Tennis:Das Wunderkind kommt wieder durch

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Laura Siegemund: Langweilig wird es bei ihren Spielen nie (Foto: dpa)
  • Laura Siegemund wurder in der Kindheit als neue Steffi Graf gehypt, dann scheiterte sie an den Erwartungen.
  • Mit 27 Jahren steht sie in Runde drei der Australien Open - und ist beeindruckend unbeschwert.
  • Ihr Spiel ist ein Segen im Frauentennis.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Abend stieg Laura Siegemund ins Auto, mit ihrem Lebenspartner Wilfried Lenz, der auch ihr Physio ist. Sie sind nach Black Rock gefahren, sie wohnen in diesen Tagen bei Freunden in der Nähe von Melbourne. Abends sitzen sie dann mit der Familie zusammen, samt den Kindern und einem Hund, "wir palavern meist lange", hatte Lenz vor der Abfahrt noch verraten. Reden, ja, das kann Siegemund gut.

Im trauten Heim oder auch in einem Stadion vor 10 000 Menschen, wie am Donnerstagnachmittag, in der Hisense Arena. Ihr Sieg sei die "cream on top, wie wir in Germany sagen", sprach sie beim Platz-Interview und bewertete das 3:6, 7:6 (5), 6:4 gegen die frühere Weltranglisten-Erste Jelena Jankovic aus Serbien als "mein größtes Match". Jene Frau, die in der Kindheit als neue Steffi Graf gehypt wurde und es wie alle natürlich nicht wurde, stand mit 27 Jahren im zweitgrößten Stadion der Australian Open und strahlte. "Das macht Bock, wenn so viele grölen", gab Siegemund später zu. Sie hat ihre eigene Sprache. Warum sie keine Furcht mehr vor Topleuten hat, erklärte sie so: "Am Ende geht es darum, die Murmel ins Feld zu spielen."

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Noch nie stand Siegemund in der dritten Grand-Slam-Runde, sie nahm erst 2015 Kontakt mit dieser Größenordnung auf. Bei der Premiere in Wimbledon verlor sie zum Auftakt, wie bei den US Open. An diesem Samstag darf sie die Murmel ausgerechnet ihrer besten Freundin auf der Tour zuspielen, Annika Beck überraschte ebenso mit ihrem 6:2, 6:3 gegen die Schweizerin Timea Bacsinszky; Sabine Lisicki schied gegen die Tschechin Denisa Allertova (3:6, 6:2, 4:6) aus, wie auch Julia Görges gegen die Tschechin Karolina Pliskova (6:7, 1:6); Angelique Kerber besiegte die Rumänin Alexandra Dulgheru (6:2, 6:4).

Die Schwäbin Siegemund aus Metzingen hatte das Pech, dass sie nur ein Jahr nach Grafs Karriere-Ende 1999 als Zwölfjährige die berühmte Orange Bowl in den USA gewann, zu Hause fingen da gleich die Tennisfreunde, die Graf und Boris Becker sozialisiert hatten, zu träumen an. "Ihre Geschichte ist tatsächlich ein bisschen die eines Wunderkindes, das am Druck und den Erwartungen scheiterte", ordnet Siegemunds Freund Lenz ein.

Umso erstaunlicher ist es, wie unbeschwert und hungrig auf Tennis Siegemund wirkt. Sie hat, sagt Lenz, "alles aufgearbeitet". Sie hat Nachholbedarf, sie sieht sich als "Newcomer" in der deutschen Profigruppe. Nachdem sie ihre ersten Jahre in Saudi-Arabien und Indonesien verbracht hatte - Vater Harro war dort als Ingenieur tätig -, stieg die talentierte Tennisspielerin in der Heimat mit 14 bei ITF-Turnieren ein. Es gab Erfolgserlebnisse auf dieser unteren Ebene, aber es ging zäh voran. Erst 2010 glückte die erste Teilnahme auf WTA-Niveau; sie verlor gleich in Bastad, Schweden.

Die Konkurrenz bei den Erwachsenen ist eben eine andere, und als sie 2012 stolpernd einen Bänderriss erlitt, "wollte ich alles an den Nagel hängen". Siegemund machte den A-Trainerschein, nahm ein Studium an der Fernuni Hagen auf; Psychologie, ihr Fach, spiegelt sich bei vielen ihrer Antworten wider. Sie redet schonungslos analytisch - und doch gewitzt wie Andrea Petkovic, nur ist sie nicht so bekannt.

Nach ihrem Bruch im Leben spielte sie aber aus Spaß ein paar ITFs, siegte prompt und stolperte so in die dritte Karriere. Noch letztes Jahr sah sie sich nicht als Berufsspielerin, nun sagt sie: "Ich glaube daran, dass ich auf dieses Level gehöre." Für Tennisfreunde wäre das ein Segen, Siegemunds Spielstil ist speziell, sie greift ständig an, eine Rarität im Frauentennis; 39-mal allein gegen Jankovic. 49 Fehler indes fabrizierte sie auch. Ballwechsel mit ihr sind selten langweilig. Auch wenn sie seit ihrem ausgeheilten Bänderriss anders auf ihre Arbeit schaut, mit mehr Genuss, sich bewusster ernährt, so ist sie immer noch "ein forscher Typ", wie sie sagt. "Man spielt immer ein wenig so, wie man ist."

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Ihr Naturell ist das Direkte, sie redet zwar permanent auf dem Platz, sie braucht das. Aber sie kann auch Ruhe geben - und Situationen schnell akzeptieren. "Sie hatte eigentlich nie so eine Krise, wo sie wirklich niedergeschlagen war", sagt Lenz. Sie habe eher gesagt: Gut, wenn Tennis endgültig nicht klappt, mach ich etwas anderes! Los kam sie von ihrem Sport trotzdem nicht, sie hasst ihn ja nicht, wie es bei gescheiterten Wunderkindern gerne vorkommt.

Als 93. der Weltrangliste startete Siegemund in die Australian Open, sie wird klettern, öfter in Hauptfelder kommen, Coach Markus Gentner, einen Klubtrainer aus Metzingen, vielleicht öfter mitnehmen, der ihr seit sechs Jahren hilft. Sie ist jetzt da, wo sie viele vor zehn Jahren schon gewähnt hatten. Am Ende entscheidet "ein Muckesäckele", also ganz wenig, wohin mancher Weg führt. Sie sagt das und lacht.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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