Schwergewichts-Boxen:Fäuste im Kopf

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Tyson Fury bei der Pressekonferenz vor seinem nächsten Kampf gegen Deontay Wilder (Foto: Robyn Beck/AFP)

Er hat Siege errungen, tiefe Täler durchgemacht und beherrscht alle Psychotricks. Doch nun könnte Tyson Fury ein Problem bekommen - denn er boxt gegen einen Gegner, der ihn durchschaut.

Von Benedikt Warmbrunn, Las Vegas/München

Der größte Sieg in der Karriere des Tyson Fury nahm seinen Anfang in einer Sauna in den Bergen Österreichs. Fury, der damals am Beginn seiner einzigartigen Karriere als Profiboxer stand, war ins Trainingslager von Wladimir Klitschko eingeladen, dem Weltmeister im Schwergewicht. Kaum war er angekommen, so hat das Fury später oft erzählt, hörte er von diesem Psychospielchen: Klitschko gehe abends gerne in die Sauna, und dort wolle er es am längsten aushalten. Natürlich saß dann auch Fury mit Klitschko in der vollen Sauna. Steinwände, in der Mitte ein Feuer, "überwältigend", so empfand das Fury. Einer nach dem anderen ging raus.

Klitschko nicht.

Fury auch nicht.

Klitschko schaute Fury an. Fury guckte zurück. Und dachte: "Ich hoffe, er geht jetzt raus - weil sonst werde ich ohnmächtig!" Klitschko stand auf. Und wedelte vor Fury ein Handtuch. Noch mehr Hitze. Aber Fury wollte nicht raus, weil er den Ehrgeiz hatte, diesem nackten Mann aus der Sauna eines Tages auch im Boxring zu begegnen. Also blieb er sitzen. Und kämpfte gegen die Ohnmacht an. Nach 20 Minuten stand Klitschko auf. Drehte die Uhr um. Setzte sich. Nach 40 Minuten stand Klitschko erneut auf. Und ging. Fury zählte noch zehnmal bis sechs. Dann verließ auch er die Sauna. Kaum war er draußen, kippte er beinahe um.

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Von Benedikt Warmbrunn

"Das war der Tag, an dem ich Wladimir mental besiegt habe", so endet Furys Erzählung. Und als sie sich dann sieben Jahre später, Ende 2015 in Düsseldorf, endlich auch im Boxring gegenüberstanden, "da war er schon besiegt". Das Duell im Ring gewann Fury nach Punkten.

Klitschko attackierte, Fury zuckte mit dem Kopf und hob die Augenbraue

Der Brite hat diese Geschichte immer wieder erzählt, Klitschko hat sie immer wieder dementiert, zuletzt Anfang 2020 ("wie unheimlich, dass dieser Mann von mir in einer Sauna träumt"). Auch Klitschkos Manager Bernd Bönte sagt: "Das ist totaler Quatsch, da ist nix dran." Nicht ausgeschlossen, dass Klitschko und Bönte recht haben, dass sich dieses Duell in der Sauna nur in Furys Kopf abgespielt hat. Aber vielleicht ist auch gar nicht wichtig, ob es dieses Duell gegeben hat. Vielleicht reicht es, dass Fury so sehr daran glauben wollte, dass es für ihn wahr wurde.

Denn Tyson Fury hat in seiner Karriere oft bewiesen, dass er wie kaum ein anderer die Kunst beherrscht, einen Boxkampf nicht durch die Fäuste entscheiden zu lassen. Sondern durch den Kopf.

An diesem Samstag verteidigt der 33 Jahre alte Fury in Las Vegas zum ersten Mal seinen WM-Titel im Schwergewicht nach Version des Verbandes WBC, in seinem dritten Kampf gegen den zwei Jahre älteren US-Amerikaner Deontay Wilder. Im ersten Kampf ging Fury in der letzten Runde so schwer zu Boden, dass Wilder schon selbstverliebt die Arme ausbreitete. Nach sechs Sekunden stand Fury auf, es war eine fast surreale Willensleistung. Die Punktrichter werteten: Unentschieden. Im zweiten Kampf attackierte Fury unermüdlich, er wusste, dass er vor Wilders einziger Waffe, dessen Schlagkraft, keine Angst haben musste, er war ja aufgestanden. Er gewann vorzeitig in der siebten Runde.

Umgehauen in der zwölften Runde: Tyson Fury stand im ersten Duell gegen Wilder trotzdem wieder auf, am Ende werteten die Punktrichter ein Unentschieden (Foto: Mark J. Terrill/dpa)

Doch der dritte Kampf gegen Wilder ist für Fury eine neue Erfahrung. Vor den ersten Kämpfen war Wilder derjenige, der mit seiner Schlagkraft angab, und auch mit protzigen Inszenierungen. Fury war derjenige, der Wilder enttarnen wollte, als überschätzten Boxer, als Show mit wenig Inhalt. Nun ist er selbst erstmals in seiner Karriere in einem großen Kampf nicht der Herausforderer. Erstmals ist er derjenige, der etwas zu verlieren hat. Für Fury bedeutet das auch, dass er in seinem Kopf eine Rolle beherrschen muss, an der er bereits gescheitert ist.

Schon einmal, nach seinem Sieg gegen Klitschko, hätte Fury seinen Titel verteidigen können. Klitschko drängte auf den Rückkampf, er wusste, dass er sich zu sehr von Furys Finten hatte verunsichern lassen: Wann immer Klitschko eine Attacke startete, zuckte Fury mit der Schulter, machte einen Schritt, hob eine Augenbraue -schon stoppte Klitschko seine Attacke. (Als er in den letzten Runden aktiver wurde, war es zu spät.) Im Rückkampf, das wusste Klitschko, musste er mutiger boxen, Fury in die Enge treiben.

"Du kannst nie sagen, was er als nächstes macht, weil er aus jedem Winkel kommen kann"

Dann aber wurde der erste Termin wegen eines Doping-Vergehens von Fury gestrichen, der zweite wegen einer Kokain-Probe. Fury gab alle Titel zurück, fing an zu saufen und zu fressen, kokste weiter, nahm Dutzende Kilo zu, wurde depressiv. Eines Tages wollte er mit seinem Auto gegen die Wand fahren, in letzter Sekunde stoppte ihn eine Stimme in seinem Kopf. Er hörte auf zu saufen, zu fressen und zu koksen. Fing wieder an zu trainieren. Und erkämpfte sich langsam die Kontrolle über seinen Kopf zurück.

Und als er wieder bereit war für einen Kampf, da kehrte mit ihm auch das Spektakel ins Schwergewichtsboxen zurück. Drumherum. Und im Ring.

Furys größter Rivale, sein Landsmann Anthony Joshua, pflegt sein Image als braver, disziplinierter Athlet, so boxt er manchmal auch. Zuletzt, vor zwei Wochen, war er zu brav, da verlor er gegen Oleksandr Usyk, den besten Techniker im derzeitigen Schwergewicht. Fury hat nicht die Power von Joshua, aber auch er boxt vielseitig (wenn auch nicht ganz so vielseitig wie Usyk). Und er beginnt seine Kämpfe eben gerne im Kopf des Gegners.

In die Seile gedrängt: Im zweiten Aufeinandertreffen attackierte Fury Wilder unermüdlich und gewann in der siebten Runde (Foto: John Gurzinski/AFP)

"Fury spielt die Klaviatur der Psychospielchen herausragend. Er weiß genau, welche Saiten er beim anderen zupfen muss, um Spannung zu erzeugen", sagt Bönte. Bei Klitschko war es die Sauna-Geschichte. Bei Wilder und auch im Fernduell mit Joshua sind es derbe Beleidigungen. Das ist oft geschmacklos (immer wieder ist Fury auch mit frauenfeindlichen, homophoben Interviews aufgefallen). Aber es ist wirkungsvoll. Er treibt seinen Gegner schon vor dem ersten Gong vor sich her.

Doch die Herausforderung beginnt für jeden Gegner erst dann so richtig, wenn er sich einen Ring mit Fury teilt.

Für seine 2,06 Meter ist er extrem beweglich, macht ungewöhnlich viele Schritte zur Seite

Francesco Pianeta hat 2018 diese Erfahrung gemacht, der Boxer aus Gelsenkirchen kämpfte in Belfast gegen Fury. Pianeta hatte auch gegen Klitschko geboxt, dieser ist für ihn "der Beste in der Beinarbeit und im Distanzgefühl", gegen diesen war er 2013 in der sechsten Runde K.o. gegangen. Doch erst wenn er über Fury spricht, schwärmt Pianeta. "Der hat einen sehr paradoxen Stil, ist ganz schwer einzuschätzen. Du kannst nie sagen, was er als nächstes macht, weil er aus jedem Winkel kommen kann, und dann auch noch immer wieder mit was anderem." Pianeta wusste in Belfast Fury fast nie einzuschätzen, er verlor nach Punkten.

Fury wechselt in seinen Kämpfen gerne die Auslage, ständig verwirrt er die Gegner, legt Fallen, so wie gegen Klitschko mit dem Schulterzucken. Für seine Größe von 2,06 Metern ist er zudem extrem beweglich, macht ungewöhnlich viele Schritte zur Seite, verstößt auch manchmal gegen Regeln der Beinarbeit, schafft aber dadurch stets neue Winkel. Andauernd muss sich der Gegner neu orientieren. Manchmal hält Fury diesem noch die linke Hand vor die Augen, so kurz nur, dass es gerade so erlaubt ist, und schon sieht dieser den Schlag nicht. Oder den Schritt nicht, und wieder gibt es einen unerwarteten Winkel. "Er verlagert seinen Körper ständig, meistens aus den Beinen heraus, da kommt er auch schnell in einen Flow", sagt Pianeta, der das inzwischen aus der Perspektive eines Box-Trainers beobachtet; er betreibt in Lippstadt ein Gym. Für ihn steht fest: "Er gehört zu den größten Boxern im Schwergewicht überhaupt."

Und all die Provokationen? Ach, sagt Pianeta, das dürfe man nicht so ernst nehmen. In ihrem Duell hatte ihm Fury in einer der letzten Runde zugeraunt, auf Deutsch: "Ich bin der Champion." Pianeta hatte sich nicht reizen lassen, er entgegnete: "Komm, Champion."

Das Problem für Pianeta war, dass er dann noch einmal kam, der Champion.

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