Tischtennis:Chaos im Kopf

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"Der Junge war ganz schön geknickt", erzählt Bad Königshofens Klubchef Andreas Albert über seinen Spieler Maksim Grebnev. Der Russe gehört bereits zur Neu-Ulmer Trainingsgruppe und wird nach der Saison zum TTC wechseln. (Foto: Andreas Liebmann/SZ)

Beim TTC Neu-Ulm spielen zwei russische Profis, trainiert von einem russischen Trainer und gemanagt von einem Ukrainer. Die Russen sind für internationale Spiele gesperrt, dürfen in der Bundesliga aber weiter auflaufen. Den Krieg verurteilen alle.

Von Andreas Liebmann

Es ist noch nicht lange her, da erlaubte sich der Hallensprecher beim Champions-League-Heimspiel des Tischtennis-Erstligisten TTC Neu-Ulm einen harmlosen Scherz: Er übte mit dem Publikum eine Anfeuerung auf Russisch. Man könne das schon machen, erklärte er süffisant, von den Gästen verstehe das ja eh niemand. Die Gäste, wohlgemerkt, kamen aus Jekaterinburg, aber sie waren eben mit einem Dänen, einem Kroaten und einem Briten erschienen. Für Neu-Ulm dagegen traten Vladimir Sidorenko und Lev Katsman an, auch Klubtrainer Dmitrij Mazunov ist Russe. "Wir sind Russen und ihr nicht", hätten Fußballfans in dieser Lage vielleicht gerufen. Und nun fragt man sich: Kann diese heitere Szene wirklich erst wenige Wochen zurückliegen?

"Bei mir im Kopf ist Chaos", sagt Trainer Mazunov. Er hätte es nie für möglich gehalten, was da gerade passiert in der Ukraine. "Entscheidend ist: Da sterben Leute! Ukrainische und russische. Ich bete jeden Tag, dass das aufhört, am besten noch heute." Mazunov ist 50, ehemaliger Nationalspieler, geboren in Nischni Nowgorod. Er spricht fließend Deutsch. Seit 30 Jahren lebt er hier, "mehr als die Hälfte meines Lebens", wie er sagt. Deutsche Frau, die Tochter hier geboren. Am Freitag wollte er nach Russland fliegen mit seinen Spielern, danach seine Eltern besuchen, das geht nun nicht mehr. Sidorenko, 19, und Katsman, 20, sind wie alle Russen vom Weltverband suspendiert worden, sie dürfen nicht mehr international antreten. "Wir verstehen die Lage", sagt Mazunov, "aber wir können nichts machen, außer weiterarbeiten und hoffen, dass der Krieg aufhört."

"Ich bete jeden Tag, dass das aufhört": Ulms Trainer Dmitrij Mazunov (links), der hier seinen Spieler Kay Stumper instruiert. (Foto: Jürgen Kessler/imago)

Auch Andreas Albert war schwermütig, als er vor einigen Tagen die Kabine seines Teams vor dem Auswärtsspiel in Düsseldorf betrat. Albert ist der Teammanager des TSV Bad Königshofen, und der Krieg macht ihm Angst, sagt er. Der Sport ist unwichtig bei all dem Leid, doch es gibt ihn eben noch, und nun war Albert besonders aufgewühlt. Denn ihm war das Gerücht zu Ohren gekommen, dass auch die Tischtennis-Bundesliga (TTBL) darüber beriet, russische Profis auszuschließen. Albert war in diesem Moment klar: Für seinen Spieler Maksim Grebnev könnte das dann der letzte Einsatz für seinen Verein werden, vielleicht sogar der letzte in Deutschland. Darauf wollte er in der Kabine aufmerksam machen, damit Grebnev auf jeden Fall noch einmal im Einzel zum Zug käme. Eine Art Abschiedsgala. "Der Junge war ganz schön geknickt", sagt Albert. Grebnev traf dann auf Timo Boll.

Die Spieler tauschen sich aus über die Ereignisse in der Ukraine, die Ansichten sind nicht immer deckungsgleich

Auch Maksim Grebnev, 20, gehört zu Mazunovs Neu-Ulmer Trainingsgruppe, er wird nach der Saison zum TTC wechseln. Der Vertrag ist unterschrieben. Mit Katsman war er schon Doppel-Europameister. Als er nach Deutschland kam, war er 14, und er sieht immer noch sehr jung aus, strohblonde Haare, Hundeblick. In Bad Königshofen spielt er erst seit dieser Saison, dennoch hat Albert fast väterliche Gefühle für ihn entwickelt. "Ich hoffe, dass er begreift, was da abgeht, und es seinen Leuten daheim erzählt", sagt Albert.

Maksim Grebnevs Mitspieler Kilian Ort, 25, findet es völlig richtig, dass es auch im Sport Sanktionen gegen die Regimes gibt. Trotzdem sagt er: "Mir tun die russischen Sportler persönlich leid, die belarussischen sogar noch mehr. Ich kenne viele, die damals gegen Lukaschenko auf die Straße gegangen sind." Natürlich tauschten sich die Sportler über den Krieg aus, auch er und Grebnev; Ort verschweigt nicht, dass die Ansichten nicht immer ganz deckungsgleich sind.

Am Donnerstag gab es dann eine Art Entwarnung. Die TTBL unterstütze "die Forderungen der internationalen Sportfamilie nach dem Ausschluss russischer und belarussischer Sportler von internationalen Wettkämpfen", hieß es in einer Erklärung, "einen pauschalen Ausschluss innerhalb der Liga wird es aber nicht geben." Tatsächlich hatten sie darüber beraten und sich dann der Auffassung anderer Profiligen angeschlossen, wie der Deutschen Eishockey-Liga, der Deutschen Fußball-Liga, der Handball- und der Volleyball-Bundesliga. Heißt: "Die TTBL verurteilt das russische und belarussische Vorgehen aufs Schärfste und ist in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine, die unverschuldet Opfer eines historischen Verbrechens werden." Hier aber gehe es um deutsche Arbeitnehmer, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hätten und in der Liga nicht unter der Fahne ihres Geburtslands antreten, sondern für ihre Vereine und deren Werte. Da wäre ein Ausschluss "nicht gerecht", argumentiert die TTBL. "Wir sind erleichtert", sagt Albert, die "jungen Burschen" könnten doch nichts dafür.

Neu-Ulms Klubchef Florian Ebner (rechts) macht sich große Sorgen um seinen jungen ukrainischen Teammanager Oleksandr Orlov. (Foto: Andreas Liebmann/SZ)

Ein kompliziertes Miteinander bleibt es nun trotzdem. Beim Frauen-Erstligisten SV-DJK Kolbermoor spielt die Russin Svetlana Ganina, ebenso die Ukrainerin Ganna Farladanska. Vor zwei Wochen haben beide sogar ein Doppel gebildet. Reden will man hier nicht darüber, "das Thema hat mit dem Sport nichts zu tun", blockt Abteilungsleiter Michael Fuchs ab. Der Ligarivale TSV Schwabhausen hat beim 3:6 am Mittwochabend gegen Berlin Alina Nikitchanka eingesetzt, die Belarussin spielt schon seit Jahren hier. "Ich habe früh das Gespräch gesucht, weil es mich interessiert hat, wie sie denkt und was sie in ihrer Heimat erfährt", sagt Trainer Alexander Yahmed. "Das belastet sie extrem", versichert er, im Training vor dem Spiel hätten ihr immer wieder Tränen in den Augen gestanden. "Sie ist ein Herzensmensch und will keinen Krieg."

Auch der TTC Neu-Ulm hat sich in einem Statement geäußert, in dem er sich solidarisch mit der TTBL erklärte und versicherte, "alle jetzigen und künftigen Beschlüsse uneingeschränkt" mitzutragen - und natürlich auf ein Ende des militärischen Konflikts "zwischen den russischen und weißrussischen Regimes und dem Volk der Ukraine" zu hoffen. Außerdem stellt der Verein klar: "Gleichzeitig stellen wir uns vor unseren Trainer und unsere jungen russischen Spieler", die derzeit "voller Sorge" seien.

Neu-Ulm ist natürlich in besonderem Maß betroffen, ein Ausschluss hätte das ganze Projekt hier gefährdet. Bisher stehen für die kommende Saison nur die drei jungen Russen unter Vertrag. Doch mehr als das und die internationale Suspendierung seiner "hoch verunsicherten" Spieler gehen Klubchef und Verleger Florian Ebner die Gedanken an seinen jungen Teammanager Oleksandr Orlov nahe. Der mache einen super Job, erzählt er, gerade er und Grebnev seien fast "wie Zwillinge". Doch Orlov, den sie hier Sascha rufen, kommt aus der Ukraine, wo seine Familie lebt, um die er nun Angst hat.

Er sei völlig durcheinander, sagt Trainer Dmitrij Mazunov noch. Er verfolgt deutsche und russische Medien gleichermaßen und stellt fest, wie himmelweit ihre Darstellungen auseinander liegen. "Das ist schwierig für meinen Kopf, mein Herz, meine Gefühle." Man könne lange debattieren über Gründe für den Konflikt, aber was er sicher weiß, ist: "Es war falsch, dort einen Krieg anzufangen." Und dass seine Gedanken bei der Familie von Oleksandr Orlov sind: "Ich leide mit ihnen."

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