Vorwürfe der sexuellen Belästigung:Der Deutsche Tennis Bund geht in die Offensive

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Der DTB unter Rechtfertigungsdruck: Präsident Dietloff von Arnim - hier mit Philipp Kohlschreiber und ITF-Präsident David Haggerty (von links) bei den Davis-Cup-Gruppenendspielen im September 2022 in Hamburg - kündigte an, die Vorwürfe gegen seinen Vize Dirk Hordorff (rechts) "schnellstmöglich und vollumfänglich" aufklären zu lassen. (Foto: Mathias Schulz/Tennisphoto.de/Imago)

Der DTB fordert seinen Vize-Präsidenten Dirk Hordorff zum Rücktritt auf, nachdem Vorwürfe der sexuellen Belästigung öffentlich geworden sind. Athleten-Vertreter finden, der Verband sollte sich seiner Gesamtverantwortung stellen.

Von Nina Bovensiepen und Lea Weinmann

Bis zu diesem Mittwoch hat der Deutsche Tennis Bund (DTB) seinem Vize-Präsidenten Zeit eingeräumt: Dirk Hordorff soll zurücktreten. Dazu fordert ihn das DTB-Präsidium auf, ebenso der Bundesausschuss und der Ombudsmann des Verbandes. Unabhängig davon werde der "formal notwendige Weg einer Abberufung aus dem Amt im Zuge einer Mitgliederversammlung vorbereitet", so teilte es der Verband am Montag mit.

Die vergangenen Tage waren turbulent für die deutsche Tennisszene: Am vergangenen Donnerstag hatten Süddeutsche Zeitung , NDR und "Sportschau" Recherchen veröffentlicht, denen zufolge Dirk Hordorff in mindestens zwei Fällen Spieler, die er als Manager oder Trainer betreute, wiederholt sexuell belästigt haben soll. Es handelt sich um den indischen Tennisprofi Sriram Balaji, der heute noch aktiv auf der ATP-Tour unterwegs ist, sowie um den ehemaligen Nachwuchsprofi Maximilian Abel. Beide schilderten im Interview mit SZ, NDR und "Sportschau" umfassend ihre Erfahrungen. Andere Betroffene, die anonym bleiben wollen, berichten Ähnliches.

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Der DTB hat bereits im vergangenen Sommer eine Anwaltskanzlei mit einer internen Untersuchung beauftragt, nachdem Maximilian Abel dem Verband die Vorwürfe in einem Brief von Februar 2022 selbst offengelegt hatte. In der vergangenen Woche hatte der Verband noch auf Anfrage geschrieben, die Untersuchung komme zu dem Ergebnis, "dass der erhobene Vorwurf eines Fehlverhaltens nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann". Den Abschlussbericht der Untersuchung hält der DTB unter Verschluss. Dass es sie überhaupt gibt, ist den Vertretern der Landesverbände nach Informationen von SZ, NDR und "Sportschau" erst kürzlich mitgeteilt worden.

Nun will der DTB die Vorgänge aufarbeiten, unter "wissenschaftlicher Begleitung"

Nach einigem Zögern geht der DTB nun in die Offensive: Offenbar hat sich eine neue Sichtweise auf die Vorgänge durchgesetzt, welche die DTB-Spitze um ihren Präsidenten Dietloff von Arnim wohl zu der öffentlichen Rücktrittsforderung veranlasst hat. Dirk Hordorff hatte vor kurzem angekündigt, sein Amt zeitweise ruhen zu lassen, und gab dafür gesundheitliche Gründe an. Er ließ auf Anfrage von SZ, NDR und "Sportschau" über eine Anwaltskanzlei mitteilen, dass die geschilderten Sachverhalte - also die Vorwürfe der Tennisspieler - schlicht unzutreffend seien und nicht stattgefunden hätten.

Der Verband teilte nun zudem mit, den Fall "schnellstmöglich und vollumfänglich" aufzuarbeiten. Dazu werde der DTB mit externen Spezialisten zusammenarbeiten und eine "wissenschaftliche Begleitung der Aufarbeitung vornehmen". Zugleich betont der Verband in seiner Mitteilung jedoch, dass die Vorwürfe "in keinem Zusammenhang" mit Hordorffs Funktion im DTB stünden.

Maximilian Klein von der Sportlervertretung Athleten Deutschland sagt, er kenne zwar die genauen damaligen Verstrickungen zwischen Hordorff und dem DTB nicht. Doch wenn jemand so mit dem DTB verbandelt sei wie in diesem Fall, sei es fragwürdig, die institutionelle Verantwortung abzuschieben. "Der Verband sollte sich seiner Gesamtverantwortung stellen", so Klein.

Der frühere Tennisprofi Michael Stich hatte im Interview mit SZ, NDR und "Sportschau" mit Blick auf die Person Hordorff gesagt: "So jemand hat für mich im DTB keine Position." Das von den mutmaßlich betroffenen Spielern Abel, Balaji und anderen geschilderte Verhalten Hordorffs sei "völlig indiskutabel, ein No-Go, das im Leistungssport nichts zu suchen hat".

Die meisten Betroffenen haben geschwiegen - aus Angst, nicht mehr finanziell und sportlich gefördert zu werden

Konkret hatte etwa Sriram Balaji berichtet, dass Hordorff ihn im Jahr 2010 immer wieder angefasst haben soll, an den Schultern, den Armen, den Beinen, am Rücken, am Po - überall, außer im Genitalbereich. Der Tennisfunktionär habe diese Berührungen als "Muskelchecks" bezeichnet, sagt Balaji. Auch der frühere Tennisspieler Maximilian Abel erhebt diesen Vorwurf gegen seinen ehemaligen Trainer. Bereits mit 16 Jahren habe Abel bei Dirk Hordorff zu Hause fast nackt Liegestütze oder Übungen für Bauchmuskeln und Beine machen sollen. Im Mai 2003 soll Hordorff den Tennisspieler in einem Hamburger Hotel mit dem Gürtel auf den nackten Hintern geschlagen haben, sagt Abel.

Weitere Betroffene, die nicht genannt werden wollen, haben ebenfalls geschildert, dass Hordorff bei ihnen mindestens ein Mal sogenannte Muskelchecks vorgenommen haben soll, die den damals Jugendlichen teils unangenehm gewesen seien, zum Beispiel, wenn diese an den unteren Bauchmuskeln stattgefunden hätten. Die geschilderten Ereignisse sollen in einem Zeitraum von den 1980er- bis in die 2010er-Jahre passiert sein. Die meisten Betroffenen haben geschwiegen - aus Angst, womöglich nicht mehr finanziell und sportlich gefördert zu werden, so erzählen sie es.

Maximilian Klein sagt, es sei positiv, dass der DTB nun eine umfassende Aufarbeitung zugesagt habe. Daran müsse er sich künftig messen lassen und seine Ankündigungen mit Klarheit und Transparenz unterfüttern. "Es muss jetzt vor allem betroffenenzentriert gehandelt werden", so Klein. "Dazu gehört die Anerkennung des Leids, eine öffentliche Entschuldigung und mögliche Wiedergutmachung."

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