Slopestyle:"Ich war eine Weile bewusstlos, wusste gar nichts mehr"

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Träumt von der Olympia-Qualifikation für 2022 in Peking: Jakob Geßner. (Foto: privat)

Vor einem Jahr bremste ein Sturz den Freestyle-Skifahrer Jakob Geßner aus. Nun hat er die Oberhand über seinen Kopf zurückerobert - und arbeitet an seinem Traum von Olympia.

Von Thomas Becker

Ziemlich genau ein Jahr hat es gedauert, bis Jakob Geßner die Oberhand über seinen Kopf zurückerobert hat. Auf selbigem war er vor gut zwölf Monaten gelandet, außerplanmäßig und heftig noch dazu. Starke Gehirnerschütterung, zwei Monate Pause, und das mitten in der Saison.

Ausgerechnet in der Saison, in der sein Projekt Freestyle-Weltcup Fahrt aufnehmen sollte. "Und dann bin ich bei einem Foto-Shooting bei einem recht einfachen Trick, einem Flatspin 360 Japan grab, ziemlich blöd auf den Kopf gefallen", erzählt er lapidar, so wie andere Leute berichten, dass sie an der Bordsteinkante umgeknickt sind. Ein bisschen krasser war sein Crash dann schon: "Ich war eine Weile bewusstlos, wusste gar nichts mehr." Die Zwangspause danach ließ er nicht ungenutzt: "Ich hab' viele Hirn-Screenings machen lassen, dass da auch ja nichts längerfristig kaputt ist." Schließlich will sich der 19-Jährige noch länger mit Skiern an den Füßen über Schanzen und Rails katapultieren, so wie gerade in den Pyrenäen: beim Slopestyle-Weltcup in Font Romeu.

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Es hat also noch mal geklappt mit dem Weltcup. Schon mit 17 hat der Allgäuer sein Debüt in der Weltserie gegeben: Im Dezember 2017 war er mit Platz 30 beim Big Air in Mönchengladbach gleich mal in die Punkteränge gesprungen - eine Platzierung, die er erst im März 2019 übertreffen konnte: Platz 23 beim Big-Air-Weltcup in Quebec. In diesem Winter ist der Kemptener einer der wenigen Deutschen in der globalen Big-Air- und Slopestyle-Wettkampfserie. Mit ihm auf Tour: Vincent Veile aus Ulm und Florian Preuß aus Sprockhövel im Ruhrpott sowie bei den Frauen Kea Kühnel aus Bremerhaven - alles nicht gerade Geburtsorte, wo die Berge vor der Tür stehen.

Geßner hat viel Luft unter den Skiern

Anders als bei Jakob Geßner. Der stammt aus dem 9000-Einwohner-Städtchen Waltenhofen, besteht aber darauf, Kemptener zu sein: "Wir wohnen gerade mal 50 Meter hinterm Ortsschild..." Bis zum nächsten Ski-Berg sind es jedenfalls nur ein paar Minuten. Mal fuhr er Snowboard, mal Ski, bevor mit acht die klassische Karriere als Rennzwerg begann, auf Skiern. Sein Trainer beim TV Kempten war Andreas Neuhauser. Der schenkte seinen Eleven eine ganz besondere Ausbildung: vormittags Stangentraining, nachmittags in den Park: Schanzenspringen, Steilkurven fahren. Es gibt wenig Jugendliche, die so was nicht mindestens megacool finden.

So gut es der Trainer mit dieser populären Maßnahme meinte: Für den Rennlauf war Jakob Geßner bald nicht mehr zu haben. Mit zwölf stellte er den Rennbetrieb zwischen den roten und blauen Stangen ein und fuhr erst mal nur zum Spaß Ski - nun ja, schon meistens mit ziemlich viel Luft unter den Skiern. Seine Sprünge und Tricks in den Parks am Fellhorn, in Nesselwang und Grasgehren blieben den Sichtern des Deutschen Skiverbands nicht verborgen, und so wurde er mit 14 in den bayerischen Freestyle-Kader berufen. Nach drei Jahren verdiente er sich in der Saison 2018/2019 das Upgrade ins Nationalteam - und damit die Chance auf die Teilnahme an den ganz großen Events. So wie nun vor Weihnachten in Atlanta.

Genau: Atlanta, Georgia. Eine topfebene Gegend, in der Wintersport in etwa so gebräuchlich ist wie Baumwollpflücken im Allgäu. Aber von solchen Nebensächlichkeiten hat sich der Sport ja längst emanzipiert, und so baut man eben riesige Schanzen samt Kunstschnee ins Irgendwo von Mönchengladbach, Modena oder eben ins 41 000 Zuschauer fassende Baseball-Stadion SunTrust Park der Atlanta Braves. "Ein Mega-Event", schwärmt Geßner, "wir hatten unsere Skier in den Spielerkabinen und sind dann durch den Spielertunnel raus ins Stadion zur Schanze gelaufen." Bei zehn Grad plus war der Schnee sehr weich und schmolz zusehends dahin, aber für eine gute Show sollte es reichen. Aus sportlicher Sicht konnte Jakob Geßner jedoch nicht zufrieden sein. Das erste Training: richtig gut, das zweite Training auch ganz okay, aber in der Qualifikation fürs Finale habe dann die Sicherheit gefehlt, den Trick hinzustellen, wie er sagt: "Aber man hat auf jeden Fall gesehen: Wenn ich weiter daran arbeite, bin ich zumindest im Big Air nicht allzu weit weg von der Spitze."

Den ersten Weltcup in Modena Anfang November hatte er nach einem Sturz im Training noch verpasst, der nächste Wettkampf im Stubaital wurde abgesagt, so dass in Geßners Saisonbilanz bislang nur dieser 41. Platz von Atlanta steht. Dabei war in den vier Wochen zuvor beim Training "ganz gut was vorwärts gegangen", sagt er: "Ich habe das erste Mal gemerkt: Jetzt könnte es von den Tricks her auch mal für ein Weltcup-Finale reichen."

In Font Romeu war es noch nicht so weit: zwei verpatzte Sprünge in der Quali, Platz 44. Allerdings im Slopestyle, im Vergleich zum Big Air seine schwächere Disziplin. Aber um Punkte für die Olympia-Qualifikation für 2022 in Peking zu sammeln, braucht man Ergebnisse in beiden Disziplinen. Die nächste Final-Chance gibt's für Geßner schon in einer Woche beim Weltcup an der Seiseralm, danach noch eine Serie von Europacups, die man auch mitfahren sollte, um Punkte zu haben und den Kaderstatus zu behalten. Und wenn die Ergebnisse stimmen, wartet gegen Saisonende noch ein Big-Air-Weltcup in Destne in Tschechien sowie das Abschluss-Event in Silvaplana.

Und wenn es nichts wird mit der Ski-Karriere? So kompromisslos Jakob Geßner seinen Sport auch angeht - auf WhatsApp lautet sein Status 'Ski fast, die young' -, die Ausbildung lässt er dafür nicht schleifen. Er ist unlängst nach München gezogen und hat sich für ein wie er sagt "eher leichtes Studium" eingeschrieben: TUM-BWL, ein technisch orientiertes BWL-Studium. Der längerfristige Plan: Medizin.

Könnte klappen: Abi mit 1,3, der Mediziner-Test lief auch gut, und der Sturz auf den Kopf blieb wohl ohne Folgen. Den Flatspin 360 hat sich Jakob Geßner allerdings erst kürzlich wieder getraut, im Tiefschnee. "Da war eine extreme Blockade drin", erzählt er, "die komplette Bewegung war aus meinem Kopf gelöscht. Das musste ich mir alles wieder neu erarbeiten. Dabei war das nur eine ganz einfache Rotation. Das war schon sehr wichtig, dass ich den jetzt wieder springen konnte." Wie heißt es so treffend: Sicherheit beginnt im Kopf. Auch und gerade als Freestyler.

© SZ vom 10.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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