Mixed-Gold im Skispringen:Verschmolzen zu etwas Größerem

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Über den Berg: Anna Rupprecht musste in ihrer Karriere schon einige Verletzungssorgen wegstecken - nun ist sie Weltmeisterin mit dem Mixed-Team. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Der Mixed-Wettkampf im Skispringen zählte bisher eher zum WM-Zwischenprogramm. Mit dem überraschenden Oberstdorfer Sieg des deutschen Teams könnte sich das ändern.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Traumnoten für eine Landung sind selten. Eine 19, eine 19,5 oder, nahezu illusorisch, gar eine 20 wird im Frauen-Skispringen kaum vergeben. Dieses ist auch nach gut zehn Jahren immer noch eine junge Disziplin, und die meisten Landungen sind eben noch leicht wackelig, mit zu hoch vorgeführtem Telemark oder wegdriftendem hinteren Ski. "Mehr als eine 18 bekommen die Frauen fast nie", sagt der Bundestrainer Andreas Bauer.

Deswegen war das schon ein wichtiger Beitrag, den Anna Rupprecht an diesem denkwürdigen WM-Abend auf der kleineren Schattenbergschanze im Mixed-Springen beigesteuert hatte. Wieder kam der Moment, in dem das deutsche Mixed-Trainer-Team darauf gefasst war, keine Rolle mehr zu spielen im Kampf ums Podium. Aber dann, die Sonne war gerade untergegangen, gelang Rupprecht dieser Sprung, wohl der beste ihrer bisherigen Laufbahn: 98,5 Meter erreichte sie, und, was bei ihr nicht selbstverständlich ist, sauber und tief im Ausfallschritt, Haltungsnote 54, sprich: dreimal die 18.

Statt des befürchteten Rückschlages öffnete Rupprechts Sprung das Tor zu einer Medaille, wie man zunächst dankbar glaubte. Dass es später sogar der WM-Titel werden sollte, erschien da noch unvorstellbar. Aber man spürte, dass sich mit dieser übersprungenen Hürde eine Hoffnung aufbaute. Das Abklatschen der Trainer Bauer und Stefan Horngacher wurde emotionaler, die Gesten der Springer im Auslauf aufgeregter. Mixed-Gold, das wirkte bislang wie ein Zuckerl oben drauf, das die Deutschen bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften lässig mitgenommen hatten. Der vierte Erfolg in Serie war indes alles andere als lässig, er wird noch lange in Erinnerung bleiben. Es war ein Zittern bis zum Ende und ein Sieg, bei dem Karl Geiger und Markus Eisenbichler ihren Job zuverlässig erledigten, der aber in den entscheidenden Momenten den Frauen zu verdanken war, Katharina Althaus und Anna Rupprecht.

Mehr als ein Zuckerl: Karl Geiger, Anna Rupprecht, Markus Eisenbichler und Katharina Althaus (von links nach rechts) bejubeln ihre WM-Triumph. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Ein Zeichen aus der Frauen-Abteilung hatte es gebraucht, und zwar gleich zu Beginn. Das Team von Bauer hatte an den beiden Tagen zuvor bereits zwei WM-Springen hinter sich gebracht, und das mit enttäuschenden Erträgen. Platz fünf im Teamspringen, Platz zehn für Althaus als Beste im ersten Einzelbewerb, das war derart ungewohnt, dass Bauer irgendwann erklärte, es gebe auch einen strukturellen Grund für die Misere. Zu wenig "Dampf" sei derzeit im Kessel, "weil von unten wenig nachdrückt". Und die Arrivierten würden ja auch nicht jünger. Dann erlebte auch noch Carina Vogt, 2014 die erste Olympiasiegerin im Frauenspringen, eine schwere Niederlage, aus alldem erwuchs große Skepsis fürs gemischte Springen.

Doch dann erreichte Katharina Althaus zum Auftakt gleich mal 104 Meter, die zweitbeste Weite bei den Frauen. Ein Glückssprung vielleicht, konnte man zunächst denken, aber Althaus war noch im Probedurchgang bei knapp 80 Metern auf den Hügel geweht worden, und nun dieser riesige Satz. Da, das deutete sich an, geht vielleicht doch was.

Die Favoriten zeigen erneut Schwächen - auch der Norweger Halvor Egner Granerud

Statt sich von hinten verzweifelt nach vorne kämpfen zu müssen, durften die Deutschen gleich mal mit Selbstbewusstsein weiterspringen. Markus Eisenbichler nahm Althaus' Vorlage auf und setzte mit Bestweite in seiner Gruppe noch einen drauf. Als Dritte war dann Rupprecht dran, das vermeintlich schwächste Glied im Team, aber sie beendete die Hoffnungen keineswegs, sondern hielt ihre Mannschaft im Rennen. Dabei hatte sich die Springerin aus Degenfeld erst zuletzt richtig gesteigert. Eine Seltenheit war ihr gelungen, denn die 24-Jährige hatte vor fünf Jahren einen Kreuzbandriss erlitten; 2019, als sie eine Top-Ten-Springerin war, musste sie sich nach einer Knorpelverletzung im Knie lange erholen. Jetzt stand sie als Zweitbeste in Bauers Team da. "Sie ist extrem ehrgeizig", sagt der, "sie hat sich durchgebissen."

Bald nach ihrem Sprung übernahm das DSV-Mixed die Führung, dass es die Position plötzlich hartnäckig verteidigen würde, war nicht vorstellbar, doch das im Skispringen ja keine Seltenheit. Wer hatte schon gedacht, dass der Norweger Halvor Egner Granerud, der souveräne Weltcupführende, bei einem Großereignis nun schon wieder Nerven zeigen würde? Karl Geiger, der am Samstag Normalschanzen-Silber gewonnen hatte, legte als letzter Springer des ersten Durchgangs eine Weite vor, an der Granerud scheiterte. Er wackelte in der Luft und schüttelte unten den Kopf.

Es ging dann knapp, aber problemlos weiter für die Deutschen, richtig ernst wurde es dann erneut für Rupprecht. Die saß nun für ihren zweiten Sprung oben, wieder konnte sie alles vermasseln: Denn nach ihr waren nur noch zwei Springer-Gruppen offen, und die Erwartungen hatten längst gewechselt. Da kann es einen schon mal früh auf den Hügel wehen, aber Rupprecht hatte die Vorgaben der Trainer voll übernommen und führte den Sprung ihres Lebens vor, wie Bauer später schwärmte. Der Vorsprung auf die Norweger und Österreicher, die späteren Silber- und Bronzegewinner, schmolz zwar, aber nicht entscheidend, und Geiger verteidigte ihn dann mit dem letzten Sprung des Abends.

Das Mixed-Springen war bei den Großereignissen zuvor meist ein gehobenes Zwischenprogramm gewesen. Nun brachte dieser Sieg den Deutschen nicht nur die erste ersehnte Goldmedaille dieser Heim-WM, sondern wohl auch satt Werbung für ein Format, in dem sich Bessere und weniger Gute zusammentun und für einen Abend zu etwas Größerem verschmelzen. "Für den Job, den die Mädels da gemacht haben, bin ich echt dankbar", sagte Eisenbichler. Vielleicht melden sich bei der Abteilung des Skisprungtrainers Bauer ja sogar bald ein paar neue Springerinnen.

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