John Higgins bei der Snooker-WM:"20 Sekunden lang geschrien"

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Geschafft: John Higgins (rechts) nach seiner Clearance gegen Mark Allen. (Foto: George Wood/Getty Images)

John Higgins, der alte Snooker-Held, feiert bei der WM in großer Bedrängnis ein emotionales Comeback. Auch Ronnie O'Sullivan ist gut in Form - und sorgt sich um das Wohl einer Zuschauerin.

Von Carsten Scheele

Hätte Mark Allen noch ein Minütchen so weitergespielt, wäre John Higgins jetzt schon zu Hause. 12:12 stand es im Achtelfinale bei der Snooker-WM zwischen Allen und Higgins, der Entscheidungsframe lief, als Allen eine gar nicht so komplizierte rote Kugel an den Ausgang der Ecktasche setzte. Von dort sprang sie weg, fiel nicht ins Loch.

62:0, das war ein guter Vorsprung für Allen, aber eben nur ein guter. Er wusste: Würde Higgins alle Kugeln in der vorgeschriebenen Reihenfolge lochen, ohne dass Allen noch einmal an den Tisch kommt, könnte der Schotte den Nordiren noch abfangen. "Clearance" nennen sie das im Snooker, den Tisch leer spielen.

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Ronnie O'Sullivan könnte sich bei der Snooker-WM seinen achten Titel sichern und eine weitere besondere Bestmarke erreichen. Aber erst einmal legt er sich vor dem Turnierstart mit den Traditionalisten seines Sports an.

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Und Higgins spielte den Tisch leer, erzielte 71 Punkte nacheinander, nach der schwarzen Kugel reckte er beide Arme in die Luft, schloss kurz die Augen, ehe er sich die ernst gemeinten Glückwünsche von Allen abholte, der dabei liebevoll Higgins' Bauch tätschelte. "Das ist das Beste, was mir in den letzten zwei Jahren passiert ist", sagte Higgins später. Er sei in seine Umkleidekabine gegangen und hätte "20 Sekunden lang geschrien", auch ein paar Tränen seien geflossen. "Ich bin so stolz auf mich", sagte Higgins. Er habe gezeigt, dass "ich es noch kann".

Auch Ronnie O'Sullivan steht im Viertelfinale der Snooker-WM

Hintergrund dieses Gefühlsausbruchs ist, dass Higgins seine beste Zeit eigentlich schon hinter sich hat. Einst war der Schotte der beste Spieler der Welt, noch vor Ronnie O'Sullivan, doch das ist lange her. 48 Jahre alt ist Higgins mittlerweile, den letzten seiner vier WM-Titel feierte er vor 13 Jahren, das war 2011. Seit drei Jahren hat er auch kein Ranglistenturnier mehr gewonnen. Erstmals seit 29 Jahren drohte er nicht mehr zu den besten 16 Spielern der Weltrangliste zu gehören.

Doch nun diese Clearance, eine Demonstration jener Nervenstärke, die ihn immer ausgezeichnet hat. Es waren komplizierte Bälle dabei, zwischendurch spielte er ein herausragendes Double, als er die rote Kugel in der Not nicht direkt, sondern über die lange Bande in die Mitteltasche lochte. "Als ich an den Tisch kam, wusste ich, dass das Double meine einzige Chance war", sagte Higgins: "Ich muss mir selbst auf die Schulter klopfen." Auch Allen sagte, er habe nach diesem Double die Hoffnung aufgegeben: "Ich wusste, er zieht das durch."

Im Viertelfinale trifft Higgins nun auf Kyren Wilson, die Nummer zwölf der Weltrangliste; in dieser Konstitution dürfte Higgins durchaus Chancen auf den Einzug ins Halbfinale haben. Auch Judd Trump (im Viertelfinale gegen Jak Jones) und Stephen Maguire (gegen David Gilbert) sind noch im Turnier. Und natürlich Ronnie O'Sullivan. Der könnte sich bei dieser WM mit seinem achten Titelgewinn zum alleinigen WM-Rekordsieger der Snooker-Neuzeit küren; aktuell teilt er sich diesen Titel mit Stephen Hendry. Nebenbei könnte ihm das Kunststück gelingen, alle drei wichtigen Triple-Crown-Turniere, die UK Championship, das Masters und die WM, in einer Saison zu gewinnen.

Während viele andere Mitfavoriten, unter anderem Mark Selby, Mark Williams und der amtierende Weltmeister Luca Brecel, schon ausgeschieden sind, hat O'Sullivan seine Spiele bislang mühelos gewonnen. Seine Sinne sind geschärft, während seines Zweitrunden-Siegs gegen Ryan Day ermahnte er sogar eine Zuschauerin, die für seinen Geschmack in der ersten Reihe etwas zu laut geklatscht hatte. "Vielleicht war sie noch nie bei einem Snooker-Match", sagte O'Sullivan: "Ich sagte, sie solle sich etwas beruhigen." Er habe sich aber hinterher "ein bisschen schlecht" gefühlt und erklärte entschuldigend: "Ich wollte nicht, dass sie denkt, ich würde sie beschimpfen." Er trifft nun auf Stuart Bingham.

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