Tennisspieler Kevin Krawietz:Securitymann mit Grand-Slam-Titel

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Kevin Krawietz hilft vorübergehend im Supermarkt aus. (Foto: oh)

Weil er als Tennisprofi gerade nichts zu tun hat, heuert Kevin Krawietz in einem Supermarkt als Hilfskraft an - und lernt mehr als Einkaufswägen zu desinfizieren und Paletten zu stemmen.

Von Gerald Kleffmann

Vor rund acht Wochen telefonierte Kevin Krawietz mit Hannes Wagner, Tennisprofi wie er. "Mir ist so langweilig", sagte sein Kumpel vom TC Schießgraben Augsburg, die Nummer 33 der deutschen Rangliste. Wagner, 24, sagte halb im Spaß, halb im Ernst: "Ich habe schon überlegt, Regale einzuräumen." Sich nützlich zu machen: Diese Idee gefiel Krawietz. Er erinnerte sich an eine Bekannte, die Supermarktfilialen in München und Umgebung betreut. Er trug ihr sein Anliegen vor und dachte, es wird als Scherz rüberkommen. Aber die Bekannte sagte: "Wir brauchen Leute!" So kam es, dass drei Tage später in einem Lidl in Brunnthal ein Grand-Slam-Sieger im Tennis um fünf Uhr morgens zum Dienst erschien - und Paletten stemmte.

Krawietz, 28, aus Coburg bildete im vergangenen Jahr mit Partner Andreas Mies aus Köln das Aufsteiger-Doppel schlechthin. Die zwei gewannen als erste Deutsche seit 1937 eines der vier großen Turniere, ihr Triumph bei den French Open ging als Nachricht um die Tenniswelt. Sie traten bei der Davis-Cup-Finalwoche in Madrid an, beim Saisonfinale der besten acht Teams in London. Im Einzel hatte sich Krawietz nicht wirklich auf der ATP Tour behaupten können, aber dank der Spezialisierung aufs Doppel hat er mehr als eine Million Dollar an Karrierepreisgeld eingenommen. Bei Lidl wusste das anfangs trotzdem keiner - und es weiß wohl auch bis heute kaum einer. Krawietz, ein bodenständiger, umgänglicher Mann, plauderte nicht groß über sich. Ist nicht seine Art.

Auf 450-Euro-Basis wurden Wagner und er eingestellt. Vom Münchner Stadtteil Nymphenburg, wo er nun wohnt, pendelte er zu den Schichten, die vier Stunden dauerten. Sie stellten sich auf Langeweile ein, "manchmal kam es einem tatsächlich lange vor". Aber sie waren auch begeistert. Vom Teamgeist, den sie als Sportler ja verinnerlicht haben. "Die Mitarbeiter sind extrem nett zueinander." Und vom Marktleiter, der herzlich und herzhaft mit ihnen umging. "Am zweiten Tag mussten wir allein eine Palette einräumen", erzählt Krawietz, "da rief er rüber: ,Hier, die zwei Tennisspieler! Brauchen eine Stunde pro Palette!'" Eine Wette, dass sie es in 30 Minuten schaffen würden, verloren die zwei, natürlich. Zehn Liegestützen wurden fällig. Einmal fragte der Leiter lapidar, wie er diesen Djokovic finde. Ja, sagte Krawietz, ein unglaublicher Spieler. Einmal habe er gegen ihn gespielt, im Doppel. "Da hat er schon gestaunt", sagt Krawietz.

Im Mai 2019 siegte Kevin Krawietz (li.) mit Andreas Mies im Doppel der French Open. (Foto: Jürgen Hasenkopf/imago)

Zeit für diesen ungewöhnlichen Ausflug hat er, weil bis vor drei Wochen die Tennisprofis aufgrund der Corona-Pandemie nicht trainieren konnten. Die Anlagen waren vorübergehend dichtgemacht worden. Inzwischen dürfen sie wieder Plätze betreten, dreimal die Woche übt Krawietz nun auch im Leistungszentrum des Bayerischen Tennisverbandes in Oberhaching, zugleich Stützpunkt der Männer des Deutschen Tennis-Bundes. Der DTB will ab 8. Juni für 32 deutsche Profis eine Art Miniturnierserie starten. Krawietz hofft auf eine Wildcard, es wird ja nur Einzel gespielt. Doch noch genießt er sein Lidl-Abenteuer. "Das ist schon eine tolle Erfahrung", sagt er und staunt selbst über die vielen positiven Reaktionen, die er zuletzt erhielt; am Wochenende hatte das Magazin Spiegel erstmals über seine Tätigkeit berichtet. So nahm die Geschichte öffentlich Fahrt auf.

Was verständlich ist. Er filmte sich eben nicht beim Kochen, wie es viele Topprofis aus Langeweile taten. Sondern wagte den Schritt aus seiner Blase. Und er erfuhr Neues, über sich, über die Gesellschaft. Einmal war er als Securitymann eingeteilt, von 15 bis 20.30 Uhr. Er musste, mit Maske und Handschuhen, Kunden bitten, Einkaufswagen zu nehmen, die er zuvor desinfiziert hatte. So kann der Markt regeln, dass sich nicht zu viele drinnen drängen und sich dabei zu nahe kommen. "80 Prozent reagierten echt nett und verständnisvoll", sagt Krawietz. "Aber ich war erstaunt, wie viele motzten und sich sträubten. Selbst als ich höflich erklärte, dass es allen hilft."

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Von Gerald Kleffmann

Noch hat er ein paar Schichten. In jedem Fall weiß er: "Man schätzt noch mehr, dass man sein Hobby zum Beruf machen konnte." Über sich selbst lachend meint er: "Wenn wir bei kleinen Turnieren waren und über nicht so perfekte Organisation klagten, war das doch Jammern auf hohem Niveau."

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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