Surfen:Warten auf das Beste

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Der Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner aus Nürnberg könnte diesen Winter einen Weltrekord aufgestellt haben - sollte sich herausstellen, dass die Welle, die er in Portugal geritten ist, höher war als jemals zuvor.

Von Anna Dreher

Zurückblickend hat er das Beste wahrscheinlich ziemlich oft verpasst. Es ging nicht anders, aber bitter ist diese Erkenntnis natürlich trotzdem. Für Sebastian Steudtner ist das Beste vor allem eins: Wenn er sich ganz in Ruhe vorbereiten kann, wenn der Wetterbericht einen Sturm vorhersagt, wenn dieser Sturm beängstigend große Wellen an Land peitscht und wenn Steudtner genau dann im Wasser mit seinem Surfbrett wartet, um eins zu werden mit dieser Welle, die so groß ist wie ein mehrstöckiges Haus.

Sebastian Steudtner ist Big-Wave-Surfer, der einzige aus Deutschland und einer der wenigen überhaupt, die sich in die ganz großen Wellen wagen. Wellen, die Wassermassen von bis zu 500 000 Tonnen Gewicht ansammeln und mit 70 km/h der Küste entgegen preschen. Seine Geschichte aber ist geprägt von dem Streben nach Anerkennung, von Beharrlichkeit und dem festen Glauben daran, das erreichen zu können, was andere ihm nicht zutrauten, immer wieder. Und seine Geschichte handelt auch von der Leidensfähigkeit, lange auf das Beste zu warten - und es dann doch zu verpassen.

Das Mekka im Big-Wave-Surfen ist nicht mehr Hawaii, sondern das portugiesische Nazaré

Das mit dem Verpassen aber ist bei Sebastian Steudtner inzwischen deutlich besser geworden, weil sein Leben als professioneller Big-Wave-Surfer sich in den vergangenen Jahren so verändert hat, wie er sich das immer vorgestellt hat: Er kann sich auf seinen Sport konzentrieren - und er hat ihn weiterentwickelt. "Ich bin jetzt frei. Das war ein langer Prozess und hätte anders laufen können", sagt der 32 Jahre alte Nürnberger. "Aber dadurch habe ich mich als Mensch verändert und weiterentwickelt. Das ist am Ende ja vielleicht sogar wichtiger als eine große Welle."

Am 18. Januar aber war eine große Welle wieder das Wichtigste. Das Mekka im Big-Wave-Surfen ist seit 2011 nicht mehr Hawaii, sondern vor allem das portugiesische Nazaré, 120 Kilometer nördlich von Lissabon. Seit der US-Amerikaner Garrett McNamara dort mit einer 23,8-Meter-Welle eine neue Bestmarke setzte, kommen immer mehr Menschen in den Fischerort - Zuschauer und Surfer. "Das macht es schwieriger, weil viele nicht wissen, wie sie sich in diesen Wellen verhalten sollen. Vor allem nach einem Sturz", sagt Steudtner. "Nazaré ist nicht der Ort, um diesen Profisport mal auszuprobieren."

Am 18. Januar war wieder einer dieser Tage in Nazaré mit besonders großen Wellen, auf die Steudtner gelernt hat zu warten. So groß, wie sie zuletzt im Dezember 2014 waren, als er die größte Welle des Jahres erwischte, wofür er 2015 bei den Global Big-Wave-Awards ausgezeichnet wurde - dem wichtigsten Preis dieser Sportart. Schon 2010 erhielt Steudtner ihn, als erster Europäer, nachdem er in Hawaii eine 22 Meter hohe Wasserwand gesurft war. Wie groß die Welle vom 18. Januar genau war, wird er erst wissen, wenn die Foto- und Videoaufnahmen von der Jury ausgewertet wurden. Aber er schätzt: an die 30 Meter. Vor Nazaré ist das Kontinentalschelf durch eine riesige Schlucht gespalten, die bis zu 500 Kilometer tief ist und weit ins Meer reicht, weshalb sich die Wellen besonders gigantisch auftürmen. Die Saison ist bald zu Ende, der Ozean vor Nazaré wird ruhiger, wenn es wärmer wird. Dann dauert es eine ganze Weile, bis die riesigen Wellen wieder kommen - und so könnte es sein, dass Steudtner auch 2017 die größte erwischt hat und zum dritten Mal den Award gewinnt - vielleicht sogar mit einem neuen Weltrekord, seinem Ziel.

Sebastian Steudtner konnte sich lange Zeit nicht auf seinen Sport konzentrieren, weil er keine Sponsoren fand. Zu gefährlich, sagten viele. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Dass er sich überhaupt darauf konzentrieren kann, hat lange gedauert. Als Neunjähriger hat Steudtner mit Windsurfen angefangen, mit 13 entschied er sich, Profi zu werden. Mit 16 hatte er seine Eltern überredet, ihn nach Hawaii auf ein Internat gehen zu lassen. Über einen Freund lernte er dort Nelson Armitage kennen, einen der bekanntesten hawaiianischen Surfer, über den er Einlass in einen sonst verschlossenen Zirkel fand. Mit 18 Jahren surfte er zum ersten Mal am Spot mit den größten Wellen Hawaiis: Pe'ahi. Seit 2004 ist Steudtner Big-Wave-Surfer.

Wird ein Surfer unter den Wassermassen begraben, können Sekunden entscheiden

Seine sportliche Karriere aber konnte er erst nach dem zweiten Award und jahrelanger Vorarbeit entfalten. Viele Sponsoren waren lange nicht an Big-Wave-Surfern interessiert: zu gefährlich. Steudtner hatte zudem die Schwierigkeit, sich als Deutscher in der amerikanisch geprägten Sportart zu vermarkten. Und in seiner Heimat konnten mit seinem Sport viele nichts anfangen. Er arbeitete als Bauarbeiter und Türsteher, hielt Vorträge bei Firmen über Motivation. In vielen Phasen seiner Karriere war er mehr Geschäftsmann als Profisportler und verpasste bei der Suche nach Geldgebern oft die größten Wellen. Inzwischen aber ist Big-Wave-Surfen bekannter. Steudtners Welle vom 18. Januar wurde in vielen europäischen Ländern sogar in den Hauptnachrichten gezeigt.

Vor vier Jahren noch musste Steudtner ein Crowdfunding initiieren, um sich seine Saison finanzieren zu können, die vielen Trainingseinheiten und die Zusammenarbeit mit seinem Team aus Athletik-Trainer, Militärarzt und Jet-Ski-Fahrer. Weil er neben dem Surfen der größten Wellen auch eines wollte: seine Sportart professionalisieren.

Er hat mit seinem Arzt eine spezielle Rettungsauflage für die Jetskis entwickelt und Abläufe einstudiert, durch die im Falle eines Sturzes noch auf dem Wasser lebensrettende Maßnahmen durchgeführt werden können. Und er war einer der ersten, die unter seinem Neoprenanzug eine Auftriebsweste trugen. Auch die Art der Kommunikation mit Funkgeräten zwischen den Surfern, Jetski-Fahrern und den sogenannten "Spottern" an Land, die bei der Auswahl der Wellen helfen, hat sich auf seine Initiative verändert. Mit einem klaren System, an das sich alle Teams halten sollen, damit bei einem Unfall keine Zeit verloren geht. Wird ein Surfer unter den Wassermassen begraben, können Sekunden entscheiden. Inzwischen fahren manche mit Helmen, in die Funkgeräte integriert sind. "Die Struktur dieses Sports muss sich verändern, professioneller werden", sagt Steudtner. "Viele verstehen nicht, wie wichtig das ist."

Früher konnte er sich solche Gedanken gar nicht erst machen. Und auch erst jetzt kann er anderen helfen, die Schwierigkeiten haben: Er hat einen Verein gegründet, um mit einem Surfprojekt benachteiligten Kindern zu helfen. Sebastian Steudtner will nicht, dass es ihnen so geht wie ihm lange Zeit. Das Beste sollen sie nicht verpassen.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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