Skispringer Pius Paschke:Der Sprung des Hasen

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Pius Paschkes große Stärke ist die elegante Haltung in der Luft - in Engelberg trägt sie den 33-Jährigen zu seinem ersten Einzelsieg im Weltcup. (Foto: Philipp Schmidli/dpa)

Älter als Pius Paschke, 33, war noch kein Skispringer bei seinem ersten Einzelerfolg im Weltcup. Über einen, der lange auf den richtigen Moment warten musste - und nun in Engelberg seine Chance nutzte.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Märchen im Sport werden öfter mal geschrieben, so hat es zumindest den Anschein. Meist handelt es sich bei den Hauptdarstellern um sehr junge Athletinnen und Athleten. Hochtalentierte und biegsame Turnerinnen etwa oder Skispringer, die schon mit 16 Jahren ihren ersten Sieg geschafft haben. Von Wunderkindern ist dann die Rede, und die Verbände, Sponsoren und meist auch die Eltern entwerfen eine großartige Karriere.

Seltener macht die andere Gruppe, die der Wunder-Alten des Sports, noch Furore, so wie Pius Paschke.

Der Skispringer aus Kiefersfelden an der Grenze nach Österreich hatte auch schon immer Talent, nur reichte dieses gerade für die Gruppe, die um den letzten Weltcup-Startplatz im Team kämpfen darf. Die meisten haben dann irgendwann diesen Kampf aufgegeben, um, wie die meisten Menschen sagen würden, etwas Vernünftiges aus ihrem Leben zu machen. Paschke aber wurde weiter jedes Jahr von seinem Traum getrieben und blieb dran. Jetzt ist er 33 Jahre alt, hat den ersten von zwei Weltcups in Engelberg gewonnen und auch noch Superlative für die Statistiker geliefert.

Die anderen Deutschen haben Pech oder sind in schlechter Form

Noch am Morgen vor dem Samstagsspringen im Schweizer Klosterdorf hatte er gezweifelt an seinen Künsten. Nicht jedem passt diese Schanze in 1000 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, Paschke selbst hatte hier auch noch keine Großtaten vollbracht. Nun bot er einen Auftritt, nach dem ihm die Besten des Weltcups, die Hochdekorierten, Respekt zollten. Der Österreicher Stefan Kraft, Weltmeister und Vierschanzentourneesieger, formulierte, etwas ins Poetische lappend: "Wilder, alter Hase. Nach einer sehr schwierigen Zeit so einzuschlagen, Respekt!" Und Andreas Wellinger, der Olympiasieger aus Ruhpolding, packte seine Art Poesie aus: "Der Pius ist einfach ein geiler Typ. Er ist nicht nur ein hochtalentierter Sportler, sondern auch ein angenehmer Mensch. Es taugt mir richtig, dass er das erste Mal ganz oben steht. Das hat er sich verdient, darauf werden wir anstoßen."

Nun ist Paschke der beim ersten Weltcupsieg älteste Skispringer der Geschichte, im Alter von 33 Jahren und knapp sieben Monaten; doch das ist eine Liste für Fans von Statistiken. Publikum und Akteure interessierten sich eher für den zweiten Engelberger Weltcup am Sonntagabend, an dem drei Springer des Deutschen Skiverbandes abermals in die Top Ten kamen. Wieder war Paschke als Dritter DSV-Bester, hinter ihm platzierten sich Karl Geiger und Andreas Wellinger.

So sieht es aus, wenn ein sonst ruhiger Mensch wie Pius Paschke den bislang größten Erfolg seiner Karriere geschafft hat. (Foto: Gabriel Monnet/AFP)

Auch Stefan Kraft, der den Skisprung-Winterauftakt mit vier Siegen nacheinander beherrscht hatte, erholte sich in Engelberg und fand zurück in die Form, in der er bei der Vierschanzentournee kaum zu schlagen sein wird. Am Samstag noch Dritter, gelang ihm am Sonntagabend ein langer Flug weit hinunter in die Ebene bis zur 142-Meter-Marke - eine Luftreise auf Skiern, die keiner der übrigen mehr überbieten konnte. Die Deutschen behielten trotz dieser Vorführung ihre gute Laune, auch wenn Andreas Wellinger und Karl Geiger etwas zu früh zur Landung kamen. Es geht in diesem Sport immer um Perfektion, und da hatte sich speziell Geiger nach seinem enttäuschenden 20. Platz vom Vortag wieder bewiesen: Dieses war nur ein Ausreißer, die Tendenz aber deutet auf eine stabile Tournee-Form.

Lange hatte sich Paschke zurückgehalten. Nun attackierte er und wurde belohnt

Bester im Team von Bundestrainer Stefan Horngacher bleibt jedoch gerade Paschke. Der ewige Schüler hat scheinbar nun den praktischen Teil seiner Karriereprüfung bestanden - zwar nach mehreren Anläufen, aber was soll's. Dieser Erfolg am Samstag war nicht nur ein irgendwie geglückter Sieg, sondern ein logischer und verdienter persönlicher Triumph. Nach dem ersten Durchgang musste er noch einmal zweifeln, wie immer eben: "Dass es hier noch für den Sieg reicht, hätte ich nicht gedacht", gestand er später. Allerdings hatten die Konkurrenten mit den großen Namen auch so ihre Probleme, weshalb sich Paschke für etwas entschied, was bislang bei ihm selten vorkam: eine mutige Attacke, genau in jenem Moment, der zählt.

Fünf Springer, alles Topleute, warteten hinter ihm, als er als Sechstletzter dran war. Paschke stürzte sich in die Spur - und obwohl er in diese Dimensionen noch nie gestoßen war, obwohl er zuvor noch zugegeben hatte, dass so vieles in seinem Sprung nicht perfekt sei, musste es nun klappen, denn eine derartige Chance hatte er noch nie. Paschke hat seine Stärke vielleicht bei der eleganten Landung und bei seiner perfekten Haltung in der Luft, aber das Entscheidende, was davor kommt, macht ihm Schwierigkeiten: die effektive Haltung bei der Hocke, mit der man möglichst viel Tempo aufnimmt - und ein Absprung, der den Skispringer schnell in die windschnittige Fluglage katapultiert. Schon oft hatte ihn dieser Übergang einen besseren Platz gekostet.

Diesmal aber zeigte er einen fast perfekten Flug. Er hatte zwar starken Rückenwind, aber er schlich mit einem tadellosen Flugsystem auf der Luft herunter, als würde er von einem dieser Gleitschirme getragen, die von den Gipfeln über Engelberg ihre Flieger sachte und sicher heruntertragen. Am Ende landete er mit einem eleganten Telemark, und zehn Minuten später hatte er seinen ersten Sieg geschafft.

Paschke ist keiner, der mit großen Sprüchen daherkommt, er ist ein vorsichtig formulierender Redner, der sich schon mal über sich selber lustig macht. Als Bundeswehrsoldat wurde er mal befragt, ob er sich als berühmter Wintersportler fühle. Die Antwort: "In Uniform werde ich nicht erkannt. Ohne Uniform aber auch nicht."

Das könnte sich nun ändern.

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