Etwas peinlich sei das ja schon gewesen, fand Julia Görges. Dass der Papa so ausgelassen jubeln muss - vor den ganzen Leuten. Aber eine Umarmung hat Klaus Görges dann trotzdem bekommen, nachdem seine Tochter das Duell gegen Sabine Lisicki 6:4, 6:4 gewonnen hatte. Und als erste Deutsche seit Anke Huber 1999 ins Halbfinale des Stuttgarter Tennis-Grand-Prix eingezogen war.
"Es ist immer speziell, gegen eine Deutsche zu spielen, ich bin froh, dass ich gewonnen habe", sagte Görges. Als Nummer 32 der Welt rangiert sie zwar 123 Plätze vor Lisicki. Aber nicht Görges, sondern die Berlinern war vor der Partie von vielen favorisiert worden. So richtig wahrgenommen haben Julia Görges viele erst jetzt.
Vier deutsche Tennisspielerinnen standen dieses Jahr beim Stuttgarter Traditionsturnier im Viertelfinale. Für Kristina Barrois war dort gegen Agnieska Radwanska Schluss. Andrea Petkovic hatte man den Einzug ins Halbfinale wohl am ehesten zugetraut, sie hatte zuvor gegen Jelena Jankovic gewonnen.
Am Donnerstag gegen Caroline Wozniacki war dann aber "der Akku leer". Die Darmstädterin gab ihre 4:1-Führung im ersten Satz gegen die Nummer eins der Welt ab und unterlag schließlich 4:6, 1:6. Für einen lockeren Spruch zur Leistung von Görges hat die Batterie aber noch gereicht: "Jule ist keine Eintagsfliege. Sie hat mehr drauf als Zahnbelag", flachste Petkovic.
Solche Sätze wird Julia Görges wohl nie sagen. Während Andrea Petkovic mit ihrer offenen Art die Unterhalterin gibt, ist Julia Görges keine, die sich abseits der Tennisplätze in den Vordergrund spielt. Eher ein unauffälliges Schattengewächs, das dann auf einmal aufblüht - so wie jetzt.
Still und leise hat sie sich in drei Jahren in der Weltrangliste von Rang 102 auf 32 gespielt. 2010 stand sie im Finale von Luxemburg und gewann in Bad Gastein ihren ersten WTA-Titel. Dass das Interesse trotzdem vor allem Andrea Petkovic gilt, kommt der 22-Jährigen aus Bad Oldesloe entgegen: "Das ist besser für den Kopf." Außerdem habe Petkovic "die Aufmerksamkeit verdient, und wir profitieren alle von ihren Erfolgen".
Julia Görges steht im Finale von Stuttgart. In einer spannenden und hochklassigen Partie besiegt Görges die favorisierte Australierin Samantha Stosur - und schreibt damit Geschichte in Stuttgart.
Einen besseren Beleg als den Einzug ins Halbfinale in Stuttgart hätte Görges nicht liefern können. Vor dem Fed-Cup-Erfolg letzte Woche gegen die USA (5:0) stand sie bereits in Charleston im Halbfinale und bezwang auf dem Weg dorthin unter anderem Shahar Peer, die Nummer elf der Welt.
Julia Görges steht im Finale von Stuttgart. In einer spannenden und hochklassigen Partie besiegt Görges die favorisierte Australierin Samantha Stosur - und schreibt damit Geschichte in Stuttgart.
In Stuttgart trifft sie am Samstag auf die Vorjahresfinalistin Samantha Stosur (14 Uhr, Eurosport), gegen die sich Görges 2010 in Tokio in der dritten Runde durchsetzen konnte. Die Voraussetzungen könnten schlechter sein. "Ich weiß, dass ich sie schlagen kann. Aber Samantha hat ein ekliges Spiel auf Sand."
Mit einem Sieg gegen die Weltranglisten-Siebte würde Görges wohl nicht nur einen Sprung im Ranking machen, sondern auch in ihrer Entwicklung. Ihr Trainer Sascha Nensel hat Görges bereits zu einem ruhigeren Spiel verholfen, aber um an die Weltspitze zu kommen, fehlte ihr bisher die Konstanz. Mit harten Auf- und Grundschlägen bringt sie auch höher gesetzte Spielerinnen problemlos in Bedrängnis, aber: "Ich habe immer noch zwei Wochen, in denen ich gut spiele, und dann wieder zwei Wochen, in denen es schlecht läuft."
Momentan scheint sie zwei ihrer guten Wochen zu haben. Im Fed-Cup gegen die USA hat sie mit einem Einzel- und einem Doppelsieg wichtige Punkte zum Aufstieg beigetragen, nun fehlen ihr noch zwei gewonnene Einzel, um ihrem Idol Martina Hingis nachzueifern.
"Andere sehen noch besser aus, sind klüger und charakterstärker", schreibt Görges auf ihrer Homepage über die ehemalige Nummer eins aus der Schweiz, "aber keine hat ihr Spiel so gut aufgebaut und hat so überlegt gespielt wie Martina."