Tennis:Paris, London, Pfarrkirchen

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Da waren sie noch Profis: Tommy Haas (li.) und Marcos Baghdatis beim Handshake 2012 bei den BMW Open in München. In diesem Jahr könnten sie sich wieder begegnen - bei den Herren 30. (Foto: Imago)

Der TC aus dem beschaulichen Rottal startet als Aufsteiger gegen Iphitos München in die Herren-30-Bundesliga - samt einer Top-Mannschaft um Fabio Fognini, Andreas Seppi und Marcos Baghdatis. Die früheren Spitzenspieler haben einen wahren Hype im Klub ausgelöst.

Von Thomas Becker

Wenn an diesem Samstag die Herren-30-Bundesliga den Spielbetrieb aufnimmt, dann stellen sich durchaus ein paar Fragen: Wird der TC Bad Homburg mit Benjamin Becker und Rainer Schüttler antreten? Ist Tommy Haas beim TC Großhesselohe gleich beim Heimauftakt gegen Ludwigshafen am Start? (Antwort: ja.) Und wen schickt der MTTC Iphitos diesmal ins Rennen? Schließlich muss das Team vom Aumeisterweg in der Südgruppe der Liga zum TC Pfarrkirchen, einem Aufsteiger, der mit "ambitioniert" doch um einiges zu schwach beschrieben ist. Acht Sand- und drei Hallenplätze, 350 Mitglieder, "alles sehr ländlich", beschreibt Mannschaftskapitän Felix Riedel seinen Klub, "aber wir wollen aus dem tiefsten Niederbayern um die Meisterschaft in der Bundesliga mitreden".

Wie bitte? Gerade aufgestiegen und schon Meister werden wollen? So redet nur, wer die Meldeliste nicht kennt.

Laut dieser werden für den Verein in der 13 000-Einwohner-Stadt an der Rott folgende Herren aufschlagen: Fabio Fognini, Andreas Seppi, Alessandro Giannessi, Marcos Baghdatis, Steve Darcis, Gilles Muller und Kristof Vliegen. Könnte tatsächlich hinhauen mit dem Meistertitel. Wobei: "In der Nordgruppe ist Union Münster auch nicht zu unterschätzen", meint Riedel und zählt deren Stars auf: Fernando Verdasco, Dudi Sela, Igor Sijsling, Nicolas Mahut und Luca Vanni - noch so ein irres Line-up, mit dem man sich auch in der Herren-Bundesliga nicht zu verstecken bräuchte.

Fragt sich natürlich, wie so ein kleiner Klub vom Land es schafft, solche Stars ins beschauliche Niederbayern zu locken. Nur wegen der gar lieblichen Höhen des Galgenberges und der hübschen Wallfahrtskirche Gartlberg werden Fognini, Seppi & Co. wohl kaum kommen. Das nötige Kleingeld kommt aus einem wahrlich kunterbunten Sponsoren-Pool einiger lokaler Firmen: ein Möbelhaus, eine Baufirma, diverse Zahntechniker, eine Versicherung, ein Hotel und die örtliche Sparkasse. "Die Bundesliga ist für Firmen schon sehr interessant", sagt Riedel, "aber die Summen, über die wir hier reden, sind total im Rahmen."

Aus dem Rahmen fällt dagegen die Akquise, die der Teamkapitän, 2021 Dritter bei der bayerischen Hallenmeisterschaft, seit Jahren betreibt. Er arbeitet in der Versicherungsbranche, verfügt offenbar über ein gewinnendes Wesen und auch über eine gehörige Portion Mut. Als Marcos Baghdatis, ehemals die Nummer acht der Welt, neun Millionen Dollar Preisgeld schwer, am 1. Juli 2019 in Wimbledon gegen Matteo Berrettini verliert und seine Karriere beendet, gibt ihm Riedel noch zwei Wochen Zeit - und schreibt ihn dann am 17. Juli per Facebook an: "Hello Marcos, how are you? My name is Felix Riedel from TC Pfarrkirchen, Bavaria. We are searching for a new player for the next season. Next year we'll play in in the second liga of men's 30. Are you interested in playing for us?" Wie geht's? Lust, für uns zu spielen? Am Morgen danach um halb zehn die Antwort: "Hey Felix. Yes, it can be interesting. When are the dates?" Tags darauf noch ein kurzer Mailverkehr, wenig später ist alles geritzt. So einfach kann es sein. Auch Riedel war baff: "Ich hätte nie gedacht, dass er antwortet."

Mit Marcos Baghdatis steigt Pfarrkirchen auf - und tanzt samt des einstigen Weltranglisten-Achten bis morgens um vier Polonaise

Mit dem Gute-Laune-Zyprioten steigt Pfarrkirchen auf, die Meisterfeier geht bis morgens um vier, inklusive Polonaise - und Baghdatis voll dabei. Dem Mann aus Limassol taugt die niederbayerische Provinz offenbar. Riedel schwärmt: "Ein unglaublich lockerer Typ, ruft öfter einfach mal zum Quatschen an, gibt Training für die Kids und unsere Vereinsmitglieder." Und zieht - nun, da Corona auf dem Rückzug ist - auch viele Zuschauer an, die Hunger und Durst mitbringen, was wiederum die Vereinskasse füllt. 40 Jugendliche haben sich im Klub angemeldet, seit Baghdatis hier ab und zu die Bälle zuspielt. Alle Partien wird der 36-Jährige heuer aber nicht spielen können, da er auch auf der Seniors Tour in Roland Garros und Wimbledon spielen will. Paris, London, Pfarrkirchen: ganz großes Tennis.

Mit ihm kamen dann die anderen Stars: "Man ist da im Fokus, wenn einer wie Baghdatis im Spiel ist", erzählt Riedel. Die drei Italiener Fognini, Seppi und Giannessi - beste Weltranglistenplätze: 9, 18 und 84 - seien durch einen Bekannten des Vereinsvorsitzenden Christoph Schmid in Pfarrkirchen gelandet. Auch Nicolás Almagro, die ehemalige Nummer neun der Welt, hatte sich bei Riedel via Instagram gemeldet, aber da war die Meldeliste schon voll. In Riedel und Andreas Schwarz (Niederbayern-Meister 2009) stehen nur zwei Deutsche im Aufgebot, anders als bei Iphitos (zehn) und Großhesselohe (elf). "Ich hatte Kontakt mit deutschen Spielern", sagt Riedel, "aber die Österreicher zähle ich als Einheimische. Die sind mir manchmal lieber als deutsche Spieler, die unzuverlässig sind. Und von den Österreichern waren drei auf meiner Hochzeit." Man ahnt: Es gab bestimmt eine Polonaise.

Wer genau am Samstag gegen Iphitos aufschlagen wird, verrät Riedel natürlich nicht. "Sagen wir mal so: Wir werden mit einer sehr schlagkräftigen, namhaften Truppe am Start sein. Für uns ist das ein Prestigeduell. Iphitos ist ja nicht gerade der unbekannteste Klub in Deutschland." Die Münchner könnten fast einen Bus mieten, denn auch die Herren 40 spielen am selben Tag in Pfarrkirchen, Regionalliga. Auch da haben die Gastgeber einen großen Namen zu bieten: Paolo Lorenzi, ehemals Nummer 33 der Welt und erst im vergangenen Jahr zurückgetreten. Könnte ein unterhaltsamer Nachmittag werden, drüben im Rottal.

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