SV Werder Bremen:Von der Intensivstation zurück ins Leben

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Erhielt Applaus nach seiner Fehleranalyse: Werder Bremens Sportchef Frank Baumann bei der Mitgliederversammlung. (Foto: Kokenge/Nordphoto/Imago)

Der abgestiegene Traditionsklub präsentiert bei der Mitgliederversammlung seine Geschäftszahlen. Die Verantwortlichen verbreiten nach dem Absturz Zuversicht.

Von Thomas Hürner, Bremen

Vor der Mitgliederversammlung hatte der SV Werder extra mitgeteilt, dass die Besucher am Sonntag sicherheitshalber mit Sonnenbrillen und Sonnencreme ins Weserstadion kommen mögen, damit die Veranstaltung beim vorhergesagten Kaiserwetter bestmöglich überstanden werden könne. Und in der Tat: Die graue Wolkendecke klarte zur Mittagszeit auf, die Sonne trat hervor und bereitete so die passende Kulisse für die sich aufhellenden Gemüter innerhalb der Bremer Fußballfamilie.

Begonnen hatte der Tag mit einer eindringlichen Warnung des Klubpräsidenten Hubertus Hess-Grunewald, der für die "gesamte Organisation Werder Bremen" eine "massive Krise" konstatierte, bevor er die bereits bekannten Gründe dafür aufzählte: massive Einnahmerückgänge wegen der Corona-Pandemie, Fehlentscheidungen der Verantwortlichen sowie der Absturz der Profifußballer in die Zweitklassigkeit. Die Auswirkungen auf Werders Bilanzen und die daraus folgenden Konsolidierungsmaßnahmen fasste Klaus Filbry, der Bremer Geschäftsführer Finanzen, wie folgt zusammen: "Wir lagen auf der Intensivstation und sind jetzt runter. Aber wir werden mit den Folgen zu kämpfen haben."

Für die Saison 2019/2020 wurde ein Rekord-Minus von 23,8 Millionen Euro ausgewiesen, wohingegen das Geschäftsergebnis für die Abstiegssaison 2020/2021 im Vergleich zum Vorjahr um 15 Millionen Euro auf ein Minus von 8,8 Millionen Euro verbessert wurde. Ermöglicht wurde dies, so Filbry, durch Gehaltseinsparungen und durch die Veräußerungen des Tafelsilbers im Kader: Mittelfeldmann Davy Klaassen, der vor einem Jahr verkauft wurde, sowie Angreifer Milot Rashica, dessen im Juli abgeschlossener Transfer noch in die Bilanz der vergangenen Saison fällt, brachten durch ihre Ablösesummen zusammen etwa 22 Millionen Euro ein.

Der viel kritisierte Werder-Sportchef Frank Baumann erhält Applaus von den Mitgliedern

Von besonderem Interesse für die knapp 1000 Gäste im Weserstadion war natürlich die Frage, wie es zum sportlichen Niedergang kommen konnte, der in der vergangenen Spielzeit mit dem Abstieg endete. Im Sinne einer transparenten Aufklärung hatte der Bremer Sportchef Frank Baumann eine Power-Point-Präsentation vorbereitet, mit der er gängige Vorwürfe peu à peu abarbeitete: Warum wurde der 2019 abgewanderte Max Kruse nicht gleichwertig ersetzt? Weshalb wurde so lange am Trainer Florian Kohfeldt festgehalten, um ihn im Mai einen Spieltag vor Schluss letztlich doch zu entlassen? Baumann, so empfanden das zumindest die Mitglieder, konnte für jeden Punkt schlüssige Antworten liefern. Der viel kritisierte Sportchef erhielt nach seinem Vortrag eine Menge Applaus.

Als Ausgangspunkt allen Übels identifizierten die Verantwortlichen die Saison 2018/19, in der sich Werder noch beinahe für den Europapokal qualifiziert hatte. Danach, sagte Baumann, habe man sich am "Rattenrennen um die Fleischtöpfe im europäischen Wettbewerb" beteiligt. Und das war ein teurer Kapitalfehler. Dennoch: Trotz Mindereinnahmen von 35 Millionen Euro - wegen der fehlenden Zuschauer im Stadion und wegen des Abstiegs - sei die laufende Zweitliga-Saison dank des Sparkurses und Krediten "durchfinanziert", versicherte Filbry. Am Saisonende sei sogar mit einem "positiven Ergebnis" zu rechnen.

Nach einigen Wortbeiträgen, in denen sich die meisten Mitglieder ausdrücklich zur "Werder-Familie" und zum eingeschlagenen Weg bekannten, wurden vier Kandidaten für den Aufsichtsrat gewählt. Das Rennen machten der Adidas-Finanzchef Harm Ohlmeyer, der Fan-Vertreter Dirk Wintermann, der Digitalisierungsexperte Florian Weiß und die SPD-Politikerin Ulrike Hiller.

Letztere wäre die erste Frau, die es nach der obligatorischen Bestätigung bei der Hauptversammlung ins Werder-Kontrollgremium schaffen würde. Ein Gefühl für die Stadt stellte Hiller in ihrer Rede schon mal unter Beweis: Viel zu bieten habe Bremen ja nicht, sagte Hiller, eigentlich nur die Stadtmusikanten - und den SV Werder. Zumindest der Fußballklub hat am Sonntag wieder ein kleines Lebenszeichen von sich gegeben.

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