Ski-WM:Wie in Anfield

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Der Sieger, Kjetil Jansrud aus Norwegen, bei der Abfahrt in Are. (Foto: Daniel Stiller/dpa)

Aksel Lund Svindal wird bei seinem letzten Karriere-Rennen Zweiter bei der WM-Abfahrt, die "Kronprinz" Kjetil Jansrud gewinnt. Die Deutschen schneiden schwach ab - und kritisieren die Umstände in Are.

Von Johannes Knuth, Are

Und plötzlich war mit einem Mal alles egal: der Schnee, der Wind, all die Fragen, die diesen Tag bei der WM in Are bis dahin begleitet hatten. Denn kurz vor 14 Uhr schob sich Aksel Lund Svindal an den Start der alpinen Abfahrt der Männer, und unten im Ziel, da schwoll der Jubel an wie in einem Fußballstadion. Viele von Svindals Landsleuten waren am Morgen über die eine Autostunde entfernte Grenze aus Norwegen in den schwedischen WM-Ort gekommen; sie trugen norwegische Flaggen, Plakate, übergroße Svindal-Köpfe aus Pappe, an den Kinderwägen hingen kleine norwegische und schwedische Flaggen. Es war zum ersten Mal so richtig festlich bei dieser alpinen WM in Are, obwohl es immer mächtiger schneite. Oder gerade deshalb. Und jetzt war da dieses Getöse, als hätte Svindal das letzte Rennen seiner Karriere schon gewonnen.

Viel hätte nicht gefehlt, und die WM-Abfahrt der Männer in Are hätte ein wahrhaftig kitschiges Ende genommen. Svindals Ski liefen fantastisch, er fuhr dynamisch, dazu getragen von dem Gedanken, ein letztes Ausrufezeichen hinter seine bemerkenswerte Karriere zu setzen. Am Ende fehlten ihm zwei mickrige Hundertstelsekunden auf Kjetil Jansrud, seinen Teamkollegen, aber Svindal ertrug den winzigen Makel mit der ihm eigenen Würde. Es gleicht sich alles aus in diesem Hochgeschwindigkeitskampf in den Bergen, so hatte er das immer gesehen; erst vor einem Jahr war es Svindal gewesen, der die Olympia-Abfahrt knapp vor Jansrud gewonnen hatte. "Es war eine lange, großartige Reise", sagte er später, er sei sehr dankbar für seine Zeit in der Skifamilie, "wir haben heute eine große Show geboten, vor allem für die Norweger." Das alles werde ihm sehr helfen, befand Svindal, am Sonntagmorgen aufzuwachen und den ersten Tag in seinem zweiten Leben zu genießen.

Die Goldmedaille holt sich Kjetil Jansrud, der Kronprinz im norwegischen Team

Die Arrivierten hatten am Samstag also noch mal von ihrer ganzen Erfahrung gezehrt. Zum einen Jansrud, 33, der lange der Kronprinz im norwegischen Team war, der in diesem Winter in der Abfahrt nie über Platz 13 hinauskam, in Kitzbühel auch noch einen Daumenbruch erlitt. Aber in Are nutzte er die kleine Chance, die sich ihm bot. Svindal wiederum war mit schwer lädierten Knien zu seinen letzten Rennen nach Are gereist, im Super-G war er zunächst 15. geworden, dafür versilberte er sich nun seinen letzten Auftritt. Vincent Kriechmayr, der Dritte aus Österreich, war mit seinen 27 Jahren da gewissermaßen der Beste der noch weitgehend unversehrten Generation - und erlebte den Podiumsbesuch neben dem künftigen Ruheständler mit großem Stolz, wie er später berichtete. Svindal sei nicht nur "einer der erfolgreichsten Fahrer", sagte Kriechmayr, "er ist auch einer der sympathischsten, er ist ein großes Vorbild".

Das Podium war also würdig besetzt, da waren sich am Samstag alle rasch einig. Aber war diese Abfahrt auch der würdige Rahmen gewesen für die Königsdisziplin?

Die Jury hatte den Start der Abfahrt am Samstagmorgen zunächst um einen Kilometer nach unten verlegt, weil es oben am Berg zu sehr windete. Der Wind ließ zum geplanten Start am Mittag dann auch ein wenig nach, wie erwartet. Dafür kam nun der Nebel. Und dann, als der Nebel nachließ, der Schnee, der vom jetzt wieder auffrischenden Wind durch die Luft gepustet wurde. "Eigentlich", sagte ein gewisser Kjetil Jansrud am Mittag am Start, "hat es kein Sinn mehr, das Rennen jetzt noch zu starten." Kein Sinn?

Um halbzwei ging es dann doch los, was zunächst viel Kopfschütteln bei den Fahrern verursachte. Manch einer hatte auf das Wetterchaos schon spekuliert, der Österreicher Hannes Reichelt verzichtete am Vorabend auf die Teilnahme an der Auslosung und nahm eine Strafversetzung um 45 Plätze nach hinten in Kauf, um nicht mit Startnummer Eins antreten zu müssen, mit der man, so Reichelt, "nur der Schneepflug" für die anderen sei. Somit übernahm der Franzose Adrien Theaux diese undankbare Rolle, schüttelte den Kopf im Ziel, wie später noch so einige. Und dann: Führte Jansrud eine Zauberfahrt auf, mehr als eine halbe Sekunde schneller vor dem bis dahin führenden Österreicher Mathias Mayer. "Die Norweger haben für den Tiefschnee ein gewaltiges Waxl gehabt", sagte Mayer, da konnte niemand mithalten -auch die Deutschen waren am Ende schwer geschlagen: Dominik Schwaiger war bei seinem WM-Debüt als 25. bester DSV-Fahrer, Manuel Schmid wurde 32., Josef Ferstl, der im Super-G noch Sechster geworden war, traf nur als 28 ein.

"Wie es uns geht interessiert halt manchmal gar keinen"

Ferstl tadelte sich im Ziel zunächst selbst für seine suboptimale Fahrt, setzte dann aber zu einer durchaus vitalen Kritik an: Die Piste habe aufgrund des Schneefalls nur eine sehr dünne Fahrrinne geboten - wenn man sich nur leicht verfahre und in den langsameren Schnee steuere, dann könne das "gefährlich" werden, sage er. "Dann kann da mehr kaputtgehen als ein Kreuzband." Aber, beschloss Ferstl, "was soll man machen?" Die Jury habe beschlossen, das Rennen durchzudrücken, es gebe nun mal TV-Verträge, Abmachungen mit Sponsoren, viele Interessen. "Es ist halt leider so, dass oft über den Athleten entschieden wird", sagte Ferstl, "wie es uns geht interessiert halt manchmal gar keinen." Von den Kollegen gab es durchaus Zuspruch, Beat Feuz, der Abfahrts-Weltmeister von 2017 und am Samstag Vierter, klassifizierte die Veranstaltung als "unwürdig für eine WM", Wolfgang Maier, der deutsche Alpindirektor, hatte es als "grenzwertig" empfunden.

Die Sieger sahen das nach dem Rennen, wenig überraschend, ein wenig anders. Svindal meinte, "halbwegs faire Bedingungen" vorgefunden zu haben, und Jansrud, der ein Rennen zuvor noch für wenig sinnvoll erachtet hatte, sagte nun: "Es hilft alt zu sein. Man hat ähnliche Situation dann schon ein paar Mal erlebt." Er hatte bessere Gelegenheiten bei Großereignissen zuvor oft verhauen, am Samstag nutzte er seine Chance mit allem, "was in meinem Kopf und in meinem Herzen war", wie er sagte. Als er als Erster im Ziel eintraf, da habe ihn der Jubel "fast umgeblasen"; ihn erinnerte das ein wenig an die Anfield Road in Liverpool, wo sein liebster Fußballverein residiert.

Und auch Svindal beschloss am Samstag: "Ich muss mich nicht schlecht fühlen, dass ich jetzt aufhöre." Jansrud habe ja gewonnen, für das ganze Team.

© SZ vom 10.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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