Tour de France:Hoffnungen in Orange

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Tom Dumoulin. (Foto: Bernoit Tessier/Reuters)

Der Niederländer Dumoulin ist einer der letzten Widersacher vom Team Sky. Als starker Zeitfahrer kann er noch auf der vorletzten Etappe am Samstag wichtige Sekunden aufholen.

Von Johannes Knuth, Carcassonne

Alles wirkt so leicht bei ihm, selbst wenn Tom Dumoulin sich nach einer stressigen Etappe das Laktat aus den Beinen strampelt. Der Niederländer saß am Sonntag in Carcassonne auf dem Rad vor dem Teambus, fragte das Befinden aller Kinder ab, die sich bei ihm um ein Autogramm bemühten. Er referierte noch ein bisschen über Carcassonnes Zitadelle aus dem 13. Jahrhundert, machte sich für den Umweltschutz am benachbarten Mittelmeer stark, nippte an seinem Rotwein, gönnte sich einen Happen Cassoulet, ein in der Region berühmter Eintopf mit weißen Bohnen und Schweinefleisch ...

Gut, es ist nicht zweifelsfrei belegt, dass sich das alles genau so abgespielt hat. Aber es war auch nicht meilenweit von der Leichtigkeit entfernt, die Dumoulin gerade vor sich herträgt. Er, der 1,86 Meter groß und 69 Kilo leicht ist, Gesicht wie ein Schauspieler einer Vorabendserie. "Beautiful Tom" riefen sie ihn nach seinem Sieg 2017 beim Giro d'Italia, auch wenn das eher mit einem spöttischen Bass unterlegt war. Ein Reporter hat ihn mal Schmetterling von Maastricht getauft, weil er unbekümmert von Erfolg zu Erfolg zu flattern scheint. Dumoulin mag das gar nicht. Er arbeite hart und er sei auch sehr müde nach den ersten zwei knüppelharten Wochen bei der Tour de France, sagte er am Sonntag. "Nur hoffentlich weniger müde als andere." Dann lächelte er, wie in der Zahnpastawerbung.

Der 27-Jährige sticht schon deshalb heraus, weil man vor der letzten Woche dieser Tour nicht mehr viele unbeschwerte Gesichter im Fahrerlager erspäht. Der Italiener Vincenzo Nibali kollidierte am Donnerstag im Pyronebel von Alpe d'Huez mit einem Zuschauer, gab mit Wirbelbruch auf. Frankreichs Hoffnung Romain Bardet liegt schon weit zurück; nachdem er am giftigen Anstieg in Mende die Favoriten aus den Augen verlor, zeichnete das Tour-Organ L'Equipe die Stelle seiner Ermattung auf einer Karte ein wie das Epizentrum eines Erdbebens. Und Nairo Quintana ist nur noch eine blasse Kopie jenes Bergflohs, der einst allen davonsprang.

Bleiben noch zwei ernsthafte Bewerber, die den sechsten Sieg der britischen Equipe Sky in den vergangenen sieben Jahren vereiteln könnten: Primoz Roglic, der ehemalige Skispringer aus Slowenien, der 2:38 Minuten hinter dem Führenden Geraint Thomas liegt. Und Dumoulin, mit 1:50 Minuten Hypothek auf Thomas, sogar nur 10 Sekunden auf dessen Teamkollegen Chris Froome. Der Niederländer, der schon immer konstant in der Ebene und vor allem im Zeitfahren war, kommt mit seinem Motor längst erstaunlich gut über die großen Berge. Manche Beobachter finden das sogar ein bisschen zu erstaunlich, aber mit solchen Kleinigkeiten hält sich der Radsport ja nicht lange auf. Bleiben Roglic und Dumoulin, zwei exzellente Zeitfahrer, bis zum Kampf gegen die Uhr am Samstag im Schatten der beiden Sky-Profis, könnte es noch mal spannend werden. Auch deshalb halten viele Dumoulin die Daumen, wenn ab Dienstag drei schwere Prüfungen in den Pyrenäen bevorstehen.

Thomas, Froome und ihre starke Equipe besetzen natürlich noch immer die Pole Position. Womit aber viele nicht gerechnet hatten: dass der Adjutant Thomas noch immer vor seinem Kapitän liegt und gar nicht daran denkt, sein Gelbes Trikot rauszurücken. Beim Ruhetag am Montag weichte Sky die Hierarchie noch mal auf: Man arbeite weiter zusammen, sagte Froome, aber sollte er schwächeln, dürfe Thomas fahren, klar. "Solange ein Fahrer von uns gewinnt, bin ich happy", beteuerte der 33-Jährige. Würde er also seinen fünften Tour-Gesamtsieg opfern, das historische Double mit dem Giro, den er im Mai gewonnen hatte, fragte ein Reporter? Froome sagte: "Ja."

Bei Sunweb, Dumoulins deutscher Equipe, haben sie diese Spielchen natürlich registriert. "Vielleicht stehen sie sich sogar selbst im Weg", sagte Nikias Arndt, der in Carcassonne Neunter geworden war. Der deutsche Profi verwies auf das Duell in Mende, als Thomas attackiert hatte und Froome sofort hinterherfuhr, obwohl Dumoulin in Froomes Schatten hing und so leichter zu Thomas aufschloss. Am Sonntag schlug Sky-Profi Gianni Moscon dann den jungen Franzosen Elie Gasbert ins Gesicht und wurde disqualifiziert. Dem Ansehen beim französischen Publikum, das die affärenumspülte Equipe seit Beginn der Tour auspfeift, "hilft das sicher nicht", sagte Froome am Montag.

Und Dumoulin? "Alles bei der Tour ist Zugabe", sagt er, ihm steckt ja noch der Giro in den Knochen, den er im Mai als Zweiter hinter Froome beendete. Aber diese vermeintliche Leichtigkeit lenkt auch von seiner anderen Seite ab: ehrgeizig, gewissenhaft, klare Vorstellung davon, was er will. "Er hat immer ein offenes Ohr für uns, kann aber sehr direkt sein", sagt Arndt. Als das Algemeen Dagblad vor drei Jahren Dumoulins ehemalige Biologielehrerin besuchte, legte sie dem Reporter dessen Facharbeit vor, über "Laktatbelastung nach intensivem Training". Der damals 18-jährige Dumoulin erklärte im Vorwort, dass sein Trainer ihm nicht habe erklären können, wie lange er regenerieren solle, er müsse das also selbst herausfinden.

Dumoulin, sagte Froome, scheine weniger nach Gefühl zu fahren, sondern nach Daten und Zahlen. "Er hält sein Tempo, lässt sich am Berg zurückfallen, kommt aber wieder zurück. Das ist eine ganz andere Dynamik", sagte Froome. Das orangene Uhrwerk hat noch ein bisschen was vor bei dieser Tour.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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