Tour de France:Die Tour soll losrollen - irgendwie

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Passt in keine Handtasche: Ein Radsport-Freund schwenkt 2019 eine XXL-Version der Trikolore Frankreichs, an der sich die Profis beim Anstieg nach Tignes erfreuen sollen. (Foto: Jeff Pachoud/AFP)
  • Der Ausrichter der Tour de France bestätigt, dass man an einem alternativen Termin für die Rundfahrt arbeitet.
  • Dass die Tour de France, inoffizielles Nationalheiligtum, nicht im Hochsommer stattfinden wird, gab es seit der Premiere des Rennens vor 117 Jahren noch nie.
  • Ralph Denk, der Teamchef der deutschen Bora-hansgrohe-Equipe, sagt, eine Tour ohne Zuschauer könnten die Teams verkraften, einen Ausfall sehr viel weniger.

Von Johannes Knuth

Emmanuel Macron hatte verbal ein wenig abgerüstet, als er am Montagabend zu seiner Nation sprach. Der französische Präsident erklärte der Corona-Pandemie nicht mehr den "Krieg", wie noch in den vergangenen Wochen; phasenweise bat er sogar ungewohnt demütig um Verständnis dafür, dass er die Ausgangsbeschränkungen bis zum 11. Mai verlängern müsse. Öffentliche Großanlässe mit Publikum seien zudem bis Mitte Juli unterbunden, "mindestens", betonte Macron, wobei er durchblicken ließ, dass all diese Daten in etwa so verbindlich sind wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.

Eine recht konkrete Antwort ließ sich aus seinem Auftritt aber schon herausfiltern: dass die Tour de France, das inoffizielle Nationalheiligtum des Landes, nicht vom 27. Juni bis 19. Juli stattfinden kann, wie die Veranstalter bis zuletzt gehofft hatten. Am Dienstag bestätigte der Ausrichter ASO dann auch, dass man an einem alternativen Termin arbeite. Ein kleiner Spalt war zwar noch offen gewesen; Macrons jüngste Verfügung erlaubt ja schon, dass Großevents ohne Publikum weiter stattfinden könnten. Aber Tour-Chef Christian Prudhomme hatte sich schon vor zwei Wochen gegen eine Rundfahrt ohne Zuschauer gestemmt: "Die Tour de France", sagte er, "lebt von der Inbrunst, dem Enthusiasmus und den strahlenden Gesichtern der Fans."

Nun steht erst einmal nur fest, dass "La Grande Bouclé", die große Schleife, in diesem Jahr - wenn überhaupt - jenseits des gewohnten Termins im Hochsommer losrollen wird. Das gab es seit der Premiere des Rennens vor 117 Jahren auch noch nie. Macron stellte am Montagabend immerhin in Aussicht, dass eine größere Zahl an Betrieben nach dem 11. Mai wieder die Arbeit aufnehmen könnten. Davon könnten auch Rennradfahrer profitieren, die in Frankreich derzeit, anders als in Deutschland, nicht auf der Straße trainieren dürfen.

Startet die Tour am 29. August?

Und dann? Werde es wohl mindestens einen, eher knapp zwei Monate dauern, mutmaßt die Sportzeitung L'Équipe, um den Radsport-Betrieb wieder hochzufahren; auch um Vorbereitungsrennen wie die Dauphiné eventuell nachzuholen, die bereits verschoben wurde. Eine verzögerte Tour, mutmaßte das Blatt, sei erst Ende August oder Anfang September realistisch. Die Zeitung Le Dauphiné meldete am Dienstagabend bereits, die Tour werde am 29. August in Nizza gestartet und am 20. September auf dem Champs-Élysées in Paris beendet.

Das Wort der L'Équipe ist dabei durchaus von Bedeutung, kein Medium begleitet die Tour leidenschaftlicher, keines ist so sehr mit ihr verflochten. Die Zeitung gehört zur Amaury-Gruppe, unter deren Dach auch die Tour-Ausrichter beheimatet sind. Die Tour, sagen Kenner, ist dabei die "Milchkuh" des Konzerns, frei übersetzt: Sollte sie ersatzlos ausfallen, wären die finanziellen Folgen massiv - wenn auch wohl nicht ganz so heftig wie bei den Nachbarn. Die Gazzetta dello Sport, deren Zeitungspapier so rosa schimmert wie das Trikot des Führenden beim Giro d'Italia, könnte in schwere Turbulenzen geraten, sollte die diesjährige Italien-Rundfahrt ausfallen, sagen Insider. Derzeit hoffen die Veranstalter, ihren Giro statt im Mai nun im Oktober abzuhalten. Vermeldete zuletzt die Gazzetta.

Aber das wichtigste Kraftzentrum der Branche ist immer noch die Tour, naturellement. Hier versichert sich der Radsport Jahr für Jahr seiner Größe, ein Ausfall wäre in etwa so, als würde man den Bierbrauern und Schaustellern das Oktoberfest entreißen. Ralph Denk, der Teamchef der deutschen Bora-hansgrohe-Equipe, sagt, dass sein Team zwischen 60 und 80 Prozent seines jährlichen Werbewertes (rund 300 Millionen Euro) bei der Tour generiere. Dieser Wert bemisst sich vor allem aus der Summe, die ein Sponsor in Werbung investieren müsste, um so präsent zu sein, wie er es mit seinen Team-Logos während den TV-Übertragungen der Etappen ist. Eine Tour ohne Zuschauer könnten die Teams also verkraften, sagt Denk, einen Ausfall sehr viel weniger. "Ich glaube fest daran, dass die Tour stattfindet", sagt er, voller Inbrunst, ehe er mit etwas weniger Ernst anfügt: "Und wenn es im Dezember ist."

Denk beobachtet freilich auch, wie sich gerade eine immer dunklere Wolke aus Angespanntheit über die Branche legt. Er kürze derzeit keine Gehälter von Fahrern und Mitarbeiter, wie es andere Teams längst tun; er habe auch das Glück, dass seine Sponsoren "rund um das Hausgewerbe" aktiv sind. Das sei von der Pandemie derzeit noch nicht schwer getroffen. Aber dieser Status, gibt Denk zu, wird wohl nur bis Mitte Mai währen: "Dann müssen wir die Sachlage neu bewerten." Er habe schon jetzt, ohne die Frühjahrsklassiker, "einen mittleren sechsstelligen Betrag verloren", Antrittsgelder etwa, die mit einem Weltmeister wie Peter Sagan in der Mannschaft gerne üppiger ausfallen.

Aber selbst derartige Verluste könne man verkraften - solange die Tour irgendwie stattfindet. Weltverband, Fahrervertreter und Rennorganisatoren arbeiten derzeit dem Vernehmen nach daran, die übrigen Landesrundfahrten und auch die fünf sogenannten Monumente rund um die Frankreich-Rundfahrt zu legen, in einer dichten Herbstsaison.

Bei Rundfahrten wie der Tour kommt noch eine Hürde hinzu: Städte und Gemeinden müssen kleine fünfstellige Beträge an die ASO entrichten, wenn das Peloton durch ihren Ort rollt. Für den Grand Départ werden sogar mehrere Millionen Euro fällig. Das rechnet sich, wenn überhaupt, nur dann, wenn Zuschauer und Touristen kommen, ein Volksfest gehört da fast zur Grundausstattung. (Düsseldorf machte mit seinem rauschenden Tour-Start vor drei Jahren übrigens immer noch knapp acht Millionen Euro Verlust.) Rauschende Volksfeste versetzen Virologen derzeit aber nicht gerade in Ekstase, zumindest solange kein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden ist. Macron bekräftigte zuletzt, Frankreich sei noch "weit entfernt" davon, so sehr immunisiert zu sein, dass sich das Virus in der Bevölkerung nicht mehr verbreite. "Der erste Weg aus der Epidemie", sagte er, "ist eine Impfung." Ob sich da eine Rundfahrt, die für gewöhnlich bis zu zwölf Millionen Zuschauer anzieht, noch in diesem Herbst realisieren lässt?

Selbst eine Tour ohne Zuschauer wäre wohl ein großes Wagnis. Zum einen, weil sich eine 3000 Kilometer lange Route nur schwer absperren lässt. Zum anderen, weil der Tross drei Wochen lang wie ein Wanderzirkus von Ort zu Ort zieht - ein Corona-Positivtest des Bäckers, der am Morgen den Team die Baguettes zuliefert, und die Geistertour würde schwer ins Wanken geraten. Und mit ihr eine ganze Branche.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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