Jährige dem Stern.

Ullrich war 1995 zum damaligen deutschen Vorzeige-Rennstall gekommen, gewann zwei Jahre später als bisher einziger Deutscher die Tour de France. Explizit gesteht Ullrich, über dessen Leben in der kommenden Woche eine Dokumentation bei Amazon Prime erscheint, eigenes Doping nicht. "Ohne nachzuhelfen, so war damals die weitverbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schießerei gehen", sagte der gebürtige Rostocker.

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Damals habe sich das alles völlig normal angefühlt: "Allgemein überwog die Einstellung: Wenn man das nicht macht - wie will man in einem Rennen bestehen? Dann fährst du im Peloton und weißt, du bist wahrscheinlich einer derjenigen, die nichts drin haben, und deswegen hast du auch null Chancen."

Ullrich wurde 2006 von seinem Team wegen Verbindungen zum spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes suspendiert und 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof Cas für zwei Jahre gesperrt. Dass er weder 2006 noch ein Jahr später, als eine Reihe anderer Telekom-Fahrer Doping einräumte, über Doping redete, hatte vor allem juristische Gründe. 2006 habe er "kein Verräter sein" wollen, 2007 lief gegen Ullrich ein Strafverfahren. "Meine Anwälte haben mir empfohlen zu schweigen. Ein Rat, den ich befolgt habe, an dessen Folgen ich aber lange gelitten habe."

Gleichzeitig sprach er auch über die schwierige Zeit nach dem Dopingskandal, seine Alkoholsucht sowie die Eskapaden auf Mallorca. "Ich war nicht weit weg vom Tod", sagte Ullrich. Er war 2018 schwer abgestürzt und hatte unter anderem mit seinem Drogenkonsum für Negativschlagzeilen gesorgt. Drei Jahre zuvor war er mit seiner Ehefrau Sara und den drei Kindern nach Mallorca gezogen.

"Irgendwann brachte einer Kokain mit" und das "macht dich innerhalb kürzester Zeit vom Menschen zum Monster", so Ullrich

Es sei "zuallererst eine Flucht vor dem trüben deutschen Winterwetter" gewesen, erzählte Ullrich: "Am Ende folgte der Absturz - so tief, tiefer ging es nicht." Ullrich machte die Einsamkeit zu schaffen, als ihn seine Familie verlassen hatte. Er begann zu trinken. "Aus Wein wurde Whiskey. Erst eine Flasche am Tag, später bis zu zwei. Es war ein einziges Betäuben", sagte der 49-Jährige. Seine Finca entwickelte sich fortan zum "Party-Place", "irgendwann brachte einer Kokain mit" und das "macht dich innerhalb kürzester Zeit vom Menschen zum Monster", so Ullrich.

Als Ehefrau Sara damit drohte, dass er seine Kinder nicht mehr sehen dürfe, lenkte Ullrich ein. Das sei "der einzige Grund" gewesen, "mich in ärztliche Behandlung zu begeben", sagte er: "Ich wusste: Ich musste etwas tun, wenn ich sie überhaupt nur wiedersehen wollte." Er habe während all dieser Zeit ein "Leben in Extremen" geführt, "ich war im Himmel, und ich war in der Hölle. Jetzt bin ich zurück auf der Erde, auf dem Weg in die Mitte".

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