Ski alpin:Mann gegen Mann

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Lindsey Vonn gewinnt ihre 36. Weltcup-Abfahrt - und zieht mit der legendären Österreicherin Annemarie Moser-Pröll gleich.

Von Marius Buhl, München

Annemarie Moser-Pröll sah fast aus wie eine gewöhnliche Rentnerin, als sie am Samstag einen Ausflug zum Ski-Weltcup der Damen nach Zauchensee machte. Na gut, der Helm war eher ungewöhnlich. Sie stand im Zielraum, klatschte bei den schnellsten Frauen und trug dabei die ganze Zeit einen Sturzhelm. Was ebenfalls nicht recht passte zum Bild der Rentnerin auf Skiausflug: Als Lindsey Vonn, die Speed-Königin des Frauen-Weltcups, gerade gewohnt souverän zum Abfahrtssieg gerast war, wuselten die Kameramänner der übertragenden Fernsehsender nicht nur um Vonn herum, sondern auch um die österreichische Frau mit dem Helm. Schließlich hatte sich gerade Historisches ereignet.

Denn Annemarie Moser-Pröll ist keine gewöhnliche Zuschauerin, sie ist eine Skilegende: 36 Mal hatte sie in ihrer Karriere in den 1970ern ein Abfahrtsrennen gewonnen, mehr als jede andere Ski-Sportlerin vor und nach ihr - bis zu diesem Samstag. Nun war Lindsey Vonn nach Siegen gleichgezogen. Es war ihr letzter Rekord, den die Österreicherin noch für sich hatte.

Mit Startnummer 17 war Vonn in den ersten Durchgang gegangen, und allein dass es einen ersten und einen zweiten Durchgang gab, war kurios. Für eine längere Abfahrtsstrecke fehlte schlicht der Schnee, also fuhren die Frauen zwei Mal die Kurzstrecke. Und die Amerikanerin beherrschte sie nach Belieben. Um eine volle Sekunde deklassierte sie ihre Konkurrentinnen. Entscheidend war dabei vor allem eine Stelle in der Mitte der Strecke: Aus einem Steilhang heraus hatten die Fahrerinnen dort eine ruppige Kompression zu bewältigen, eine Kuhle also, in der immens hohe Kräfte wirken. Vonn fuhr wie auf Schienen. Die Konkurrenz hingegen bremste, wackelte, stürzte. Der Norwegerin Lotte Smiseth Sejersted verschlug es die Ski, sie knallte auf die Eispiste und verdrehte sich das Knie - der Helikopter flog sie ins Krankenhaus.

Wie ein Wirbelwind: Beim Abfahrtsrennen in Zauchensee deklassiert Lindsey Vonn die Konkurrenz. (Foto: Dominic Ebenbichler/Reuters)

Viktoria Rebensburg fährt noch auf den sechsten Platz vor

Die deutsche Sieghoffnung, Viktoria Rebensburg, erwischte diese Stelle vorbildlich, ihre Probleme kamen weiter unten. Auf der holprigen Strecke trieb es sie mehrfach von der Ideallinie. Heraus kam ein Rückstand von 1,5 Sekunden auf Vonn, Platz neun. Hinter Vonn reihten sich Larisa Yurkiw aus Kanada und Tina Weirather aus Liechtenstein ein. Aber es gab ja diesen zweiten Lauf.

Zuerst kam Rebensburg. Die Kreutherin griff an und fuhr dieses Mal vor allem im unteren Teil deutlich besser - Rang eins im Ziel war der Lohn. Kurzzeitig. Denn halten sollte die Platzierung nicht lange: Zu weit waren die Konkurrentinnen bereits im ersten Durchgang enteilt. Nicole Schmidhofer, Cornelia Hütter, Kajsa Kling und Larisa Yurkiw überholten Rebensburg wieder, ehe auch Lindsey Vonn zu ihrem zweiten Lauf antrat. Und die Amerikanerin wusste um die Tücken der Kompression, gerade war dort die Österreicherin Miriam Puchner als nächste Fahrerin gestürzt. Also richtete die Amerikanerin sich kurz auf und fuhr den Abschnitt auf der sichersten Linie - den 36. Abfahrtssieg ihrer Karriere, wieder mit Laufbestzeit, holte sie dennoch. Es war ihr insgesamt 72. Erfolg im Weltcup. Vonn sprach danach von einem "perfekten Tag" und einem Start nach Maß ins Jahr 2016.

Freudenschrei: Lindsey Vonn holt ihren 36. Abfahrtserfolg und stellt damit die Bestmarke von Annemarie Moser-Pröll ein. (Foto: Joe Klamar/AFP)

Nur eine Sache hatte sie da noch zu erledigen. Im Ziel wartete bereits Annemarie Moser-Pröll, "die größte Legende im Skisport", sagte Vonn. "Das war die größte Ehre überhaupt für mich", sagte V onn und erinnerte an den Januar 2015, als sie in Cortina d'Ampezzo zur erfolgreichsten Weltcup-Starterin der Geschichte avancierte. "Sie ist so nett, ich habe so viel Respekt vor ihr", sagte die Amerikanerin. Moser-Pröll umarmte Vonn im Zielraum und gratulierte. Dann sagte sie: "Es wäre schön gewesen, wenn ich mich mit ihr direkt, also Mann gegen Mann, hätte messen können." Mann gegen Mann, Moser-Pröll sagte das so. Und Lindsey Vonn lachte. Sie hatte das Rennen auf Männerski bestritten.

© SZ vom 10.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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