Tischtennis:Per Anhalter durch die Tischtenniswelt

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Endet das Abenteuer mit dem Champions-League-Titel? Dimitrij Ovtcharov und der TTC Neu-Ulm probieren es noch einmal. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Nach seinem Ausstieg aus der Bundesliga hat der TTC Neu-Ulm noch eine Champions-League-Saison mit maximal acht Auftritten vor sich. Dann - davon geht der 2019 gegründete, schillernde Klub zurzeit aus - wird er wohl zusperren.

Von Andreas Liebmann

Vor geraumer Zeit ging beim Tischtennis-Erstligisten TTC Neu-Ulm jemand einer interessanten Frage nach. Er wollte wissen, wie viele Bundesliga-Heimspiele der Klub in seiner Historie absolviert hat. Die Neu-Ulmer Vereinschronik ist kein allzu umfangreiches Werk, die Recherche erschien machbar, und zumindest Kenner der Reihe "Per Anhalter durch die Galaxis" hätten das Ergebnis ahnen können: Es lautete 42. Die aus den Romanen bekannte Antwort auf die endgültige Frage nach "dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" - wozu nun mal ganz eindeutig auch der TTC Neu-Ulm zählt.

Anlass der Recherche war eine zu verfassende Pressemitteilung zur damals bevorstehenden, sehr besonderen Partie gegen Werder Bremen. Schließlich würde dieses Heimspiel, erstens, das letzte sein für die russischen Profis Vladimir Sidorenko, Lev Katsman und Maksim Grebnev, die gerade neue Vereine suchen - und die Partie gegen Bremen dann gewannen, 3:1. Zweitens handelte es sich um den recht spontan recht weit vorgezogenen Auftakt zum 21. Spieltag, zwei Tage ehe überhaupt irgendwo der 20. Spieltag begonnen hatte.

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Dass sich der deutsche Tischtennis-Spitzenspieler für seine Unterstellungen gegen Düsseldorfs Manager Preuß entschuldigt, ist zu begrüßen. Trotzdem dürfte die Angelegenheit noch nicht erledigt sein.

Kommentar von Andreas Liebmann

Solch interessante Raum-Zeit-Krümmungen hatte der kurzfristig umgestaltete Terminkalender der Weltcup-Serie WTT der deutschen Liga abverlangt. Und drittens, das war in diesem Zusammenhang am wichtigsten: Das vorverlegte Duell gegen Bremen sollte zugleich das letzte Heimspiel des TTC Neu-Ulm in der Tischtennis-Bundesliga (TTBL) überhaupt werden. Schließlich hat sich der Pokalsieger um Führungsspieler Dimitrij Ovtcharov zuletzt sehr öffentlich mit der TTBL wegen der Strafen gegen zwei seiner Profis gestritten und daraufhin keine Lizenz mehr für die TTBL beantragt. Ein letztes Auswärtsspiel Ende April steht noch an.

So weit war das alles nicht wirklich neu. Allerdings hatte der Verfasser der Pressemitteilung nicht nur säuberlich zurück-, sondern auch vorausgerechnet. Und kam dabei auf ein Ergebnis, das zwar auch ohne tiefere Kenntnisse von Raum, Zeit und Science-Fiction-Romanen irgendwie naheliegend war, sich ausgeschrieben aber doch bemerkenswert las: Da stand nämlich, dass der TTC, der nächste Saison nurmehr in der Champions League antritt, dort noch maximal acht Auftritte vor sich hat - nach denen er wohl endgültig die Hallentür hinter sich schließen wird. Wörtlich: "Nach den bestenfalls acht Spielen in der Königsklasse wird der TTC Neu-Ulm wohl Geschichte sein."

Die Geschichte, die 2019 damit begann, dass die TTBL dem Ulmer Verleger Florian Ebner eine Wildcard für einen erst zu gründenden Verein zugestand, könnte im allerbesten Fall also in einem Jahr mit dem Gewinn eines Champions-League-Titels enden (den das aktuelle Starensemble um Ovtcharov in diesem Jahr knapp verpasst hat) - oder, wenn es weniger rund läuft, eben vorher. Seriös prognostizieren lässt sich dazu bislang nichts, denn aktuell haben laut Ebner exakt zwei Angestellte Verträge für das kommende Jahr, die beide auf den Spitznamen Dima hören: der Spieler Ovtcharov und der Trainer Dmitrij Mazunov. Bei den zuletzt für ihn aktiven Tomokazu Harimoto aus Japan und Lin Yun-ju aus Taiwan sei er skeptisch, sagt Ebner, beide hätten früh signalisiert, dass sie die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in ihrer Heimat verbringen wollten. Bei Truls Moregardh dagegen habe er abwarten müssen, welche Liga-Engagements der Schwede eingeht und ob diese einer Champions-League-Verpflichtung für Neu-Ulm entgegenstünden - nun aber stehe er vor einer Verlängerung in Neu-Ulm.

Es scheint Ebner ein bisschen Spaß zu machen, Schwachstellen im System aufzuspüren

Alles Weitere hängt von Satzungen und Paragrafen ab, vor allem davon, ob es weiterhin erlaubt sein wird, dass ein Nicht-Bundesligist Deutschland in der Champions League vertritt. Für 2023/24 ist dem so, denn der europäischen ETTU genügen die Europacup-Ergebnisse eines Klubs in den vergangenen drei Jahren zur Zulassung, und dem Deutschen Tischtennis-Bund fehlte für den Präzedenzfall Neu-Ulm eine Handhabe, um den Klub nicht für die Champions League anzumelden. Genau das aber will die DTTB-Präsidentin Claudia Herweg für übernächste Saison ändern, zumindest hat sie das vor einigen Wochen angekündigt. Wobei wohl erst mal zu klären wäre, in wessen Satzung (DTTB oder ETTU) wer dafür was verändern müsste. "Sie arbeiten hart an unserer Vertreibung aus dem Paradies", sagt Ebner augenzwinkernd. Klar ist: Hat Herweg mit ihrem Ansinnen Erfolg, wäre die Geschichte dieses streitbaren Vereins in einem Jahr wohl zu Ende.

Dieser war ja tatsächlich ein bisschen wie per Anhalter durch die Tischtennis-Galaxis gekurvt, mittels Wildcards erst für die deutsche, dann für die europäische Liga, für die er zunächst ebenfalls keine sportliche Qualifikation besaß. Als Ebner vor der laufenden Saison dann seine vier Weltstars verpflichtete und diese einzig mit dem Ziel eines Pokal- und eines Champions-League-Erfolgs einsetzte, begann die Galaxis den TTC eher als Geisterfahrer wahrzunehmen, der die Liga zur Nebensache degradierte - und dann endgültig gegen sich aufbrachte, als er Lin und Moregardh gleich nach seinem Pokalsieg im Januar unter Missachtung von Wechselfristen und Verträgen zu anderen Klubs ziehen ließ. Die TTBL verhängte Geldstrafen und Sperren für die kommende Spielzeit.

"Sie arbeiten hart an unserer Vertreibung aus dem Paradies." Klubchef Florian Ebner (rechts, mit Dimitrij Ovtcharov). (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Juristisch wartet dieser Fall noch auf Überprüfung. Ebner zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Strafen, das angerufene Schiedsgericht für Lizenzvereine hat noch immer nicht getagt. Das Ausscheren aus der TTBL steht aber davon unabhängig fest, und auch die Frist für einen möglichen Umweg hat Neu-Ulm verstreichen lassen: für die Anmeldung eines Zweitligateams nämlich. "Das hätten wir schon gemacht", sagt Ebner - für den Fall, dass die TTBL "die Strafen zurückgenommen hätte". Auch Zweitligisten nehmen nämlich am Ligapokal teil, praktischerweise zumeist mit Heimrecht. "Das hätten wir schon gerne mitgenommen", sagt Ebner, dem es ein bisschen Spaß zu machen scheint, Schwachstellen im System aufzuspüren und auszunutzen. Obendrein hätte das die Option eines Wiederaufstiegs eröffnet. Nun aber ist der TTC in gar keiner nationalen Liga mehr vertreten.

Sidorenko steht laut Ebner vor einem Engagement beim französischen Erstligisten Hennebont. Katsman werde nach Russland wechseln. Grebnev wohl ebenfalls, zusätzlich solle er Neu-Ulms Champions-League-Kader ergänzen. "Ich fände es gut, wenn wir so noch etwas fortsetzen von dem, was hier bisher war", sagt der Klubchef.

Und dann? Sobald die Champions League in Deutschland tatsächlich an die TTBL-Zugehörigkeit gekoppelt wäre, bliebe keine realistische Perspektive mehr. Äußerst theoretisch könnte sich der Verein bei der TTBL erneut für eine Wildcard bewerben, woran zurzeit aber wohl niemand Interesse hat. "Oder wir verlegen den Vereinssitz nach Liechtenstein", sagt Ebner, ohne das wirklich ernst zu meinen. "Irgendwann würde es peinlich werden, wir können ja nicht ewig auf Paragrafen rumreiten", findet er. Aber wer weiß. Die Geschichte des TTC Neu-Ulm hat zumindest gezeigt, dass sein Klubchef immer für Überraschungen gut ist.

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