Ski alpin:Ein sanfter Blues erfasst Österreichs Skisport

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Sturz mit schicksalhaften Folgen: Für Hannes Reichelt ist zumindest diese Saison schon beendet. (Foto: imago images/ZUMA Press)
  • Das Saisonaus von Hannes Reichelt strahlt massiv auf die Großwetterlage im Österreichischen Skiverband aus
  • Dort wird immer deutlicher, welches Vakuum Marcel Hirscher hinterlassen hat.
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Von Gerald Kleffmann, Bormio/München

Der allererste Moment sah nicht so schlimm aus. Hannes Reichelt hatte die anfänglichen schweren Passagen hinter sich. Den Startschuss mit einer Neigung von 63 Prozent Gefälle, den Roccasprung. Die Pista Stelvio in Bormio in der Lombardei ist auch für die tollkühnen Könner jedes Mal eine Überwindung. Sie gilt nach der Streif von Kitzbühel als zweiter heftiger Durchschüttler. Aber wer sollte Reichelt darüber etwas erzählen?

39 Jahre ist er alt, es gibt keinen zweiten Speedfahrer, der so lange dabei ist im Ski-Weltcup wie der ruhige, nicht auffallend kompakt gebaute Österreicher aus Altenmarkt im Pongau. Muskelprotze sind andere. Wenn Reichelt sich die Pisten hinabstößt, erinnert er an einen Zug auf Schienen, seine Skistellung ist nicht so breit wie bei den Kollegen, eher schmaler, was ihm elegante Leichtigkeit verleiht. Aber an diesem Samstag, der sich noch als besonders schicksalsträchtig erweisen könnte, war das Glück in der Abfahrt nicht mit ihm.

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Zuerst verlor sein linker Fuß die Kontrolle. 46 Sekunden war Reichelt da unterwegs, die Fontana-Kurve in einem fast 90-Grad-Winkel nach links nahm er noch, dann: ein Rüttler, das Bein hebelte aus, bei rund 100 km/h verlor er sofort den Druck auf die Skier und das Gleichgewicht. Während anhand der Fernsehbilder noch die Hoffnung aufflackerte, er werde jetzt eben stürzend ausrutschen, bis er mit all seiner Erfahrung wieder heil aufstehe - rumms, da knallte er schon ins Fangnetz. Und blieb liegen. Und liegen. Als der Hubschrauber Reichelt abtransportierte, war längst klar: Die noch relativ junge Skisaison hat ihr bekanntestes Opfer einkassiert. Reichelt zog sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes und einen knöchernen Ausriss des äußeren Kapselbandkomplexes am rechten Knie zu. Das ergab eine MRT-Untersuchung. Am Sonntag folgte, so der Plan, die Operation in Innsbruck.

"Diese zwei, drei Tage nach der Einvernahme waren die schlimmsten in meinem Leben"

Nun ist dieser Unfall natürlich für Reichelt ein hartes persönliches Los, was auf unerfreuliche Weise zu seinem Jahr passt. Den schönsten Augenblick erlebte er privat. Im April wurde er Vater eines Sohnes. Sportlich? Bei der WM in Are, Schweden, schied er im Super-G aus, seiner zweiten Paradedisziplin im Speedbereich, in der er 2015 in Vail Weltmeister war und 2011 in Garmisch Silber gewonnen hatte. Vor der Abfahrt geriet er in die Kritik - er war nicht zur Startnummernvergabe erschienen und strafversetzt worden. Als 45. fuhr er los, offensichtlich hatte er sich bessere Schneebedingungen erhofft. Er wurde 29., sein taktisches Manöver blieb erfolglos und fragwürdig. Bei der nächsten Weltcup-Station in Bansko, Bulgarien, erlitt er dann bei einem Sturz ein Schleudertrauma. Und im Mai wurde öffentlich, dass Reichelt in einer unappetitlichen Angelegenheit verhört worden war, während der Nachermittlungen der Doping-Operation "Aderlass", die die Branche erschüttert hatte.

Reichelt musste zu seiner Nähe zu einem früheren Langlauftrainer des Österreichischen Ski-Verbandes Auskunft geben, der ins Visier der Fahnder geraten war. Reichelts Handys wurden durchsucht. Er wies jeden Verdacht von sich und beteuerte, nichts von Dopingpraktiken gewusst zu haben, er hätte sich sonst sofort von dem befreundeten Trainer losgesagt. Aber der öffentliche Blick auf ihn setzte ihm zu. "Ich habe mich wieder etwas gefangen. Aber diese zwei, drei Tage nach der Einvernahme waren die schlimmsten in meinem Leben", zitierte ihn die österreichische Zeitung Kurier, als Reichelt sich öffentlich in einer Medienrunde geäußert hatte. Die legitime Frage, ob er mit damals 38 Jahren die Karriere beenden zu gedenke, beantwortete er kämpferisch, fast wütend: "Nein. Weil das irgendwie so ausschauen würde, als wäre das ein Schuldeingeständnis. Außerdem will ich auch noch nicht aufhören. Ich denke mir sogar: Jetzt erst recht, dann fahre ich absichtlich noch zwei Jahre."

Ob er dieses Vorhaben jetzt noch schafft, ist plötzlich aber eine andere Frage. Auch in seinem inneren Zirkel wissen sie noch nichts Konkretes, ob und wie es weitergeht. "Das ist schwierig zu sagen. Der Hannes muss dann im Sommer entscheiden, ob er es noch einmal probiert oder es sein lassen wird", sagte Andreas Puelacher, Rennsportchef der österreichischen Männer, im Fernsehsender ORF. "Wichtig ist, dass er die Therapie sehr professionell angeht." Keinen Hehl machte Puelacher aus der Gemütslage, in der sich nun die Beteiligten befänden. "Es ist durchaus ein Schock für ihn, genauso wie für uns alle." Schließlich strahlt Reichelts Aus massiv auf die Großwetterlage im ÖSV aus.

Der Umschwung begann bereits mit einem Blitzeinschlag im Sommer, in Form des Rücktritts von Marcel Hirscher. Der begnadete Ski-Techniker, spezialisiert auf Slaloms, Riesenslaloms und Machtdemonstrationen, hatte acht Mal hintereinander den Gesamtweltcup gewonnen. Wann auch immer mal die Speedfahrer eine Durststrecke erlebten, dieses ski-narrische Austria hatte stets den bulligen Hirscher in der Hinterhand, wie beim Pokern war er das Ass, das stach. Lange hatte der 30-Jährige mit sich gerungen, ob er noch Ziele sehe - die durch seinen pedantischen Hang zur Bestleistung erzwungenen Siege hatten aber doch Kräfte verzehrt, auch war er Papa geworden, das Leben erhält zwangsläufig neue Perspektiven. In Österreich hatten sie zwar die Flaggen nicht auf Halbmast gehisst, aber es war knapp davor. Und jetzt also spürt der ÖSV auch im Rennalltag, welches Vakuum dieser Ausnahmefahrer hinterlassen hat.

Die technischen Disziplinen bereiten Sorgen

Puelacher ist seit dem vermurksten Auftakt in Sölden im Oktober hörbar im Abwehrmodus und muss erklären, wieso er nicht in Panik verfalle. Es ist, als rechneten die Medien in der Heimat jede Sekunde mit einem SOS-Ruf. Aber noch ähnelt die Stimmung eher einem sanft melancholischen Blues. Dabei sind es diesmal nicht die Speed-Akteure, die Sorgen bereiten, Vincent Kriechmayr oder Matthias Mayer können auf Sieg fahren. In den technischen Disziplinen indes sind die Österreicher vorerst nur Mitfahrer, wie selbst der allmächtige ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel eingestehen musste. Als er sagte, er wisse, "dass wir im Riesenslalom nicht sehr gut sind", muss ihn das viel Überwindung gekostet haben. Doch ein junger Hirscher ist nicht ansatzweise in Sicht.

Das Pech blieb Reichelt überdies selbst nach dem Unfall am Samstagabend treu. Wie die Kronen-Zeitung berichtete, musste erst ein Notfallhubschrauber mit Nachtfluggenehmigung von Wiener Neustadt herbeigeflogen werden. So habe es zehn Stunden gedauert, bis der Patient nach dem Sturz im Sanatorium Kettenbrücke in Innsbruck angekommen war.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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