Torlinientechnik in der Bundesliga:15:3 für das Falkenauge

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Wäre auch ein Fall fürs Hawk Eye gewesen: Bayern-Profi Dante klärt im Pokalfinale 2014 gegen Dortmund. (Foto: dpa)

Im zweiten Versuch eine klare Mehrheit: Die Erst-Bundesligisten beschließen die Einführung der Torlinientechnik von Sommer 2015 an. Zum Zug kommt das britische "Hawk-Eye"-Modell - nur drei Klubs sollen dagegen gestimmt haben.

Von Ulrich Hartmann, Frankfurt

Ein Gewerbegebiet im Frankfurter Südwesten. An jedem Bürogebäude ein bekannter Schriftzug: Nestlé, Hochtief, Siemens, Allianz. Hier sitzen Weltmarken, Konzerne, die ihre Geschäfte kühl und rational planen. Dazwischen: ein Luxushotel, in dessen Konferenzsaal "Arabella" am Donnerstag die Deutsche Fußball-Liga (DFL) tagte.

Vor neun Monaten war bei solch einer Versammlung die sogenannte Torlinien-Technologie zur Überprüfung umstrittener Torsituationen mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Denn es gibt immer noch Menschen, die im Milliardengeschäft Fußball elementare Dinge wie die Rechtmäßigkeit von Toren lieber der spontanen Entscheidung eines Schiedsrichters überlassen. Doch diese Traditionalisten werden weniger.

Stimmen zur Torlinientechnik
:"Das ist Unfug, weil zu kurz gedacht"

Die Bayern loben den eigenen Antrag, Stuttgart hofft auf mehr Hilfe für die Schiedsrichter: Die Bundesliga stimmt für die Einführung der Torlinientechnik. Doch es gibt auch kritische Stimmen, etwa aus Augsburg.

Nur noch drei Erstliga-Klubs - offenbar Frankfurt, Augsburg und Paderborn - haben am Donnerstag gegen die Einführung der Torlinien-Technologie gestimmt. Rationaler Fortschritt hält damit bald Einzug in den emotionalen Fußballbetrieb. Und das ist womöglich nur der erste Schritt hin zum Video-Schiedsrichter, der den Fußball der Zukunft vor einer Video-Wand überwachen könnte.

Zunächst sorgt nun ab Sommer 2015 ein messerscharfes "Falkenauge" für mehr Gerechtigkeit in der Bundesliga. In einem historischen Schritt haben die 18 Erstliga-Vereine beschlossen, dass die britische Torlinien-Technologie "Hawk-Eye" von der kommenden Saison an darüber wacht, ob ein Tor auch wirklich ein Tor war, ob also im Zweifelsfall der Ball die Torlinie in vollem Umfang überschritten hat.

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15:3 lautete das Abstimmungsergebnis am Donnerstag. Die Deutlichkeit mag überraschen, allerdings unterschied sich diese Abstimmung gravierend von der vorangegangenen im März, als die Torlinien-Technologie durch das Veto einer Mehrheit der 36 Erst- und Zweitligisten klar abgelehnt worden war. Diesmal durften nur die finanzkräftigeren Erstligisten entscheiden - und zwar, nachdem sie vom Vorstand der DFL konkret über das Angebot des Anbieters "Hawk-Eye" informiert worden waren. "Jetzt wurde mal ersichtlich, wie hoch die Kosten sind", stellte Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl zufrieden fest: "Beim letzten Mal gab es dazu nur vage Vermutungen."

Auf "weniger als 8000 Euro pro Spiel" bezifferte DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig die Kosten für Installation und Betrieb. Das wären weniger als 136 000 Euro pro Verein pro Saison. Vor neun Monaten habe man keine Zahlen nennen können, das habe sicher einen Unterschied bei der Akzeptanz ausgemacht. 9:9 lautete das Abstimmungsergebnis der 18 Bundesligisten damals. Weil seinerzeit aber auch die zweite Liga mitstimmte und die teurer eingeschätzte Technologie mit 15:3 Stimmen ablehnte, fiel der DFL-Vorstoß damals mit 12:24 Stimmen durch.

Das jetzige 15:3-Pro-Votum der Erstklässler hatte also auch damit zu tun, dass Rettig diesmal schon vor der Abstimmung konkrete Zahlen nannte. "Wir freuen uns über diese klare Entscheidung", sagte Rettig anschließend, "wir als Ligaverband waren im vergangenen März noch gar nicht so weit, eine klare Empfehlung abgeben zu können." Zwischenzeitlich seien alle 18 Stadien vermessen worden, und man habe die Anwendbarkeit des Systems exakt auf jedes Stadion projizieren können. "Die Ablehnung im März hatte insofern etwas Gutes, als es sonst wohl nicht zu solch einem guten Ergebnis wie heute gekommen wäre", folgerte Rettig, "wir haben ein sehr gutes Angebot bekommen."

"Hawk-Eye" bietet ein ähnliches System wie der deutsche Bewerber "GoalControl" aus Würselen, der mit seiner Technologie die jüngste Weltmeisterschaft in Brasilien ausgerüstet und auch für die Bundesliga als Favorit gegolten hatte. Ein Anforderungskatalog der DFL mit allerhand Punkten wie Erfahrung, Genauigkeit, Ausbaufähigkeit, Zuverlässigkeit, Handling und Preis habe beim Gesamteindruck jedoch für jenes "Falkenauge"-System gesprochen, das bereits beim Tennisturnier in Wimbledon und in der britischen Premier League zum Einsatz kommt. "Die Erfahrungen aus 500 Spielen Premier League sind in unseren Entscheidungsprozess eingeflossen", sagt Rettig.

Dabei ist die hitzig diskutierte Torlinien-Technologie, die im Laufe jeder Saison vielleicht nur ein-, zwei-, dreimal gebraucht wird, womöglich nur ein Zwischenschritt zu einer noch umfassenderen Kontrolle durch einen Video-Schiedsrichter. Dieser könnte irgendwann in einem Übertragungswagen vor einer Wand aus Monitoren sitzen und dem Schiedsrichter auf dem Feld seine Erkenntnisse per Funk mitteilen. Im einst so konservativ eingestellten Weltverband Fifa scheint derzeit sogar eine Entwicklung hin zu einer solchen Überwachung denkbar zu sein. "Das liegt aber noch in weiter Ferne", glaubt Andreas Rettig.

Außer einem Pilotprojekt beim niederländischen Fußballverband sei "diese Sache noch überhaupt nicht ausgereift", ergänzt er. Es sei nun aber der nächste Schritt, Derartiges einmal in der Praxis auszuprobieren. Schließlich lasse das "Hawk-Eye"-System auch für die Zukunft alle Möglichkeiten offen. Die neue Torlinien-Technologie wird von der kommenden Saison an in den 18 Erstliga-Stadien zum Einsatz kommen. Für Pokalspiele ab dem Viertelfinale und für Relegationsspiele besteht die Möglichkeit, auch in Zweit- oder Drittliga-Stadien ein mobiles System aufzubauen.

Von den meisten Klubvertretern wurde die neue Technologie als "Schritt in die richtige Richtung" bezeichnet. Auch der FC Bayern, der im Mai nach dem im Pokalfinale verwehrten Tor des Dortmunders Mats Hummels die erneute Abstimmung beantragt hatte, ließ durch Präsident Karl Hopfner ausrichten, man sei "sehr froh". Skeptisch äußerte sich Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen: "Es wird dadurch keine entscheidenden Veränderungen im Fußball geben - wenn wir diese Technologie in Frankfurt vor zehn Jahren eingeführt hätten, hätten wir sie jetzt zehn Jahre gehabt, ohne sie ein einziges Mal zu nutzen." Der Mainzer Präsident Harald Strutz wurde sogar wehmütig. Er bedaure, sagt er, "dass man nie wieder über ein Tor wie das Wembley-Tor diskutieren wird".

© SZ vom 05.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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