Am traurigsten Tag der Geschichte der Tour de France brennt die Sonne erbarmungslos. Mehr als 40 Grad werden an jenem 13. Juli 1967 gemessen, die Fahrer quälen sich durch die Hitze - und dann geht es am Ende der 13. Etappe noch den Mont Ventoux in der Provence hinauf, den die Sportler ehrfurchtsvoll "Teufelsberg" nennen. Die Steigung beträgt kurz vor dem Gipfel fast acht Prozent. Was dann an diesem Nachmittag passiert, lässt auch 50 Jahre später Radsportfans schaudern.
Tom Simpson ist im vorderen Feld dabei. Der Brite, der in seiner Karriere bereits die Flandern-Rundfahrt gewonnen hat und Straßen-Weltmeister wurde, hat in diesem Jahr ein großes Ziel: die Tour de France zu gewinnen. In der Gesamtwertung liegt der 29-Jährige etwas zurück, am Mont Ventoux hofft er, aufzuholen. Simpson, der beliebt ist bei den Fahrern und einen feinen Humor hat, steigt in die Pedale.
Doch kurz vor Erreichen des Gipfels fährt Simpson plötzlich Schlangenlinien, er wird langsamer, fällt zu Boden. Er lässt sich noch einmal aufs Rad helfen. Doch kaum sitzt er wieder im Sattel, verliert er das Bewusstsein. Er bleibt auf der Straße liegen. Der Tourarzt eilt herbei, sofort wird versucht, Simpson wiederzubeleben. Vergeblich. Ein Helikopter bringt den Radprofi ins Krankenhaus von Avignon, doch da ist er bereits tot.
In Simpsons Blut werden Amphetamine, Betäubungsmittel und Alkohol gefunden. Der Obduktionsbefund: Dehydration. Was Simpson umbringt, ist allerdings wohl nicht nur der furchbtare Doping-Cocktail: Der Brite ist geschwächt ins Rennen gegangen, in den Tagen zuvor plagte ihn eine Magenverstimmung, er verlor viel Flüssigkeit. Dies kann er im Rennen nicht mehr kompensieren - auch weil die Fahrer 1967 nur zwei Liter Wasser mitnehmen dürfen und die Flaschen nur an Bächen selbst auffüllen können. Simpson nimmt die Belastungsgrenzen seines Körpers an diesem Nachmittag einfach nicht mehr wahr, er ist zu zugedröhnt. (im Bild: Simpson bei einem Arztbesuch 1961)
Aus seinem Hang zum Doping hat Simpson nie einen Hehl gemacht. Er soll stets einen Koffer voller Amphetamine bei den Rennen dabei gehabt haben. "Wenn mich zehn davon umbringen, gib mir neun", sagte er einmal. An jenem 13. Juli 1967 ist die Dosis jedoch zu hoch. (im Bild: Simpson bei der Straßenrad-WM 1966)
Heute steht an der Stelle, an der Simpson kollabierte, ein Denkmal in der Steinwüste. Wenn Radfahrer an dem Stein aus Granit vorbeistrampeln, halten viele an. Manche hinterlassen eine Trinkflasche. Denn ein paar Schluck Wasser hätten womöglich gereicht, um Simpson retten zu können.
Nach seinem ersten Sturz soll Simpson noch gerufen haben: "Setzt mich wieder auf mein Rad." Doch das ist wohl nur eine Legende, die ein Journalist in Umlauf brachte, der gar nicht vor Ort war. Seine letzten Worte sind stattdessen laut Zeugenberichten: "Go on, go on." Weiter, immer weiter - doch der Preis, den Simpson dafür zahlt, ist viel zu hoch.
Am Tag nach Simpsons Tod hält die Tour de France für eine Schweigeminute kurz inne, dann rollt das Feld weiter. Erst ein Jahr zuvor hatte die Tour Doping-Tests eingeführt. Doch wenn jemand erwischt wurde, durfte er meist nach ein paar Tagen schon wieder fahren. Simpson geht als der Doping-Tote der Tour in die Geschichte ein. Doch auch nach dem schrecklichen Ereignis ändert sich der Umgang mit den unerlaubten Substanzen lange Zeit nicht. Das Bild der Helden auf zwei Rädern prägt weiter die Wahrnehmung.
2017 umfahren die Athleten bei der Tour de France den Mont Ventoux weitläufig, nur am 21. Juli werden sie die mächtige Bergspitze aus der Ferne sehen, während sie durch Lavendelfelder strampeln. Doch der Mont Ventoux wird einen Schatten auf die Tour werfen.