Tour de France: Doping:Auf die Nase gefallen

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Das niederländische Team Rabobank wirkt bei der Tour merkwürdig labil. Gegen Kapitän und Giro-Sieger Mentschow ermittelt die Wiener "Soko Doping" - und öffnet Akten.

Andreas Burkert

Über Denis Mentschow spricht im Moment keiner bei der Tour. Dabei geht es am Sonntag erstmals in die Alpen, vielleicht sieht man ja dort mal etwas vom russischen Rabobank-Kapitän. Denis Nikolajewitsch Mentschow, 31, hat schließlich im Mai den Giro d'Italia gewonnen, "mein größter Erfolg", sagt er stolz.

Das niederländische Team Rabobank beim Mannschaftszeitfahren der diesjährigen Tour de France. (Foto: Foto: AFP)

Doch in Frankreich präsentiert er sich bislang in seltsam labiler Verfassung: Platz 28, fünf Minuten hinter den Favoriten vom Team Astana. Beim Mannschaftszeitfahren ist er sogar gestürzt, wie in den ersten zwei Tour-Wochen überhaupt fast alle seiner Teamkollegen einmal auf der Nase lagen. Es hat bisher fast den Eindruck, als seien Mentschow und seine Leute ein wenig durcheinander wegen dieser unangenehmen Sache in Wien. Wegen der Soko Doping.

Mehr als eine Handvoll Profis des niederländischen Rennstalls seien Kunden der Blutbank Humanplasma gewesen, dies ist aus Wien an die Öffentlichkeit gedrungen. Bis 2006 wurde das Fachinstitut von Dutzenden von Athleten genutzt, ganz offrenbar auch von ausländischen; deutsche Wintersportler sollen die Großtankstelle ebenfalls genutzt haben.

Team Rabobank hat nun während der Tour de France offiziell bestätigen müssen, dass drei Fahrer bereits für Zeugenvernehmungen in Wien gewesen sind - neben den Niederländern Pieter Weening (nicht bei der Tour am Start) und Joost Posthuma auch Mentschow. Freiwillig habe man kooperiert, hieß es in der Erklärung. Das Trio sagte vor der Soko Doping, einer zehnköpfigen Sondereinheit, aus, es habe mit dem verbotenen Blutaustausch "nichts zu tun".

Zuvor hatten bereits die früheren Rabobank-Fahrer Thomas Dekker, Michael Boogerd und Michael Rasmussen Vorladungen erhalten. Dekker, seit 2009 bei Lotto, ist soeben mit Epo-Doping erwischt worden. Der einstige Rabobank-Leader Rasmussen ist nach dem Skandal bei der Tour 2007, als der Däne wegen Lügen über Trainingsaufenthalte kurz vor dem Gesamtsieg aus dem Rennen genommen wurde, noch nicht wieder startberechtigt.

Er soll im August in Wien aussagen. Er muss. Rasmussen wird ja nicht nur verdächtigt, die nach Humanplasmas Enttarnung von seinem Agenten Stefan Matschiner offenkundig betriebene Blutzentrifuge genutzt zu haben: Laut des geständigen Kronzeugen Bernhard Kohl, Austrias einst umjubelter Bergkönig 2008, hat er sich sogar am Kauf der Zentrifuge beteiligt.

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Und so begleitet die Wiener Affäre wie eine unsichtbare Gewitterwolke das Team Rabobank - Orkanböen jederzeit möglich. Und die Niederlande, eine klassische Hochburg des Radsports wie Belgien oder Spanien, wo gewöhnlich weniger heikle Fragen gestellt werden, sind inzwischen durchaus sensibilisiert für das Thema: Soeben hat ein anderer Nationalheld, der ehemalige Turn-Weltmeister Yuri van Gelder, unter Tränen einen Positivtest auf Kokain bestätigt.

Der Radsport ist noch nicht besonders feinfühlig: So ist es in den Niederlanden möglich, dass Nationaltrainer Leo van Vliet mit einer Brauerei ein Einladungsrennen in der Karibik veranstaltet, und ein Radjournalist der größten Tageszeitung dieses "Curacao Race" mitorganisiert. Im November findet es wieder statt.

Die in der Kundendatei des spanischen Dopingarztes Fuentes geführten Tour-Mitfavoriten Frank Schleck und Alberto Contador, aber auch Dekker, Belgiens Kokain-Sünder Tom Boonen und viele Asse mehr waren schon dort. Ein Geschäft mit guten Bekannten. In der erwähnten Tageszeitung hat Dekker zu seiner Epo-Probe kürzlich sagen dürfen, er sei unschuldig und "verarscht" worden.

Auch der Sponsor von Dekkers langjährigem Radteam, eine Bank, steht bisher mit bewundernswertem Langmut zu dem bis 2012 datierten Engagement. Schon beim Tour-Skandal um Rasmussen hielt der Geldgeber still. Dabei gibt es Anhaltspunkte, die flächendeckendes Doping bei diesem traditionsreichen Pro-Tour-Team zumindest für die Vergangenheit nahelegen. So war - dies ist bisher nicht bekannt gewesen - offenbar auch der spanische Klassikerspezialist Juan Antonio Flecha, seit 2006 beim Team Rabobank, Kunde des Blutarztes Fuentes. "Ja, der Name ist uns bekannt", sagt ein internationaler Ermittler. Aber der Skandal um Fuentes kommt ja in Spanien nicht voran. Die Politik will es so.

Die Politik in Österreich, das ist die schlechte Nachricht für Rabobank, lässt die effektive Soko in Wien gewähren. Da das neue Dopinggesetz erst im Juni 2007 in Kraft trat, ist die Akte Humanplasma derzeit zwar geschlossen. Doch dank Kohl und vor allem wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehungen dürfte sie bald neu geöffnet werden. Mentschow und die anderen müssen dann wohl erneut in den Zeugenstand. Unter Eid.

Zudem hat Wiens Justizministerium die Ermittler angewiesen, den jeweiligen Anti-Doping-Agenturen (Nada) "im Fall eines begründeten rechtlichen Interesses und je nach Einzelfall auch schon jetzt, vor Abschluss der Ermittlungen", Akteneinsicht zu gewähren, wie Justizsprecherin Katharina Swoboda bestätigt: "Und beim Verdacht gegen Sportler, die zu Zwecken des Dopings verbotene Wirkstoffe oder Methoden eingesetzt, besessen oder angewandt haben, wird ein begründetes rechtliches Interesse zur Prüfung von Disziplinarverfahren nicht zu bestreiten sein." Herman Ram, der niederländische Nada-Chef, sagt: "Danke für den Hinweis, denn wir sind sehr an den Akten interessiert. Ich schreibe sofort nach Wien."

© SZ vom 18.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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