Süd-Klubs in der Serie A:Napoli verliebt sich in Diego II.

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Gonzalo Higuain verzaubert derzeit ganz Neapel. (Foto: AFP)

20 Jahre nach Maradona schwärmt Neapel wieder für einen Argentinier: Gonzalo Higuain spielt mit viel Fantasie und hat den SSC Neapel bis ganz nach oben in der Tabelle geführt. Die "Primadonna assoluta" könnte ganz Italien die Begeisterung für den Calcio zurückgeben.

Von Birgit Schönau, Rom

Montagmorgen im Postamt an der römischen Piazza Dante. Debatte zwischen einem hageren Aktentaschenträger und der fülligen Schalterfrau. "Wir müssten oben stehen", erklärt der Taschenmann, nervöses Staccato. "Sieben zu null. Wer gewinnt denn hier sie-ben-zu-null?!" Die Schalterfrau verzieht abschätzig ihren rot geschminkten Mund. "War doch bloß gegen Sassuolo", murmelt sie und verkneift sich ein ur-römisches " chissenefrega" - wen juckt das schon? Von wegen nur Sassuolo, kreischt der Kunde. Er setzt an zu einem Vortrag über die Ungerechtigkeit in der Welt und die unaufhaltsamen Dekadenz Italiens. Die Postfrau gähnt. Dann drückt sie auf den Knopf, der die nächste Wartenummer zu ihr befördert, sie sagt: "Einen guten Tag noch."

Der ausgeflippte Inter-Fan zieht grummelnd seiner Wege. Hinter ihm, feixend, ein ungewöhnlich gut gelauntes Post-Publikum: Tabellenführer zu sein, macht geduldig.

Wenn der Süden abhebt, erscheint auch Inter Mailands höchster Serie-A-Auswärtssieg der Geschichte beim Winzling Sassuolo als Fußnote. Ein Trainingsspiel in der Po-Ebene, weiter nichts. Knapp drei Stunden durfte sich Inter an der Tabellenspitze sonnen und darauf hoffen, auf diese Weise den eigenen Kaufpreis noch ein bisschen in die Höhe getrieben zu haben - am Montag war in Paris der Abschluss des Vorvertrages zwischen Massimo Moratti und dem Indonesier Erik Thohir vorgesehen.

Borussia Dortmund
:Neapels Hausmeister schwärmt von Klopp

Nach seinem Ausraster gegen den SSC Neapel flüchtete Jürgen Klopp ins Kabuff des Hausmeisters. Nun schwärmt Vincenzo Gerrone in den höchsten Tönen vom Dortmunder Coach - dabei konnte er seinem Gast nur Wasser und Kuchen anbieten.

Doch schon bevor der Abend dräute, waren die Mailänder vom AS Rom überholt. Mit einem glatten 2:0 (Torschützen: Federico Balzaretti, Adem Ljajic per Strafstoß) hatte die Roma das Lokalderby gegen Lazio für sich entschieden: der vierte Sieg an vier Spieltagen. Lazio, allen voran der erschreckend hölzerne Miroslav Klose, wurde von der fröhlichen Truppe des 37-Jährigen Über-Kapitäns Francesco Totti einfach an die Wand gespielt. "Wir haben die Kirche wieder ins Dorf geholt", erklärte der neue Roma-Coach Rudy Garcia.

Die Redensart aus Garcias französischer Heimat war am Tag darauf nicht nur am Postamt an der Piazza Dante schon in aller Munde. Mit Kirchen kennt man sich schließlich aus im römischen Weltdorf, wo ja neuerdings auch der Papst endlich Francesco heißt.

Den ersten Platz teilt sich die Roma mit dem SSC Neapel, auch das ist durchaus eine Sensation. Erstmals seit 27 Jahren gelang den Neapolitanern am Sonntagabend ein Sieg in der Mailänder Fußballoper San Siro, und dieses 2:1 war für den AC Mailand noch sehr geschmeichelt. Napoli spielte um Klassen besser: Fantasie, Spielfreude und taktische Disziplin offenbarten eine lange nicht gesehene Überlegenheit der Südländer, die mit gleichem Ergebnis nur Tage zuvor schon Borussia Dortmund bezwungen hatten.

Auch gegen Milan war der Protagonist wieder Mittelstürmer Gonzalo Higuain. Der argentinische Zugang von Real Madrid erzielte nach Miguel Britos' 1:0-Führung ein Siegtor wie eine Primadonna assoluta: ein kraftvoll und elegant herausgezogener Fernschuss, unhaltbar für Torwart Christian Abbiati. "El Pipita spielt wie ein Straßenfußballer" sagt Neapels Präsident Aurelio De Laurentiis über Higuain, natürlich ist das ein Kompliment.

Milans Offensivstar Mario Balotelli versuchte lange Zeit, sich der Übermacht der Neapolitaner zu widersetzen. Doch der Nationalspieler war vorne viel zu isoliert. Balotellis braver Partner Alessandro Matri kann den an Schalke verkauften Kevin-Prince Boateng nicht ersetzen, im Mittelfeld fehlte zudem der stets fleißig assistierende Deutsch-Italiener Riccardo Montolivo. Während Neapel vor Ideen nur so überschäumte, blieben Milans Aktionen langsam und berechenbar. Das galt auch für Mario Balotellis Elfmeter, den Neapels Schlussmann Pepe Reina lässig parierte.

Erst in der Nachspielzeit gelang Balotelli der Anschluss, gleich darauf sah er, bereits verwarnt, die gelb-rote Karte. Die Mailänder stehen nach der erneuten Klatsche auf Platz 11 - und nichts deutet darauf hin, dass so viel deprimierte Mittelmäßigkeit zum Sprung nach oben ansetzen könnte.

Weil ja nichts von ungefähr kommt, verweisen die Exegeten auf die Tatsache, dass Milan-Präsident Silvio Berlusconi als verurteilter Steuerbetrüger auf den Hausarrest zusteuert, während Neapel gerade von einem Team ehemaliger Staatsanwälte regiert wird. Andere lehnen sich nicht ganz so weit aus dem Fenster und erinnern lieber daran, dass beim bislang letzten Triumph in San Siro auch ein Argentinier wie Higuain federführend war - ein gewisser Diego Armando Maradona.

Niederlage in Neapel
:Bei Dortmund geht alles daneben

Fehlstart für Dortmund: Der Finalist der vergangenen Champions-League-Saison verliert beim SSC Neapel 1:2 - Trainer Klopp und Torwart Weidenfeller sehen schon in der ersten Halbzeit Rot, Hummels muss verletzt vom Feld. Erst ein Eigentor der Italiener bringt kurz vor Schluss noch ein wenig Spannung.

Die Italiener können sich Umfragen zufolge immer weniger für ihren Calcio begeistern, nur gut jeder Dritte will in dieser Saison überhaupt Fußballspiele sehen, eine verschwindend kleine Minderheit pilgert dazu ins Stadion. Die Mailänder Arena war zum Spitzenspiel gegen den SSC Neapel halb leer, auch das römische Derby war nicht ausverkauft. Mitreißender Fußball vor leeren Rängen also - aber das muss ja nicht so bleiben.

© SZ vom 24.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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