Ski-WM:Liebesgrüße aus Hollywood

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Beim Doppelerfolg in der Abfahrt feiert Norwegen auch den Generationswechsel. Der scheidende Aksel Lund Svindal war nicht nur ein Vorbild für Siege, sondern auch für Manieren und Teamgeist.

Von Johannes Knuth, Are

Als der Zeitpunkt für eine kleine Festrede gekommen war, als alle auf ihn schauten, machte Aksel Lund Svindal noch einmal das, was er immer am liebsten hatte: Er rückte sich aus dem Mittelpunkt.

Das Hotel der norwegischen Skirennfahrer am Samstagabend in Are, rund 100 Gäste, auf den Tischen Champagner und Kuchen, der mit norwegischen Flaggen glasiert war. Irgendwann standen auch die beiden Mitarbeiter des Tages auf dem Tisch, Kjetil Jansrud, der neue Abfahrtschampion, und Svindal, der im letzten Rennen seiner Karriere noch mal die Silbermedaille erstanden hatte. Und Svindal eröffnete die Ansprache, doch er tat das bloß, um "dem Weltmeister das Wort zu geben". So lag es an Jansrud, den Ruheständler angemessen zu würdigen. Er erinnerte an die gemeinsamen Anfänge im Sportinternat, wie nur Svindal dem damals 14-jährigen Neuankömmling ein vakantes Bett in seinem Zimmer offeriert habe. "Wenn etwas unseren Mannschaftsgeist definiert", sagte Jansrud nun, "wenn irgendwas beweist, welcher Mensch Aksel ist, muss man sich nur an diese Geschichte erinnern." Es war fast ein bisschen zu kitschig, aber es stimmte ja, beide waren damals zu einer Reise aufgebrochen, die sie zu großen Erfolgen führen sollte, bis zu diesem Wochenende in Are. Als Jansrud seine Ansprache beendete (und Svindal nicht zum letzten Mal zuprostete), ergänzte der Belobigte: "Es ist schon ein bisschen schwierig, jetzt aufzuhören, da es so gut läuft".

Auch Jansrud geht lieber zur Siegerehrung der Kollegen, als sich um den Schlaf zu kümmern

Was für ein Schlussakkord das wahrhaftig gewesen war: Viele Norweger waren am Morgen über die rund eine Autostunde entfernte Grenze in den schwedischen WM-Ort gekommen, mit Plakaten und übergroßen Svindal-Köpfen aus Pappe, an den Kinderwagen hingen norwegische Flaggen. Der Zielraum bei dieser WM war zum ersten Mal prall besucht und von festlicher Vorfreude gefüllt, und als Svindal sich an den Start schob, schwoll der Lärm im Tal an, als habe der 36-Jährige das Rennen schon gewonnen. Am Ende fehlten ihm zwei mickrige Hundertstelsekunden auf Jansrud, der Österreicher Vincent Kriechmayr gewann Bronze - doch die branchenübliche Regel, dass man sich über maximal knappes Scheitern maximal ärgert, fand diesmal keine Anwendung. Svindal hatte in seiner Karriere stets genauso viel Respekt für seine Konkurrenten übrig gehabt wie für sein eigenes Wirken, sein letzter Auftritt war da keine Ausnahme.

"Hollywood muss diesen Mann lieben", jubelte das Dagbladet umgehend, eine der bunteren Zeitungen Norwegens. Zur Beweisführung entwarfen sie gleich das Drehbuch: die Mutter bei der Geburt von Svindals Bruder verstorben, der Bruder kurz darauf. Erziehung durch den Vater und die Großeltern, mit viel Liebe und Respekt. Ausbildung am Skigymnasium, aber nicht an dem, das damals die besten Talente besuchten, sondern wo es die beste Ausbildung gab - mit dem Rennfahren würde es ja eher nichts werden, dachten die Svindals. Aufstieg in die Weltspitze, spontaner Rücktritt des damaligen Vorfahrers Kjetil André Aamodt. Ein paar Monate später die ersten beiden WM-Titel, 2007 in Are. Und schließlich: der schwere Sturz in Beaver Creek, bei dem Svindal fast verblutet wäre, dann all die mächtigen Erfolge, zwei Olympiasiege, fünf WM-Titel, zwei Siege im Gesamtweltcup. "Wir haben Northug, Dählie, Johaug, Björgen, aber das ist Langlauf, Freunde!", beschloss das Dagbladet seine Eloge: "Aksel war der beste Formel-1-Läufer auf Ski, das ist doch was ganz anderes!"

Dichter Schneefall, schlechte Sicht: Die schweren Bedingungen kamen dem späteren Sieger Kjetil Jansrud entgegen. (Foto: Gabriele Facciotti/dpa)

Es war zunächst nicht absehbar, ob derartiger Ungehorsam in der Langlaufnation Norwegen zu innenpolitischen Spannungen führen würde. Svindal moderierte die Überhöhungen jedenfalls wie immer: Er nahm ihnen die Kraft. "Wenn jemand aufhört", scherzte er am Samstag, "wer sagt dann schon was Schlechtes über dich? Auf die nicht ganz ernst gemeinte Anschlussfrage, ob er eigentlich wirklich so unverschämt nett sei oder sich bloß als zuvorkommender Mensch ausgebe, sagte Svindal: "Wenn du versuchst, eine gute Person zu sein, bist du doch schon eine gute Person, oder?" Dann hielt er noch ein kleines Impulsreferat über die Werte des Skirennsports. Man verbringe viel Zeit mit den Kollegen, mit denen man gemeinsam durch den Weltcup tourt, nicht nur mit dem eigenen Team - das lehre einen, respektvoll mit den anderen umzugehen. "Wenn man das Gute haben will", sagte Svindal, "dann musst du auch an schlechten Tagen deinen Mann stehen."

Das war wahrhaftig das Gefühl, das man in all den Jahren bei Svindal hatte: dass da ein Mensch auftrat, der auch ein Athlet war, nicht umgekehrt.

Svindal hatte diese Manieren und den Teamgeist, den er von Aamodt und Lasse Kjus lernte, stets am Leben gehalten, auch deshalb steht bei den Norwegern weiterhin ein schlagkräftiges Team bereit: Aleksander Kilde, viele Nachwuchsfahrer, die von den staatlich geförderten Sportschulen zuverlässig nachgeschoben werden, und natürlich Jansrud, der neue Kapitän, der Svindal gar nicht so unähnlich ist. Er ist einer, der sich auch im Erfolg kaum verändert hat und in sich ruht, egal was kommt; er geht, wie bei der WM 2009, lieber zur Siegerehrung eines Kameraden, als sich um den Schlaf zu kümmern; er zog die Jüngeren schon mit, als Svindal immer wieder verletzungsbedingt fehlte; Großanlässe sieht er als Chance, nicht als Bedrohung. Und auch Jansrud hat ein außergewöhnliches Gespür für jede Art von Schnee, Hang und Rennsituation, er wurde 2014 Olympiasieger im Super-G, gewann 22 Weltcups, vor einem Jahr Olympia-Silber in der Abfahrt - hinter Svindal, wem sonst. Nur die höchste Weihe bei einer WM war ihm verwehrt geblieben, bis zuletzt.

"Wenn du auf Glück vertraust, musst du auch mit Pech rechnen. Das halte ich für sinnlos." - Der Norweger Aksel Lund Svindal (li.), 38, war fast zwei Jahrzehnte lang einer der erfolgreichsten Skirennfahrer der Welt. (Foto: TT NEWS AGENCY/REUTERS)

Seine Chance am Samstag war eher gering gewesen, in Kitzbühel hatte er sich den Daumen gebrochen, aber der Schneefall und die schweren Bedingungen in Are lagen ihm. Irgendwann müsse es ja auch helfen, sagte Jansrud, "dass man alt ist und so was schon mal mitgemacht hat". So konnte Svindal am Ende doch beschließen, dass er sich jetzt ruhigen Gewissens ins echte Leben verabschieden würde: Jansrud habe ja gewonnen, fürs ganze Team.

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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