TV-Ereignis Olympia (13):Rund um die Uhr vor der Glotze

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Kanada ist das Olympia-Schlaraffenland: Das Fernsehen überträgt wirklich alles live. Trotzdem werden die Kommentatoren nie lästig.

Michael Neudecker, Vancouver

Es sieht zunächst sonderbar aus, wenn man im Eishockeystadion von Vancouver sitzt und in den Drittelpausen hinter dem Tor eine riesige Bühne ein paar Meter näher an das Tor herangefahren wird, auf der Bühne vier Männer im dunklen Anzug und mit Headsets auf dem Kopf, die mit dem Rücken zum Stadion sitzen. Der Fernsehzuschauer aber empfindet dieses Szenario, wie so vieles, ganz anders: Die vier Männer sind die Moderatoren der Eishockeyübertragungen von CTV, Kanadas größtem englischsprachigen Privatsender.

Im Fernsehen wirkt es gut, wie die vier da sitzen, redend, gestikulierend, jeder einen Stift in der Hand, und im Hintergrund ist das sehr große Eishockeystadion.

Natürlich analysieren die vier jedes Eishockeyspiel dieser Olympischen Spiele, und das sieht dann so aus: Der Presenter, ein wechselnder CTV-Moderator, lenkt die Runde, was er nur zur Einleitung tun muss, weil sich die Runde von da ab selbst lenkt.

Bühne für 250.000 Dollar

Schließlich sind die drei Experten, die da sitzen, in Kanada anerkannte Fachmänner, die schon sehr häufig im Fernsehen analysiert haben, eigentlich tun sie das dauernd: Nick Kypreos, ehemals Stürmer und Stanley-Cup-Gewinner mit den New York Rangers, Darren Pang, früher Torwart bei den Chicago Blackhawks und Trauzeuge von Team-Canada-Sportdirektor Steve Yzerman, dazu Bob McKenzie, ehemals Chefredakteur der Fachzeitschrift The Hockey News und seit 1980 Eishockeykommentator. Die Bühne, auf der sie sitzen, hat angeblich 250000 US-Dollar gekostet. Aber hey, es ist Olympia, und da will sich ein Sender wie CTV nicht nachsagen lassen, nicht alles getan zu haben.

Umgerechnet 69 Millionen Euro hat CTV für die Übertragungsrechte ausgegeben, und dafür sendet es während der Spiele nur ein einziges Programm: Olympia. Was für die Menschen in Kanada gilt, das gilt auch für die Fernsehstationen: Die Begeisterung für die Spiele ist grenzenlos.

Interviews mit den Fans

Fast jeder Kanal berichtet auf irgend eine Weise, NBC trägt gar die Olympischen Ringe permanent im Logo, auch, wenn gerade eine günstig produzierte Soap läuft. Und wer keine Übertragungsrechte hat, behilft sich anders: Ein paar Stationen zeigen in ihrer Olympiasendung Fotos der Tagesgeschehnisse, ein Moderator spricht aus dem Off, und dann werden Interviews mit Fans zu den Geschehnissen eingespielt.

Wer aber Rechte hat, der überträgt live; und das Fernsehen hier überträgt alles, wirklich alles live. Es konzentriert sich selbstredend auf die kanadischen Sportler, sehr stark sogar - aber es ignoriert den Rest der Welt nicht. Beim Riesenslalom der Männer starteten 103 Läufer, aber CTV blieb drauf, bis zum Schluss. Und beginnt auf TSN ein Wettbewerb, blendet der Schwestersender CTV rechts unten den Hinweis mit Bewegtbild ein, damit umschalten kann, wer möchte.

Auf der nächsten Seite: Fast die Hälfte der kanadischen Bevölkerung sitzt vor den Bildschirmen - die Quoten belohnen die Sender für ihren Aufwand.

Analysen und Statistiken werden dafür sogar verschoben - direkt nach dem Spiel Kanadas gegen Russland, das so grandios war, dass deutsche Sender danach vielleicht eine Stunde analysiert und nachberichtet hätten, schaltete CTV sofort um zur Bobbahn und kam damit rechtzeitig live zum Lauf der deutschen Fahrerinnen. Die Analysen folgen meist erst spätabends nach 21.30 Uhr, wenn kein Wettbewerb mehr läuft.

Die Quoten belohnen die Sender für ihren Aufwand: Die Eröffnungsfeier sahen in Kanada 13 Millionen Menschen, das Spiel Kanada gegen USA im Schnitt 10,6 Millionen. Das ist sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Kanada rund 31 Millionen Einwohner hat.

Viel besser als anderswo

Noch eine Zahl wurde kürzlich veröffentlicht: 98 Prozent der Kanadier hätten die Olympischen Spiele bislang verfolgt, heißt es. Das ist kaum verwunderlich - es ist ja unmöglich, den Spielen zu entkommen, auch wenn man sich nicht dafür interessiert.

Praktisch alle paar Meter stehen Fernseher vor den Cafés und Bars; in Supermärkten, die keinen Fernseher haben, laufen die Live-Kommentare aus dem Radio, und auf einigen öffentlichen Plätzen sind riesige Bühnen und Leinwände aufgebaut. Public Viewing funktioniert auch in Kanada, vielleicht besser als anderswo. Es kostet keinen Eintritt.

Begeisterndes Bild

Vor allem zu Beginn der Spiele, als die Sonne noch schien, ergab das ein begeisterndes Bild: Beim Skispringen, dem ersten Medaillenwettbewerb dieser Spiele, stand auf dem Village Square in Whistler eine riesige Menschenmenge und fieberte mit, ungeachtet dessen, dass kein Kanadier mitsprang. Nach dem Siegsprung des Schweizers Simon Ammann rief der Kommentator: "The Austrian Simon Ammann wins!", und die Menschen jubelten.

Was die Kommentatoren betrifft: Der deutsche Zuschauer lästert ja gerne über die, die ihm im Fernsehen den Sport näher bringen sollen. Die Kanadier sagen, die meisten ihrer Kommentatoren seien Fachleute, allerdings ist schwer nachprüfbar, ob das tatsächlich so ist - Fernsehkommentator sein im kanadischen Fernsehen heißt, vor allem das Geschehen zu beschreiben, ohne Randgeschichten zu erzählen. Heinz Prüller wäre hier arbeitslos. Aber das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht.

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