TSV 1860 München in der Krise:Viele Feinde und ein Freund

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Fünf vor zwölf: Trainer Markus von Ahlen (vorne) muss bei einem Misserfolg in Darmstadt wohl gehen, Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner nicht. (Foto: Renate Feil/M.i.S./Imago)
  • Für 1860-Trainer Markus von Ahlen geht es in Darmstadt um den Job. Auch die Kritik an Sportchef Gerhard Poschner wird heftiger - doch der hat den richtigen Mann auf seiner Seite.
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Von Markus Schäflein

Markus von Ahlen kam herein wie immer, Lächeln, fester Händedruck, demonstrativ ebenso entspannt wie entschlossen. Der Trainer des abstiegsbedrohten Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München erfüllte seine Rolle in der Pressekonferenz erstaunlich gut, obwohl schon Gerüchte die Runde gemacht hatten, er werde sogar bei einem Sieg am Sonntag (13.30 Uhr) beim Tabellenvierten Darmstadt 98 entlassen. Angesprochen auf den im Winter von Sechzig zu Darmstadt transferierten Yannick Stark ließ sich Ahlen gar zu einem kleinen Scherz hinreißen: "Wenn wir mehr Tore erzielen als Darmstadt, darf er von mir aus sogar eins schießen."

Man durfte Markus von Ahlen glauben, dass er Stark "alles Gute" wünscht - der Wechsel war keineswegs eine Idee des Trainers. Ihm fehlt nun ein Achter, ein zentraler Mittelfeldspieler mit gewissen Offensivqualitäten - stattdessen holte Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner in Anthony Annan, einem früheren ghanaischen Nationalspieler, der zuletzt in Finnland unter Vertrag stand, einen Sechser in den Kader. Weil Ilie Sanchez in Darmstadt gesperrt und Dominik Stahl noch nicht einsatzbereit ist, könnte Ahlen Annan nun tatsächlich gut brauchen - doch womöglich spielt der etablierte Kai Bülow im defensiven Mittelfeld. Denn Annan kam mit Trainingsrückstand und wenig Spielpraxis aus dem Winterurlaub.

Seit den Wintertransfers hat die ohnehin schon vehemente Kritik an Poschner noch einmal zugenommen. Beim 1:2 zum Rückrundenauftakt gegen Heidenheim schaffte es keiner aus dem verpflichteten Trio in die erste Elf. Von Poschner, der zuvor als Spielervermittler tätig war, hatten sie sich bei Sechzig Kontakte erhofft - Kontakte hat er zweifellos auch, doch es sorgte für Verwunderung, nach welchen Kriterien er sie nutzt. Von den mittlerweile 13 Spielern, die er holte, überzeugte außer Torjäger Rubin Okotie keiner.

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Zwar investierte der jordanische Geldgeber Hasan Ismaik in den Totalumbruch offenkundig weniger als erwartet. Aber dank etlicher gewinnbringender Weggänge - darunter Stürmer Bobby Wood, der am Freitagabend für den direkten Konkurrenten Aue zwei Tore beim 3:2-Sieg in Düsseldorf erzielte - stand Poschner doch ein ordentliches Budget zur Verfügung. Die Spieler, die gingen, teils Leistungsträger der vergangenen Saison, fühlten sich regelrecht weggeekelt, um Platz im Etat zu machen. Es fing an mit Torwart Gabor Kiraly, es endete nun mit Yannick Stark.

Bei den Anhängern steht der Sport-Geschäftsführer schon länger in der Kritik, "Poschner raus" brüllten sie schon im Dezember vergangenen Jahres (statt die Entlassung Ahlens zu fordern). Und auch innerhalb des Vereins regt sich zunehmend Widerstand gegen das System, das Poschner bei Sechzig aufgebaut hat.

In der Mannschaft rumort es seit Saisonbeginn; dass im Winter weitere sechs unzufriedene Spieler gingen, heißt nicht, dass es nicht noch einige gäbe, die den Verein so schnell wie möglich hinter sich lassen wollen. Das auffällig oft beschworene neue Gemeinschaftsgefühl war auch beim 1:2 gegen Heidenheim nicht zu erkennen, nicht auf dem Platz, nicht in den Aussagen nach dem Spiel.

"Das Schlimmste ist, wenn der Trainer geht und Poschner bleibt"

Auch in der Nachwuchsabteilung gibt es Kritiker, die sich beispielsweise darüber aufregen, dass Poschner sein bevorzugtes (und bislang bei der ersten Mannschaft erfolgloses) 4-3-3-System unbedingt auch bei den Jugendteams umgesetzt haben will. "Das ist natürlich unser Ziel", sagt Poschner, "es wird immer Leute geben, die irgendwelche Dinge nicht gut finden." Und in der medizinischen Abteilung hat es bereits einen großen Schlag getan - Mannschaftsarzt Alois Englhard erklärte kurz vor dem Trainingslager seinen Rücktritt.

Sein Kollege Willi Widenmayer, seit 1992 beim TSV 1860 und eine Institution bei Münchner Leistungssportlern, will trotz allem gerne bei seinem Lieblingsverein weitermachen. "Aber wenn's noch ein bisschen dauert, ist der andere Arzt auch weg", sagt Englhard. Er hatte zu den Gründen seines Rücktritts erst einmal geschwiegen, er wolle eigentlich keine schmutzige Wäsche waschen, sagt er. Aber jetzt überkam ihn beim Spiel gegen Heidenheim offenbar die Angst um 1860.

"Das Schlimmste, was passieren kann, ist eine kleine Lösung: dass der Trainer geht und Poschner bleibt", sagt Englhard nun ganz offen, was ein Angestellter der KGaA selbstredend nicht sagen kann: "Für den Verein geht es um Sein oder Nichtsein. Bisher ist unter Poschner gar nichts besser geworden, sondern alles immer nur noch schlechter." Den Misserfolg, der auf den Abstiegs-Relegationsplatz führte, hält er für systembedingt: "Und die Leute, die das wissen, will er loswerden."

Da traf es sich für Poschner günstig, dass Ausfälle zweier seiner Transfers aus Spanien in einer Boulevardzeitung plötzlich den Vereinsärzten angelastet wurden - schützend vor die Angestellten stellte sich der Sport-Geschäftsführer nicht. "Bei Edu Bedia wurde eine Schambeinentzündung diagnostiziert, das ist eine Überlastungserscheinung", erklärt Englhard: "Belastung und Belastbarkeit haben nicht zusammengepasst - er hat unter Ricardo Moniz (früherer Trainer, d. Red.) viel trainiert aus einem nicht optimalen Zustand heraus." Auf Englhards Hinweis, der Mittelfeldspieler müsse dringend geschont werden, habe Poschner keine Rücksicht genommen: "Entgegen explizitem ärztlichen Rat wurde Edu Bedia eingesetzt, aus welchen Gründen auch immer. Die Verletzung wurde dadurch viel schlimmer und dauert nun natürlich viel länger."

Beim nachverpflichteten Stürmer Rodri, der vor seiner Ankunft bei Sechzig vereinslos war, dessen Transferrechte aber noch beim kleinen spanischen Drittligisten Gimnàstic de Tarragona lagen und für den Ablösezahlungen von 500 000 Euro überliefert sind, mag Englhard die Schuld an der Krankenakte ebenfalls nicht auf sich nehmen.

"Rodri hatte eine Prellung. Im Kernspin hat man gesehen, dass zusätzlich eine alte Verletzung vorlag", berichtet Englhard: "Er hatte einen freien Gelenkkörper, überhaupt nichts Dringendes. Das hätte ich höchstens in der Winterpause operiert. Dann ging er nach Spanien, kam zurück - und hatte eine Bänder-OP machen lassen. Medizinisch war das unnötig und unsinnig." Er finde es "perfide", klagt Englhard, "dass Poschner diese Ausfallzeiten, für die er mitverantwortlich ist, den Vereinsärzten ankreidet". Der Sport-Geschäftsführer sagt zu dem Vorwurf nur: "Zu der Thematik Gesundheitsakten unserer Spieler werde ich mich nicht äußern."

Eine beachtliche Anzahl an Kritikern

Einen ähnlich mächtigen Sportdirektor wie Poschner hatte 1860 zuletzt in Miroslav Stevic (2009 bis 2011) - der hatte allerdings in Reiner Maurer einen relativ eigensinnigen Trainer neben sich, der meist aufstellte, wen er wollte, und auf Einkaufspolitik keine Rücksicht nahm. Zudem hatte Miroslav Stevic vergleichsweise Erfolg; einen finanziellen Scherbenhaufen hinterließen er mit seinen Transfers dennoch.

Spieler, Angestellte der KGaA und des Nachwuchsleistungszentrums, Ärzte und Betreuer - für seine kurze Amtszeit hat Poschner, wohl auch vor der Hintergrund der Erfahrungen mit Stevic, im Verein eine beachtliche Anzahl an Kritikern. Auch das Präsidium zählt offenkundig dazu; Gerhard Mayrhofer hält den Umbruch unter Poschner wie seine Kollegen dem Vernehmen nach für gescheitert und sagte dem Münchner Merkur unter der Woche: "Natürlich besteht Handlungsbedarf. Uns ist allen klar, dass wir nicht so weitermachen können." Zwar schickte Mayrhofer ein Dementi hinterher, doch dieses war so seltsam formuliert ("ich habe nicht davon gesprochen, dass die sportliche Führung angezählt sei"), dass es nahe liegt, dass Mayrhofer nichts dementieren wollte. Seine Sätze nahm er jedenfalls nicht zurück.

Aber er fühlte sich wohl zu einer Art Gegendarstellung verpflichtet - es hat den Anschein, dass die Präsidiumsmitglieder längst zu Marionetten geworden sind. Mayrhofer wählte zum Amtsantritt den bewussten Weg einer intensiven Kooperation mit Investor Ismaik. Wer zahlt, schafft an - nun zahlt Ismaik offenbar weniger als erhofft und schafft mehr an als befürchtet. Die Entscheidung über die Besetzung der sportlichen Leitung dürfte de facto Ismaiks Cousin und Statthalter Noor Basha treffen.

Im Trainingslager in Marbella sah man Basha, der einst bei Sechzig Chefscout werden wollte und mit einem Posten in der Vermarktung vertröstet wurde, stets an Poschners Seite, ob am Trainingsplatz oder an der Strandpromenade. Basha ist so nah an den sportlichen Entscheidungen, dass er wohl irgendwann das Gefühl bekam, er treffe sie selbst.

Für Poschner ist es ziemlich egal, wie viele Feinde er hat, so lange er die richtigen Freunde auf seiner Seite weiß.

© SZ vom 14.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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