TSV 1860 München:Nach dem Sonnenstich

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Retter, Entwickler, Bewährungshelfer: Der neue Trainer des TSV 1860 München, Ewald Lienen, hat vielfältige Aufgaben vor sich.

Moritz Kielbassa

"So", sagte Ewald Lienen nach 67 Minuten, "die halbe Stunde ist rum!" Es dauerte länger als vereinbart, das Kennenlerngespräch mit dem neuen Trainer des TSV 1860, und Lienen, ein oft als verbissen empfundener Fußballlehrer, würzte die Runde im Präsidentenzimmer der Löwen mit feinsinnigem Humor. Nicht anders zu verstehen war die Kurzzusammenfassung seiner wichtigsten Charaktermerkmale, Lienen öffnete jede einzelne Schublade, in die ihn "zementierte Vorurteile" stecken.

Ewald Lienen will in München ein "ein positives Ambiente schaffen". (Foto: Foto: Getty)

Ob er sich gewandelt habe, fragte ein Reporter, er wirke hier so leger und sympathisch: "Klar", sagte Lienen angemessen süffisant, "ich war früher ein fürchterlicher Typ, ging zum Lachen in den Keller, war unzugänglich, hatte Ärger mit Schiedsrichtern und Journalisten. Dann ging ich nach Griechenland, bekam dort wohl einen Sonnenstich - und als ich heimkam, sagte meine Frau: Ewald, du bist ein anderer Mensch geworden."

Er blieb natürlich derselbe während seiner Auslandsjahre bei Panionios Athen (2006 bis November 2008). Dieser Gerechtigkeits- und Wahrheitsfreund Ewald Lienen, 55, hat als Spieler und Trainer tausende Geschichten erlebt in einer Branche, in der Dichtung und Realität oft so weit auseinanderklaffen wie Anspruch und Wirklichkeit bei 1860 München. Lienen ist nun in höchster Not zu den Löwen gekommen, zwei Spiele vor Saisonende, bedroht von der Abstiegsrelegation, mit zwei schweren Gegnern vor der Brust.

Am Sonntag ist Aachen zu Gast, ein Spitzenteam der zweiten Liga, zum Schluss geht es nach Nürnberg. In dieser Bredouille bleibt auch Lienen, der in komplexen Zusammenhängen denkt und spricht und nicht in hohlen Parolen, auf die Schnelle nichts anderes übrig, als an einfachen Dingen zu arbeiten. Im mentalen Bereich.

Er wolle "ein positives Ambiente schaffen", sagt er, und auch dem letzten Hintersassen des Kaders "das Gefühl des Gebrauchtwerdens geben". Es sei nicht die Stunde fußballphilosophischer Diskurse, "jetzt geht es darum, die Handbremsen im Kopf zu lösen", sagt er. Die Rolle des Feuerwehrmanns soll nur ein kleines, erstes Kapitel seiner Mission sein, nächste Saison soll der Brandlöscher mit therapeutischem Tiefgang komplett neue sportliche Konturen entwickeln.

Manager Miki Stevic peilt ja Tabellengefilde an, die gegenwärtig wie Science Fiction erscheinen: Er will 2010 aufsteigen. Lienen sollte diesen Langstreckenauftrag erst im Juli übernehmen. Weil aber unter Uwe Wolf das Polster zu Platz 16 beängstigend schmolz, kam er nun früher: "Ich helfe gerne."

Die ungefähr 42 verschiedenen Aufstellungen der Löwen in dieser Saison konnte Lienen sofort aus dem Stegreif zitieren, alle Namen sprudelten aus ihm heraus, er listete sogar U23-Talente wie Fetsch und Mlapa auf, auf die er beim "Schnellüberblick über alle verfügbaren Spieler" stieß. Schon seit längerem befasste sich Lienen intensiv mit 1860.

"Es sind genügend Eindrücke da", sagt er, die negativen aber - die fehlende taktische Spielidee etwa, die dauernden Personalwechsel oder die nie vorhandene Konstanz, weder innerhalb von 90 Minuten noch über mehrere Spiele - die will er ausblenden im Existenzkampf und "nur die positiven Bilder hochholen". Lienen meint Lichtblick-Spiele wie Mainz (2:2) oder St.Pauli (5:1).

Die schwachen Ergebnisse der Konkurrenz am Mittwoch, die 1860 drei Punkte Luft zu Platz 16 ließen, nennt Lienen eine "Falle, in die wir nicht tappen - wir müssen unsere eigenen Hausaufgaben machen". Lienen setzt dabei auf bewährte Motivationskniffe. Über jeden Kaderspieler könne er sich dank seines vorzeitigen Amtsantritts "nun persönliche Eindrücke verschaffen", sagt er, jeder habe noch die Chance, sich für einen Verbleib oder neuen Vertrag zu empfehlen.

Stevic plant den großen Umbruch im Sommer, so manchem Spieler schien im Abstiegskampf zuletzt die Hingabebereitschaft zu fehlen - mangels Perspektive? Bewährungshelfer Lienen sagt, dies dürfe kein Alibi sein. Er bestätigt jedoch, mit Stevic "natürlich" schon am neuen Kader zu tüfteln.

Nebenbei verriet Lienen, dass Stürmer Markus Schroth, zuletzt inoffizieller Co-Trainer, erneut am Knie arthroskopiert wurde. Neuer Co-Trainer ist Abder Ramdane, 35, einst Fanliebling in Freiburg, wo seine Karriere nach einem Kniescheibenbruch endete. In der Jugend besuchte Ramdane das Fußballinternat im französischen Nimes, er genoss die Freiburger Kurzpassschule Volker Finkes - kurzum: er kann mehr Kompetenzen vorweisen als nur die Hochzeit mit Lienens Tochter.

Der Schwiegerpapa, einst bekennender Linksintellektueller, hat nicht mehr den Sendungseifer junger Jahre, doch Lienen macht sich nach wie vor Gedanken über "Politiker, die Geld verplempern", über gesellschaftlichen Werteverfall oder dicke Kinder, "die sich mit Süßigkeiten vollstopfen, statt Sport zu treiben". Lienen war schon immer eine spannende Figur, eine Kölner Band widmete ihm sogar mal ein Lied: "Die Heldensage vom heiligen Ewald" entstand, als der abergläubische Blauhemdträger mit dem 1. FC Köln aufstieg. Damals hatte Lienen einen Stürmer im Kader, den er demnächst auf keinen Fall wiedersehen will: Ralph Hasenhüttl, jetzt Trainer des möglichen Relegationsgegners Unterhaching.

© SZ vom 15.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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