Twitter bei Olympia:Um Kopf und Kragen getwittert

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Mehrere tausend Athleten twittern oder bloggen bei Olympia 2012, es sind die ersten wirklich digitalen Sommerspiele. Das ist eine große Chance für den Sport. Obwohl zwei Sportler schon wegen prekärer Äußerungen nach Hause geschickt wurden.

Jürgen Schmieder, London

Es war ein schöner Satz, den Michael Phelps an Ryan Lochte richtete: "Gratuliere! So schaut es aus, wenn man den Titel in dem Land hält, in das er gehört." Phelps sagte diesen Satz nicht auf einer Pressekonferenz, er flüsterte ihn nicht in Lochtes Ohr. Er schrieb ihn auf Twitter - und jeder, der wollte, konnte ihn lesen. Die prompte Antwort von Lochte auch: "Danke, Michael. Du treibst mich dorthin, wo ich jetzt bin."

Twitter bei Olympia - wird eigentlich auch Sport betrieben? (Foto: AFP)

Etwa die Hälfte der 10.000 Olympioniken schreibt regelmäßig Einträge bei Twitter, lädt Fotos bei Facebook hoch, postet Videos auf Homepages. Willkommen zu den Twitterlympics! Willkommen zu Olympia 2.012!

Die Spiele in London sind die ersten wirklich digitalen Sommerspiele: Dass Michael Phelps nicht über 200 Meter Freistil starten wird, war zuerst auf Twitter zu lesen - ebenso wie der Verzicht von Rafael Nadal auf das Tennisturnier. Trainings-Bilder vom chinesischen Hürdensprinter Liu Xiang gab es bei Facebook, wenig später konnte man auf dem Smartphone ein Video von einer Übungseinheit sehen.

Natürlich machen auch die deutschen Sportler mit: Die deutschen Tennisspielerinnen Sabine Lisicki und Angelique Kerber luden Bilder von der Eröffnungsfeier hoch. Fechterin Imke Duplitzer gibt sich täglich politisch, Turner Fabian Hambüchen und Weitspringer Christian Reif überlegen online, die Sportarten zu tauschen. Silke Spiegelburg zeigt auf Facebook die Hässlichkeit der Schuhe, die man so kaufen kann. Kugelstoßer David Storl nennt sich selbst shotputdevil und bastelt gerade noch an der eigenen Homepage.

Die Athleten dürfen allerdings nicht einfach schreiben, was sie schreiben wollen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) untersagt fast alles, was er untersagen kann. Die Athleten dürfen auf ihren Homepages nicht über Olympia schreiben, wenn dort ein Sponsor zu sehen ist, der nicht zu den offiziellen Förderern gehört. Sie dürfen nicht für Zeitungen von ihren Erfahrungen berichten. Sie dürfen keine Videostatements abgeben, nur Tweets in der Ich-Form und Tagebucheinträge sind erlaubt. Wer sich widersetzt, muss mit dem Entzug seiner Akkreditierung rechnen.

Strenge Regeln des DOSB gibt es allerdings nicht nur für den Umgang mit dem Internet - von den Sportlern wird etwa verlangt, sich auch auf privaten Veranstaltungen oder einer Tour durch London an die Kleiderordnung zu halten.

Das klingt doppelzüngig, wenn Funktionäre medienwirksam verkünden, sie würden hoffen, dass sich die weiblichen Athleten aus Katar und Saudi-Arabien auch zu Politik und Gleichberechtigung äußern und chinesische Athleten zur Menschenwürde - und gleichzeitig den eigenen Athleten eine ehrliche Berichterstattung verbieten.

Die ersten Skandale hat es bereits gegeben. Michel Morganella, Fußballer im Team der Schweiz, zog nach der Vorrundenniederlage gegen Südkorea über die Gegner her: "Ich könnte alle Südkoreaner verprügeln. (...) Bande von geistig Behinderten." Das war den Verantwortlichen zu viel: Er wurde nach Hause geschickt. Sein Twitter-Account ist mittlerweile abgeschaltet.

Morganella ist nicht der einzige Sportler, der aufgrund eines Tweets seine Olympiaträume begraben muss. Die griechische Dreispringerin Voula Papachristou ist bereits zwei Tage vor Beginn der Spiele ausgeschlossen worden. Sie hatte einen rassistischen Kommentar über afrikanische Emigranten in Griechenland verfasst.

Twitternde Sportler bei Olympia
:"Meine Matratze hat mich verrückt gemacht"

Usain Bolt hält sich für den Begnadetsten von allen, Sabine Lisicki scherzt mit den Hockeyspielern und Ryan Lochte gründet seinen eigenen Staat: Vor vier Jahren twitterten nur wenige Olympiateilnehmer, nun hat fast jeder einen Account. Welchen Sportlern es zu folgen lohnt.

Lisa Sonnabend

Doch abgesehen von diesen unerfreulichen Begebenheiten bietet Olympia 2.012 eine große Chance. Meist sind es zwar Anekdötchen, die die Sportler verbreiten. Ein paar nette Bilder, Komplimente an andere Sportler, Aufmunterungen. Hin und wieder beschwert sich einer - über die Betten, den vielen Verkehr oder schnarchende Nachbarn. Es sind belanglose Info-Tröpfchen, die am Ende der Spiele jedoch ein umfassendes Bild von Olympia zeigen können, ein vorher nicht gekanntes.

Twitternde Sportler bei Olympia
:"Meine Matratze hat mich verrückt gemacht"

Usain Bolt hält sich für den Begnadetsten von allen, Sabine Lisicki scherzt mit den Hockeyspielern und Ryan Lochte gründet seinen eigenen Staat: Vor vier Jahren twitterten nur wenige Olympiateilnehmer, nun hat fast jeder einen Account. Welchen Sportlern es zu folgen lohnt.

Lisa Sonnabend

Denn diese Einträge gehen ungefiltert in die Welt hinaus, niemand kontrolliert oder zensiert, es ist eine Live-Berichterstattung derer, die wirklich dabei sind. Wenn man diese Millionen Einträge behutsam zusammenführt, dann könnte man erfahren, was die Sportler erlebt haben in diesen Wochen. Wie diese Olympischen Spiele 2012 wirklich waren.

Das ist die Hoffnung derer, die nicht nur vom Wohlbefinden von Größen wie Usain Bolt (braucht eine neue Matratze), LeBron James (fühlt sich wohl in England) oder Michael Phelps (freut sich vor allem auf die Staffeln) lesen möchten, sondern auch etwas zu erfahren über jene, die nicht gerne etwas von sich preisgeben.

Es stand zuerst bei Twitter, dass der chinesische Hürdenläufer Liu Xiang sein Trainingslager nach Deutschland verlegt hat. Und wer ein Bild der saudischen 800-Meter-Läuferin Sarah Attar suchte, der fand eins auf Facebook.

Es besteht tatsächlich die Chance, dass sich einzelne Teilnehmer öffnen und anderen von der Situation in ihrem Land erzählen. Dass durch die Digitalisierung der Spiele mehr Transparenz entsteht. Die Olympischen Spiele 2.012 sind eröffnet. Mögen die Sportler ihre Chance nutzen.

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