TV-Ereignis WM (5): Fußball im Büro:Wem gehören eigentlich diese Beine?

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An Multitasking im Job sind wir gewöhnt - dachten wir. Wer aber die wahre Herausforderung sucht, sollte einen Nachmittag lang im Büro WM-Spiele gucken.

Maria Holzmüller

Der Blick auf die Uhr - noch drei Minuten. Jetzt aber schnell. Das Lauftempo nimmt zu, der Puls steigt . Und das Spiel hat noch nicht mal angefangen. Portugal spielt in der WM-Vorrunde gleich gegen Nord-Korea, um 13.30 Uhr. Wer nicht gerade zufällig Urlaub hat, wird das Ergebnis dieses Spiels wohl erst nach Feierabend erfahren - oder guckt einfach im Büro. Genau deswegen stürme ich jetzt zurück ins Großraumbüro. Wer will schon wegen des Kantinenbesuchs den Anpfiff eines WM-Spiels verpassen?

Wenn das Fußballvergnügen die Arbeitsleistung beeinträchtigt, kann das Grund für eine Abmahnung sein. Doch vielerorts wurde das Mitfiebern bei der deutschen Partie gegen Serbien am Freitag toleriert - wie hier an der Frankfurter Börse (Foto: ag.ddp)

Über den Live-Stream im Internet bin ich, wie so viele andere Büro-Geiseln auch, sofort dabei - und kann dank zweier Bildschirme nebenher noch meine regulären Arbeiten verrichten. Rechts laufen elf weiße gegen elf Rote und links wird das Tagesprogramm abgearbeitete - so stelle ich mir das zumindest vor.

In Zeiten, in denen Kassiererinnen gekündigt wird, weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro veruntreuen oder Altenpflegerinnen wegen sechs Maultaschen entlassen werden, ist es ein riskantes Unterfangen, während der Arbeitszeit WM-Spiele zu verfolgen, möchte man meinen. Stimmt. "Wer während der Arbeitszeit ohne Zustimmung des Chefs Fußball auf dem Rechner oder auch auf dem privaten Smartphone guckt, muss mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen. Denn erfahrungsgemäß wird er abgelenkt und arbeitet nicht mehr hinreichend konzentriert und effizient. Damit verletzt er seine Arbeitspflicht und kann förmlich abgemahnt werden", sagt Verena Braeckeler, Arbeitsrechtlerin bei der Anwaltssozietät Simmons & Simmons in Düsseldorf.

Die Ausnahmegenehmigung für diesen Tag ist eingeholt, und das mit dem effizienten arbeiten wollen wir doch mal sehen. Als ob ich an Multitasking nicht gewohnt wäre. E-Mails lesen, schreiben, telefonieren, zwischendurch mal eine Konferenz - was soll da ein Fußballspiel mehr oder weniger auf dem Nebenbildschirm ausmachen? Die Kopfhörer sitzen, das Spiel läuft, die ersten Emails werden beantwortet. Geht doch.

Aber ich habe nicht mit den Portugiesen gerechnet. In einer Partie, in der Cristiano Ronaldo schon in der zweiten Minute das erste Mal aufs Tor schießt und die Portugiesen die Nord-Koreaner am Ende mit 7:0 vom Platz fegen, bleibt wenig Zeit, auf die korrekte Rechtschreibung einer geschäftlichen E-Mail-Anfrage zu achten. Das 1:0 teile ich den stetig in die Tasten hauenden Kollegen am Nachbartisch noch aufgeregt mit, das 2:0 ebenfalls. Mehr als ein dumpfes "Mhmm" kommt nicht zurück - kann denn Fußball Störung sein?

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Die restlichen Tore jedenfalls behalte ich für mich. Für Fans von euphorischen Sprechgesängen ist so ein Fußball-Büro-Nachmittag also nicht zu empfehlen. Für Leute, die noch eine Liste mit unerledigten Aufgaben vor sich haben, auch nicht. Zwischen den Toren mag es mir einfach nicht gelingen, eine einfache E-Mail zu schreiben und am Ende auch wegzuschicken. Was sonst fünf Minuten dauert, zieht sich plötzlich über eine halbe Stunde lang - und gewaltig an meinen Nerven.

Fußball gucken und dabei arbeiten - oder zumindest so tun als ob: Dank mehrerer Monitore ein Kinderspiel. Wen das Bewegtbild zu sehr ablenkt, dem sei der Live-Ticker von sueddeutsche.de wärmstens empfohlen. (Foto: ag.ddp)

Was eben noch Spaß machte, überfordert mich jetzt. Das ewige Vuvuzela-Gebrumme, die unzähligen Beine in weißen und roten Kniestrümpfen, die ich schon lange keiner Person mehr zuordnen kann, während ich zwischendurch noch am Telefon Fragen beantworten soll und eine Kollegen in Vorbeigehen von ihrem Urlaub erzählt - und zuletzt dann auch noch mein Computer streikt. Der scheint mindestens so überfordert vom Multitasking wie ich - er macht einfach gar nichts mehr.

Und das genau zum richtigen Zeitpunkt - als plötzlich ein Chef um die Ecke kommt. Denn auch mit Ausnahmengenehmigung aus Recherchegründen - vor seinen Vorgesetzten will man dann doch nicht einfach am Schreibtisch sitzen und Fußball gucken.

Und nichts anderes mache ich an diesem Nachmittag - trotz aller anders lautenden Vorsätze. Hier mal einen Artikel Korrektur lesen, da eine E-Mail schreiben, das war's dann auch schon mit der Konzentration. Als in der Pause vor dem Spiel Chile gegen die Schweiz auch noch ein ZDF-Reporter vor den Leguanen rund ums deutsche Team-Hotel warnt, die laut Oliver Bierhoff schon mal für Knochenbrüche sorgen, wenn sie mit ihrem Schwanz ausholen, bin ich völlig aus dem Konzept gebracht.

Beim Anstoß im nächsten WM-Spiel um 16 Uhr lasse ich mich gar nicht mehr darauf ein, den Spielverlauf zu verfolgen oder mir irgendwelche neuen Spielernamen zu merken. Die Kopfhörer drücken und meine Augen flattern von dem ewigen Hin und Her zwischen den Bildschirmen wie der berüchtigte WM-Ball Jabulani. Dabei möchte ich doch nur meine Arbeit erledigen und trotzdem mitkriegen, wenn etwas Wichtiges passiert. Am Ende gewinnt Chile mit 1:0 - und das Tor verpasse ich, weil gerade wieder ein Kollege irgendetwas von mir will - was, weiß ich in dem Moment schon nicht mehr. Zu viele Fußballbeine sind heute schon durch mein Gehirn getrampelt - so fühlt es sich zumindest an.

Am Ende sind die Nachmittagsspiele zu Ende, die Kollegen fast alle schon im Feierabend, und meine Liste unerledigter Aufgaben noch genauso lange wie am Morgen. Kann mir bitte jemand eine Abmahnung schicken und den Live-Stream kappen?

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