Tennis:Stimmbruch auf Zahnarztkosten

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Vom Legendenspiel in Wimbledon flugs mal ins Rottal: Auf Marcos Baghdatis, die ehemalige Nummer acht der Welt, kann sich der TC Pfarrkirchen seit Jahren verlassen. (Foto: Phil Hutchinson/Uk Sports Pics Ltd/Imago)

Der TC Pfarrkirchen ist zum zweiten Mal deutscher Meister der Herren 30. Seinen illustren Kader hat er ein paar Tennisverrückten zu verdanken - und einem Tipp von Mark Zuckerberg.

Von Thomas Becker

Am Tag vor dem Finale hatte Felix Riedel die Chancen noch mit 50:50 beziffert, am Tag danach musste er revidieren: "Es war viel knapper." Man versteht ihn kaum, wofür er sich gleich entschuldigt: "Stimme ist weg", röchelt der Mannschaftskapitän ins Handy. Kein Wunder: Obwohl sein Team bei sieben der neun Partien den ersten Satz verlor, sechs Match-Tiebreaks und bei einbrechender Dunkelheit auch noch ein Umzug in die Halle nötig waren, hatten sie am Ende den Pokal, mal wieder: Nach dem ersten deutschen Meistertitel für eine Mannschaft der Südgruppe der Herren-30-Bundesliga im vergangenen Jahr hat der TC Pfarrkirchen diesen Titel nun verteidigt. Die Niederbayern hielten den TC Union Münster, den Meister der Nordgruppe, mit 5:4 nieder, nach mehr als neun Stunden. Den letzten Punkt sicherte das zweite Doppel: Marcos Baghdatis und Nicolas Almagro.

Ja, solche Größen treten für den Dorfklub im schönen Rottal an, der Zyprer Baghdatis schon seit ein paar Jahren, als der Verein noch ein handelsüblicher Regionalligist war. Schuld daran ist im Prinzip Mark Zuckerberg. Als Riedel mit Vereinspräsident Christoph Schmid mal wieder auf der Acht-Platz-Anlage gleich neben der Pferderennbahn saß und wie immer über Tennis philosophierte, wurde Riedel bei Facebook als mögliche Freundschaftsanfrage der ebenfalls ziemlich tennisverrückte Baghdatis angezeigt. Schmid meinte: "Dem schreibst' jetzt, Felix!" Und Felix schrieb: Man suche noch einen Spieler für die nächste Saison, ob das etwas für ihn wäre? Das war am 19. Juli 2019, halb neun Uhr abends. Am nächsten Morgen sitzt Riedel mit seiner Frau beim Frühstück, als das Handy summt - Antwort von Baghdatis: "Yes, I can be interesting. When are the dates?" Der Anfang einer wunderbaren Freundschaft und einer irren Erfolgsgeschichte. Auch in den nächsten Mails: kein Wort von Geld. Das fließt dann zwar, als der Deal zustande kommt, aber in einem Umfang, den man wahrlich nicht exorbitant nennen kann. Weit weg von dem fünfstelligen Betrag pro Spieltag, den sich zum Beispiel Mischa Zverev als Antrittsgeld vorgestellt hatte, wenn auch nicht für sich, sondern die Stiftung seines Bruders. Riedel sagte ab, Zverev trat für den MTTC Iphitos an, spielte zwei Einzel und zwei Doppel und stieg mit den Münchnern als Vorletzter ab.

Grillmeister ist der zweite Vorsitzende. Die Schatzmeisterin steht am Zapfhahn

Es ist ein beschauliches Ambiente, in dem sich das beste deutsche Herren-30-Team bewegt. Eine nüchterne Umkleidekabine, wie sie in jeder Bezirkssportanlage zu finden ist. Eine maximal schnöde Vereinsgaststätte mit ollen Sofas und Camping-Kochplatten für heiße Würstl. Dabei war an der Tür neben dem Leergutstapel eine "gemütliche Stube" versprochen worden. "Ländlicher Charme", sagt Riedel und grinst. Mittendrin im fröhlichen Durcheinander steht am Tag vor dem Finale halt der Pokal: deutscher Meister 2022. Auch das ein Herzschlagfinale: 13:11 im letzten Tiebreak, den Baghdatis und Steve Darcis, Belgiens Davis-Cup-Kapitän, auf ihre Seite zogen, beim Buschhausener TC. Mit dem Gegner verstand man sich so gut, dass nun zum 2023er-Finale ein paar Buschhausener zum Zuschauen kamen - aus Oberhausen, 700 Kilometer einfach. Für großes Tennis und Schweinswürstelsemmeln à 3,50 Euro fährt man schon mal ein Stück. Grillmeister ist der zweite Vorsitzende. Die Schatzmeisterin steht am Zapfhahn.

Und wer zahlt den Spaß? Natürlich der örtliche Zahnarzt, so viel Klischee muss sein. Ohne Geld geht in höheren Ligen nichts; beim Finalgegner Münster ist es ein Immobilienmakler, und derjenige, der beim TC Pfarrkirchen neben 15 Klein- und Kleinstsponsoren den Löwenanteil reinbuttert, ist Christoph Schmid, seit 15 Jahren Klubpräsident, als Nachfolger seines Vaters. "So was geht nur, wenn du völlig gaga bist", sagt er in seiner Praxis, in der es auch einen "Personalbereich für die besten Mitarbeiter der Welt" gibt. Ende 40 ist er, spielt Tennis, seit er fünf ist, steht mit dem Herren-40-Team - angeführt von Nikolas Kiefer - ebenfalls vor dem Finaleinzug um die deutsche Meisterschaft. Nach dem Triumph der Herren 30 im Vorjahr stieg er nachts um elf ins Auto, fuhr die 700 Kilometer nach Hause, um morgens in der zweiten Mannschaft auszuhelfen: "Hab gewonnen, bin dann aber um vier tot ins Bett gefallen." Hashtag Herzblut. Ständig hat er irgendeine App offen, um das Tennisgeschehen zu verfolgen, auch jetzt, am Freitag vor dem Finale: "Regen in Wimbledon - so ein Mist", schimpft er. Baghdatis spielt das Legendenturnier, muss noch den Flieger erwischen, damit er tags darauf in Pfarrkirchen aufschlagen kann. "Wenn der erst mit dem letzten Flieger aus London kommt, ist er nicht vor zwei im Bett - und der muss viel schlafen." Genauso kommt es dann, prompt verliert der Zyprer sein Einzel glatt.

Egal, hat auch so gelangt, gerade so. Die letzte Niederlage des Herren-30-Teams ist nun fünf Jahre her. Wie lange sich Schmid den Spaß noch leisten will, weiß er nicht. Viele Ziele sind erreicht, die Zahl der Mitglieder stieg von 230 auf über 400, die der Jugendteams von drei auf zwölf. Er wird sich mit dem Mann besprechen, "mit dem ich öfter rede als mit meiner Frau": Felix Riedel. Aber erst, wenn der wieder bei Stimme ist.

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