Skispringen:Die Reife des Jähzornigen

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Markus Eisenbichler freut sich über seinen Weltcup-Sieg. (Foto: AFP)

Erstmals trägt Markus Eisenbichler nach seinem Sieg in Wisla das Gelbe Trikot. Vieles deutet darauf hin, dass er nun Ausrutscher, Zweifel und gelegentliche Wutausbrüche hinter sich lässt.

Von Volker Kreisl, München

Die Skisprungschanze von Wisla, gelegen am Fuße des Berges Baranja Gora, gebettet in den lieblichen Hügeln im Südwesten Polens, schenkt dem Skispringer manche Erlebnisse. Wegen ihrer Weite und des Windes bringt er es dort zu Flügen voller Euphorie. Andererseits wird es, wenn der Wind mal Luft holt, ein kurzes Herabtrudeln, gefolgt von Enttäuschung und auch Wut. Auf die Elemente, die Ungerechtigkeit, auf das eigene Versagen.

Für impulsive Springer sind solche Orte nichts; für jene, die zu viel Respekt vor den Launen der Schanze haben, die zu Selbstzweifeln neigen, ihr Fluggefühl verlieren, gar die Form neu aufbauen müssen. Also Springer wie einst Markus Eisenbichler.

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Auch diesmal warf die Schanze einige Hochkaräter ab. Zum Auftakt der Skisprungsaison verzweifelten sogar drei Vierschanzentournee-Sieger. Der Pole Kamil Stoch wurde wegen zu schlappen Aufwindes nur 27. Er teilte sich den Platz mit Ryoyu Kobayashi (Japan). Stefan Kraft (Österreich), schaffte es sogar nicht mal in den zweiten Durchgang. Und Eisenbichler? Der gewann dieses erste Weltcupspringen. Und weil Teamkollege Karl Geiger Platz zwei eroberte, somit das Sieger-Duo aus der erfolgreichen Ski-WM 2019 wieder ganz oben stand, weil somit die Vorbereitung offenbar richtig abgestimmt war, befindet sich nun also die ganze deutsche Skisprungmannschaft im Gleichgewicht. Die einen fliegen voraus, der Mittelteil - Pius Paschke (12.), Martin Hamann (18.), Severin Freund (25.) - könnte sich nach vorne ziehen lassen, und das Mannschaftsende, zurzeit Andreas Wellinger und Constantin Schmid, darf in Ruhe arbeiten.

Eisenbichler hatte einerseits auch prächtigen Aufwind, was ihm natürlich zugutekam. Andererseits muss das nichts heißen, denn Gegner wie der Führende nach dem ersten Durchgang, der Slowene Anze Lanisek, hatten den gleichen Wind und vergaben ihre Chance - so wie der Mann aus Siegsdorf einst in seinen Lehr- und Wanderjahren zwischen Weltspitze und zweiter Klasse. Der Auftakt von Wisla bestätigt nun nicht nur die Arbeit von Bundestrainer Stefan Horngacher, sondern wohl auch die endgültige Reife des einst jähzornigen und etwas sprunghaften Eisenbichlers.

Der stapfte nach verkorksten Sprüngen auch mal in sich versunken mit den Sprunglatten auf den Schultern an den Journalisten vorbei. Oder er ließ der Wut über sein Pech oder seine Fehler freie Bahn - gleich nach der Landung. Andere Springer tragen ein Pokerface in ihren Krisen herum, Eisenbichler ist ein emotionaler Mensch, man sah es ihm an, wenn es in ihm kochte. "Tiefschläge waren bitter für mich", bekannte er kürzlich, "ich habe mich früher extrem aufgeregt."

Doch dann verstrichen die Jahre, und Eisenbichler ging wie jeder, der im Unberechenbaren sportelt, durch Höhen und Tiefen, wurde aber auch älter. Er musste um die Qualifikation kämpfen, sprang wieder im Weltcup, wurde 2019 Weltmeister, verpasste in der Saison drauf zunächst auch mal den zweiten Durchgang, steigerte sich wieder, rutschte dann auf einem Parkplatz aus, verletzte sich die Hand, kämpfte sich zurück, und flog schließlich wie alle plötzlich nach Hause: Corona.

Das deutsche Team hat ab April fast nahtlos weitertrainiert, aber irgendwann waren die Trainingsorte geschlossen, und Eisenbichler fand dies gar nicht schlecht. So hielt er sich halt auf seinem selbst umgebauten Hof fit, war mit seinem Bruder zusammen, genoss die Ruhe und schweifte ein wenig ins Philosophische, denn: "Ich konnte a bissl drüber nachdenken, was so war, und wie's wohl weitergeht."

Skispringer trainierten in ihrer eigenen, kleinen Blase

Die Zukunft ist ein weites Feld, vor allem die eines 29-Jährigen, der in ein paar Jahren die eine Karriere beenden und womöglich eine vollkommen andere beginnen wird. Eines jedenfalls ist für den Skispringer aber gewiss: Sein Temperament will und kann er nun besser in Zaum halten. Warum er sich über Rückschläge nicht mehr so sehr aufregt? Die Antwort klingt so einfach, aber wirklich kapieren tut es auch nicht jeder. Eisenbichler weiß jedenfalls, warum: "Weil ich's eh nicht mehr ändern kann."

Und so wurde die Pandemie für den Springer trotz aller Sorgen auch zu einer Chance - zu einem Sommertraining, das sich ein Springer wohl nie hätte vorstellen können, das er aber eh nicht ändern konnte. Die Mannschaft des Deutschen Skiverbands verzog sich in ihre einzelnen Kleinblasen und hatte bis zum Saisonstart keine Ahnung, wie die Konkurrenz anfährt, abspringt, segelt und landet. Auch Eisenbichler konzentrierte sich nur auf seine Sprünge und die Ratschläge Horngachers, und es hat ihm gutgetan. "Mal ohne Wettkampf etwas in Ruhe aufzubauen", sagte er, das habe seinen Auftritten Stabilität gebracht.

Die Konkurrenz wird sehr wahrscheinlich aufholen

Wisla war aber erst einer von 28 Weltcups in einer an Höhepunkten reichen Saison. Die Konkurrenz, insbesondere Kraft, Kobayashi und Stoch wird bald wohl wieder auf altes Niveau kommen, und doch trägt Eisenbichler nun etwas, wovon er immer geträumt hatte, schon als kleiner Junge: Das Gelbe Trikot des Weltcupführenden. Dessen der als Letzter oben sitzen wird im nächsten Springen.

Gelb, das ist die beruhigende Farbe der guten Form, und darauf kommt es an. Insofern erübrigen sich alle philosophischen Gedanken an die Zukunft, weil ein Skispringer nur an jetzt, an den nächsten Anlauf, Absprung, Flug und die Landung denken darf. Und "wie's dann wohl weitergeht?" Kann eh keiner wissen.

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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