Tennis:Angelique Kerber weiß, was sie will

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Den Fokus behalten: Nach zwei Grand-Slam-Titeln ist Angelique Kerber im Rampenlicht angekommen. (Foto: dpa)

Von der Nummer eins wird erwartet, dass sie mehr ist als eine sehr gute Tennisspielerin. Schafft sie das? Beobachtungen bei einem Sponsorentermin in München.

Von Christopher Gerards, München

Ob sie den Tennisball nehmen könne und den Filzstift? Kann sie sich bitte vors Werbebanner stellen? "Und dann tu doch mal so, als ob du schreibst!" Also nimmt Angelique Kerber den Tennisball und den Filzstift. Sie stellt sich vors Werbebanner und tut so, als ob sie schreibt. Sie schaut in die Kamera und lächelt. Klick. Der Fotograf ist zufrieden, Kerber geht weiter, sie hat es fast geschafft.

Seit fast einer Stunde steht sie am Freitagmorgen in einem Tagungsraum am Münchner Flughafen, wird fotografiert, schreibt Autogramme und beantwortet Fragen. Kerber, weiße Bluse, schwarze Hose, ist gekommen, weil eine Versicherung sie als Markenbotschafterin vorstellt, und wenn man das Interesse der Journalisten als Maßstab nimmt, ist sie eine ziemlich gute Wahl. Alle wollen etwas erfahren von ihr. Wird sie oft auf der Straße erkannt? "Ich habe schon Unterschiede festgestellt. Am Flughafen, im Restaurant, in der Stadt. Aber mir ist das nicht unangenehm." Wie war die Zeit ohne Tennis? "Also, einige Tage konnte ich es genießen."

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Angelique Kerber, 28, ist die beste Tennisspielerin der Welt, seit knapp zwei Wochen führt sie die Rangliste an, sie hat zwei Grand-Slam-Titel gewonnen in diesem Jahr, in Australien und in den USA. Deshalb geht es am Münchner Flughafen vor allem darum, wie sich ihr Leben in den vergangenen Wochen verändert hat. Und auch um die Frage, wie sie das Tennis in Deutschland verändert hat.

Kerber ist gelungen, was abseits des Fußballs nur wenige schaffen

Es war ruhig geworden um Kerber in den vergangenen Tagen, wenn es so etwas wie Ruhe überhaupt gibt in einem derart ausgeleuchteten Sportlerleben. Sie war zu Hause in Polen. "Ich habe viel geschlafen, gut gegessen, ganz normal gelebt." Ende des Jahres will sie erneut in den Urlaub, sie weiß nur noch nicht, wohin. Sie denkt gerade mehr an das, was vor ihr liegt, und das sind drei Turniere in Asien: in Wuhan, Peking und bei der WTA-WM in Singapur. Es sind ihre ersten Auftritte als Weltranglistenerste. Also sagt sie: "Ich will die Nummer eins nicht so schnell wieder verlieren".

Zumindest beim Turnier in Wuhan hat sich Kerber zunächst keine Blöße gegeben. Die Erstrundenpartie gegen die Französin Kristina Mladenovic, Platz 54 der Welt, gewann sie am Dienstagvormittag mit viel Mühe in drei Sätzen. Nach 2:16 Stunden verwandelte sie ihren ersten Matchball.

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Zurück in München: Kerber steht mittlerweile bei einem Kamera-Team vom Sportfernsehen. Ein Journalist reicht ihr ein Smartphone, ein Video zeigt Dirk Nowitzki, den Basketballer, und es klingt so, als gratuliere er Kerber. "Ah, der Dirk", sagt sie, "der Dirk, so wie der ist."

Nowitzki ist ein Botschafter des Sports geworden, was in Deutschland abseits des Fußballs nur wenige geschafft haben. Henry Maske, Franziska van Almsick, Boris Becker, Steffi Graf. Die Frage, die man sich stellt, wenn man Kerber dort im Blitzlicht sieht: Wie weit wird es Kerber schaffen? Nicht in den Tennis-Ranglisten, sondern in den Köpfen der Menschen?

Kerber hat mit ihren Erfolgen zumindest in diesem Jahr etwas erreicht, was zuletzt Graf und Becker gelungen war: dass Tennis in diesem Land wieder eine große Sache ist. Deutsche Tennisprofis von Weltformat? Gab es lange nicht. Es gibt Roger Federer aus der Schweiz. Es gibt Serena Williams aus den USA. Jetzt gibt es auch Kerber aus Kiel.

Sie ist so gesehen nicht nur Markenbotschafterin eines Unternehmens, sie ist nun Botschafterin ihres Sports. "Ich habe mich entwickelt in den letzten Jahren", sagt sie und dass sie erreichen wolle, dass die Republik ihren Sport stärker wahrnimmt. "Fangt an, Tennis zu spielen" - das ist die Botschaft, die sie vom Münchner Flughafen ins Land senden will.

Sie sendet diese Botschaft in Journalistenblöcke, in Kameras und in Smartphones, in der Regel lächelnd. Einmal nur ärgert sie sich über eine Frage, es ist nachdem ein Boulevard-Reporter eher semi-tennisbezogen nachgehakt hat, ob sie inzwischen Heiratsanträge erhalten habe. "Unnötig", sagt Kerber.

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Lange hat Kerber anderen die Plätze in der ersten Reihe überlassen

Lange hat Kerber Sabine Lisicki und Andrea Petkovic die erste Reihe überlassen. Doch nach ihrem Grand-Slam-Sieg in Melbourne war sie auf den Covern von People-Magazinen, es schien ein bisschen, als würde sie die Gelegenheit nicht versäumen wollen, sich in den Köpfen der Menschen festzusetzen. Ihre Leistungen schwankten kurz, sie hatte sich "leer" gefühlt nach dem Jubelmarathon. Sie musste lernen, beides zu beherrschen: eine öffentliche Figur zu sein und zugleich auf dem Platz zu glänzen.

Und nun, als Nummer eins?

Erfolg kann gefährlich sein, und wenn man Kerber darauf anspricht, sagt sie, dass man sich um sie keine Sorgen machen müsse. "Das Drumherum ist etwas Neues, was ich auch gern mache. Da gibt es auch keine Gefahr, dass ich mich verändere oder eine andere Angie sein werde." Wichtig sei, sagt sie, dass sie ihre Leistung auf dem Platz abrufe, das klingt nach einer herrlichen Floskel.

Aber es stimmt ja: Wer Wimbledon gesehen hat, Olympia, die US Open, der weiß, dass ihr genau das inzwischen zuverlässig gelingt. Als ein Reporter fragt, wie sie zwischen den Matches in New York abgeschaltet hat, sagt sie, dass sie Bücher gelesen habe, Filme und Serien geschaut: "The Choice" und "Homeland".

Serena Williams ist verletzt - Kerbers Chancen, Nummer eins zu bleiben, steigen

Was sie antreibt? "Ich war in Singapur noch nie im Halbfinale, das ist das Ziel, das ich in diesem Jahr noch habe." Serena Williams, ihre große Kontrahentin, die nun ihre Verfolgerin ist, tritt bei den nächsten Turnieren in Wuhan und Peking nicht an, die Schulter. Kerbers Chancen, als Nummer eins ins nächste Jahr zu gehen, sind dadurch gestiegen. Aber, sagt sie, "es spielen ja noch andere sehr gut Tennis." Understatement ist der Knigge eines jeden Champions, einerseits. Andererseits ist es wohl wirklich auch einer der Gründe, die ihre Stärke ausmachen.

Wenn man sie also fragt, was sie als Nummer eins verbessern kann an ihrem Spiel, dann sagt Kerber: "Da gibt es noch einiges." Ihre Schläge, den Aufschlag, die Fitness. "Also: ein bisschen von allem." Kerber weiß, dass sie fortan jene Spielerin ist, die alle anderen besiegen wollen. Dass sie in jedem Spiel den Druck hat, gewinnen zu müssen. Aber sie sagt auch: "Das ist das Gefühl, das ich immer haben wollte. Und es ist ein gutes Gefühl."

Sie lächelt nochmal in eine Kamera, sie schreibt noch ein paar Autogramme. Dann verschwindet sie aus dem Saal, ein langgezogenes Tschüss. Als sie weg ist, hat man das Gefühl, eine Sportlerin getroffen zu haben, die freundlich gewesen ist und zugleich professionell. Eine Sportlerin, die weiß, was sie will.

© SZ vom 25.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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