Ski-Freeride:Spektakulär durchs freie Gelände

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Möglichst trickreich und flüssig den Berg bezwingen: Darum geht es den Freeridern wie der Wartenbergerin Jil Lehnert. (Foto: MC Rist/OH)

Die Freeriderin Jil Lehnert aus Wartenberg bei Erding startet ab diesem Dienstag bei der Junioren-Weltmeisterschaft in Verbier. Im kommenden Winter will sie zu den Profis aufsteigen, schwer genug nach einer eher ausgefallenen Saison.

Von Thomas Becker

Dass es ausgerechnet in Verbier, dem Sehnsuchtsort der Freerider in der Schweiz, nichts mit einer Top-Platzierung werden würde, das war Jil Lehnert schnell klar: "Nach drei Schwüngen bin ich gleich mal gestürzt", erzählt die 18-Jährige aus Wartenberg bei Erding. Ein schnöder Fahrfehler, ärgerlich. Wenn man nach monatelangem Warten auf den ersten Wettkampf der Saison, nach Absagen und geplatzten Hoffnungen doch noch am Start steht, dann nach ein paar Sekunden fällt, den viel schwierigeren Teil aber sehr ordentlich bestreitet, wäre das durchaus ein Grund zum Ärgern. Doch soweit das über das Telefon zu beurteilen ist, lässt sich Jil Lehnert von ihrem Missgeschick die gute Laune nicht vermiesen: "Das passiert halt mal. Kann man nicht ändern." Sie sieht lieber das Positive: "Eine Woche Verbier: Es gibt Schlimmeres!"

Das Schweizer Skigebiet, bekannt für seine exquisite Kundschaft (die Musiker James Blunt, Bono sowie diverse Königsfamilien) und gehobenen Preise (neun Schweizer Franken für ein stilles Wasser), war 1996 Geburtsort des Wettbewerbs "Xtreme Verbier". Und der ging so: Mit Ski oder Snowboard kraxeln die Athleten auf den 3223 Meter hohen Bec des Rosses, um sich dann über Felsen und Klippen in den bis zu 60 Grad steilen und 800 Meter langen Hang zu werfen, Rückwärtssalto und ähnlich Hanebüchenes inklusive. Aus diesem Spektakel entstand die Freeride World Tour (FWT), mit Stopps in Europa, USA, Japan und dem Finale in Verbier. Das Prinzip: den Berg bei freier Spurwahl möglichst spektakulär und flüssig zu bezwingen. Punktrichter übernehmen die Wertung. Und wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, verfolgen Tausende Fans das Steilwandspektakel von der gegenüberliegenden Bergstation aus, auf Großleinwand, bei Musik, vin blanc und Raclette auf Plastiktellern.

Bei der WM vor zwei Jahren hatte Lehnert schon Bronze gewonnen

In diesem Kosmos bewegt sich Jil Lehnert seit vier Jahren, wobei ihr der Bec des Rosses noch erspart geblieben ist: Beim jüngsten Wettbewerb der Freeride Junior Tour ging es am Nachbarberg Mont Gelé nicht ganz so brutal talwärts, atemberaubend anzusehen ist das aber immer noch. Deutsche Athleten waren in diesem Winter auf der FWT nicht am Start. Aber die Oberbayerin Lehnert vom SC Auerbach hat sich mit starken Leistungen - Sieg bei den Open Faces Juniors Kappl 2020 sowie mehreren zweiten Plätzen - als einzige Deutsche für die Junioren-Weltmeisterschaft qualifiziert, die von diesem Dienstag an in Verbier stattfinden. Organisator Nicolas Hale-Woods freut sich über 60 Talente aus 14 Ländern: "Sie sind die Zukunft!" Wettkampfleiter Cyril Neri traut Jil Lehnert einiges zu: "Sie hat das Potenzial für eine Top-Platzierung." Bei der WM vor zwei Jahren hatte Lehnert schon Bronze gewonnen.

Als einzige Deutsche für die Junioren-Weltmeisterschaften qualifiziert: die Oberbayerin Jil Lehnert. (Foto: Privat/OH)

Großen Anteil an den Erfolgen trägt ihr Vater. Der brachte seinen drei Kindern nicht nur das Skifahren bei und ließ sie Rennen fahren, sondern nahm sie nach und nach auch mit zum Fahren im freien Gelände - mit dem Ergebnis, dass zuerst Philipp, 21, dann Jil und auch Patrick, 15, bei der FWT landeten. "Das ist so ein Familien-Ding, irgendwie", sagt Jil Lehnert. Der große Bruder hörte vor dem Winter auf, der kleine Bruder startet bei der U16, und sie selbst will sich im kommenden Winter bei der Serie Freeride World Qualifier für die Profi-Tour empfehlen - allerdings schaffen das nur die ersten beiden der Gesamtwertung.

Schwer genug, vor allem nach dieser eher ausgefallenen Saison. In Österreich, Frankreich und Deutschland sind fast alle Events abgesagt worden, nur in der Schweiz fanden ein paar Wettkämpfe statt. "Das war schon zu Saisonbeginn klar", erzählt Lehnert, die in einem normalen Winter vier bis fünf Wettkämpfe bestreitet, zuletzt vor einem Jahr in Fieberbrunn, wo sie Zweite wurde. Da sie in Innsbruck Mechatronik studiert, kam sie zwar regelmäßig zum Skifahren, aber: "Erst in den Contests geht man wirklich an seine Grenzen." Nun musste sie gleich im ersten Wettkampf alles riskieren, keine Zeit, sich an ihr Limit heranzutasten. "Das Gefühl ist nicht mehr da", sagt sie. "Man kommt gar nicht auf sein Level hoch, hat keine Routine, kann sich nicht einschätzen, weiß nicht, wo man steht, wie die Anderen sich übers Jahr entwickelt haben. Und dann heißt es: 'So, jetzt fahr' da mal runter!'" Das macht so eine WM, den letzten und wichtigsten Wettkampf des Winters, nicht gerade leichter - "eine komische Situation", findet Lehnert das. Doch bereits im nächsten Satz klingt sie wieder so positiv wie beim Verbier-Missgeschick: "Ich bin schon noch motiviert. Wird schon gehen!"

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