Tennis:Die 183 ist die 25

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Wimbledon berücksichtigt bei der Setzung als erstes Turnier, dass Serena Williams wegen Schwangerschaft gefehlt hatte.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon/München

Serena Williams hat viele Rekorde aufgestellt in ihrem Leben als Tennisprofi seit 1995, nun ist sie wieder die Erste. Diesmal aber nicht in einer sportlichen Angelegenheit. Die Amerikanerin wird beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon, das am Montag beginnt, in der Setzliste der besten 32 Spielerinnen berücksichtigt, obwohl sie als Nummer 183 der Weltrangliste nicht für diesen Vorteil berechtigt wäre. Für die Entscheidung ist maßgeblich, dass Williams nicht aufgrund einer Verletzung 13 Monate gefehlt hatte, sondern weil sie schwanger war. Der All England Club, Veranstalter der Rasen-Veranstaltung, machte von seiner Regel Gebrauch, dass nicht ausschließlich das Ranking die Reihenfolge bestimmt. Wimbledon ist das einzige der vier Major-Events (mit Melbourne, Paris, New York), das sich diese Freiheit nimmt. Williams darf als 25. auf zunächst leichtere Gegnerinnen hoffen, sie kann etwa nicht gleich auf Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza (3.) aus Spanien oder Angelique Kerber (11.) treffen (Alexander Zverev ist an 4 gesetzt, Julia Görges an 13, Philip Kohlschreiber an 27). Wie es bei den zumeist älteren Herren des All England Club Sitte ist, wurde die Maßnahme nicht erklärt. Es war aber bereits mit ihr gerechnet worden, und deshalb hatte es schon vorab Reaktionen gegeben. Die Mehrheit findet sie richtig, einige nicht.

"Es ist einfach nicht fair, wenn ein Spieler rausfällt, und das bin ich jetzt", sagte Dominika Cibulkova. Die Slowakin hat das Pech, als 32. nicht mehr gesetzt zu werden. "Ich denke nicht, man sollte in der Rangliste geschützt werden, wenn man ein Baby bekommt, weil es deine Wahl ist, dieses Baby zu bekommen", sagte die englische Profi-Kollegin Heather Watson. Ihre Sichtweisen hatten ihre Berechtigung, jedoch überwog beim Urteil Wimbledons ein gesellschaftlich betrachtet übergeordneter Aspekt: Sollen Spielerinnen, die nach einer Schwangerschaft zurückkehren, wirklich so behandelt werden wie Spielerinnen, die wegen einer Verletzung pausierten? So ist noch der Status quo. "Ich denke und hoffe, dass diese Regel überarbeitet wird", sagte eine Person mit Einfluss dem amerikanischen Sender ABC kürzlich: Williams selbst. "Wenn nicht für mich, dann für die nächste Person." Nun wurde eine sicher überholte Regel tatsächlich bei ihr das erste Mal anders auslegt, und da es in Wimbledon passierte, dem symbolträchtigsten Standort im Welttennis, ist davon auszugehen, dass die Frauentour WTA sich bald intensiver doch ihren Umgang mit schwangeren Profis ansieht. Bislang gab es hauptsächlich nur Absichtserklärungen.

Dass der Fall Williams zu einem Politikum erwuchs, lag auch an der exponierten Position der 36-Jährigen im Tennis. Es hatte zwar schon früher Mütter gegeben, die sogar wie die Belgierin Kim Clijsters Grand Slams gewannen. Aber noch nie war eine 23-malige Grand-Slam-Siegerin aufgrund der Geburt ihres Kindes ausgestiegen und in dieser Zeit eben so weit in der Rangliste abgerutscht. "Wir reden über Serena Williams", betonte die frühere Nummer eins John McEnroe, "ich entschuldige mich bei der 32. im Ranking. Aber so ist es nun mal." Der Amerikaner verhehlte nicht, dass es vor allem die Strahlkraft von Williams sei, weswegen sie bei der Setzliste berücksichtigt werden sollte. Allein die TV-Quoten seien mit ihr höhere. Genau diese Sichtweise wiederum hatte Kritiker auf den Plan gerufen. Tim Sommer, Trainer und Ehemann von Mandy Minella, Profi aus Luxemburg und ebenfalls Mutter, sagte jüngst der SZ, er hoffe, es gebe keine reine Lex Williams, sondern eine faire Regel, die Spielerinnen unabhängig ihres Weltranglistenplatzes grundsätzlich helfe.

In jedem Fall passt die Debatte um Williams zum Zeitgeist, das Thema Gerechtigkeit spielt mehr und mehr eine Rolle im Tennis. Diskrepanzen gibt es immer noch genug. Der All England Club etwa muss sich dafür rechtfertigen, dass mehr Männer-Matches auf den besseren Courts angesetzt werden. Auch die Regeln, nach denen Frauen und Männer gesetzt werden, variieren. Bei den Männern wird nach einer Formel gesetzt, in die die Weltranglistenpunkte sowie Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre bei Rasenturnieren einfließen. Der zweimalige Wimbledon-Sieger Andy Murray, der ein Jahr wegen einer Hüftverletzung fehlte, wenig Punkte vorweisen kann und nicht gesetzt wäre, könnte bei einem Start auf Roger Federer (an 1 gesetzt) oder Rafael Nadal (2) treffen (darüber klagt die britische Presse). Auch hinsichtlich der Bezahlung von TV-Kommentatoren existieren Unterschiede, Martina Navratilova monierte, McEnroe erhalte für die gleiche Arbeit bei der BBC zehnmal so viel Geld wie sie. In diesem Punkt sieht sich McEnroe offenbar weniger in der Rolle des Gerechtigkeitskämpfers. "Jeder wird so bezahlt, wie er den Job macht", sagte der heute 59-Jährige nun. Auch diese Debatte dürfte weitergehen.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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