Ski alpin:Kitzbühel statt Wengen

Lesezeit: 3 min

Weil sich im Schweizer Traditionsort zuletzt ein Corona-Herd aufgetan hat, fällt der alpine Weltcup dort in diesem Jahr aus - und wird bei den österreichischen Nachbarn nachgeholt.

Von Johannes Knuth, München

Unter den 100 Dingen, die jeder Freund des Alpinismus einmal in Farbe erlebt haben sollte, rangiert die Anreise zum alpinen Ski-Weltcup in Wengen ziemlich weit oben in der Hitliste. Mit dem Auto geht es nach Lauterbrunnen, dort rein in die Zahnradbahn mit ihren schmalen Abteilen, in die auch die Teams ihre gesamte Ausrüstung stopfen, Skier, Stangen, Laufräder. Dann ruckelt die Bahn den Berg hinauf, durch einen Tunnel, plötzlich erhebt sich das gewaltige Panorama mit den Schweizer Nationalheiligtümern Eiger, Mönch und Jungfrau in der Ferne. Auf der einen Seite schlängelt sich die viereinhalb Kilometer lange Abfahrtspiste durch die Natur, zur anderen liegt Wengen, 1100 Einwohner, autofrei. Selten hat sich die eigene Verzwergung so angenehm angefühlt.

Die Anreise war für den alpinen Weltcup-Tross in diesem Jahr freilich noch aus anderem Grund ereignisreich, bevor die Teams die Zahnradbahn überhaupt erreichten. Denn die Rennwoche am Lauberhorn wurde am Montag abgesagt, nach einigen turbulenten Tagen und Wochen.

Rund um den Jahreswechsel war der Tourismus in Wengen weitergeschnurrt, vor allem die Briten lieben den Ort im Berner Oberland, seit Jahrzehnten schon. Dann vermeldeten die Behörden des Kanton Bern, dass 51 Einheimische und Touristen seit Weihnachten bis zuletzt positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Ein Sprecher der Berner Gesundheitsdirektion bestätigte dem Zürcher Tages-Anzeiger, dass bei einigen Positivfällen eine mutierte Variante des Virus nachgewiesen wurde, offenbar importiert von einem Briten. Eine zweite Testrunde zuletzt habe zwar nur noch einen Fall im Ort aufgedeckt, der Kanton Bern teilte am vergangenen Sonntag mit, dass man aber überlege, Schulen, Hotels und sonstige Betriebe zu schließen. Man könne nicht mehr alle Fälle zurückverfolgen.

Athleten, Betreuer, auch der Ski-Weltverband Fis, die zeitgleich im benachbarten Adelboden ihren Technikrennen nachgingen, rechneten angesichts dieser düsteren Wetterlage mit einer Absage. Am Sonntag beschwichtigten die Berner Behörden allerdings: Die Schließungen hätten ja, grob gesagt, nichts mit der bevorstehenden Rennwoche zu tun, sondern mit den zurückliegenden Fällen. Man werde das strikte Protokoll aber nochmals verschärfen. Athleten und Betreuer sollten sich nur im Hotel und auf der Strecke aufhalten, sie sollten sich selbst verpflegen, jeden Tag getestet werden. Die Einheimischen sollten derweil bitteschön die Häuser nicht verlassen, außerdem werde man das Skigebiet für Touristen sperren. Das mutete dann doch etwas skurril an, freundlich gesagt, die Fis hatte damit aber offenbar kein Problem: "Wir sind natürlich alle happy", sagte Rennchef Markus Waldner am Sonntagabend.

Eine gewaltige Rochade: Kitzbühel integriert fast alle Rennen aus Wengen in seinen eigenen Kalender

Am Montagmorgen, als sich Sportler und Betreuer auf diversen Passstraßen befanden, wurde der Tross plötzlich wieder in den Wartestand versetzt. Die Berner Behörden waren dem Vernehmen nach über Nacht zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Weltcuprennen in dieser Großwetterlage unverantwortlich sei, möglicherweise auf Druck von höheren Stellen. Der Kanton Bern hatte am Montagmorgen 164 neue Infektionen gemeldet, allerdings für sein gesamtes Einzugsgebiet mit rund einer Million Einwohnern. Mehrere Verbände und Fahrer meldeten kurz darauf, die Weltcup-Woche sei abgesagt; der Schweizer Skiverband und die Wengener widersprachen zunächst, gar nichts sei storniert. Am Nachmittag bestätigte die Fis dann, dass die Berner Behörden dem Weltcup die Erlaubnis entzogen hatten, man hätte den Tross nicht ausreichend schützen können. Kurz darauf bestätigten die Kitzbüheler, die von Verzwergung seit jeher eher wenig halten, bereits die Ersatzpläne: Man werde, bis auf eine Abfahrt, sämtliche Rennen aus Wengen in den eigenen Rennkalender einschmelzen: Am kommenden Wochenende stehen zwei Slaloms an - darunter der Wengener -, die Woche darauf eine Ersatzabfahrt am Freitag, die Streif-Abfahrt am Samstag sowie der Super-G am Sonntag.

Für die Wengener ist es das turbulente Ende eines aufwühlenden Jahres. Im vergangenen Frühjahr war ihr Konflikt mit dem Schweizer Skiverband kurzzeitig eskaliert: Das OK hatten von Swiss Ski mehr Geld verlangt, der Verband fand, die Wengener könnten ihr Geschäftsminus leicht selbst ausgleichen, indem sie etwa einen Sponsorenbogen über den Hundschopf spannten - jenen ikonischen Sprung, bei dem die Fahrer an einem Felsen vorbeirauschen. Die traditionsbewussten Wengener weigerten sich lange, sie zogen sogar vor den Internationalen Sportgerichtshof, der Skiverband strich die Lauberhornrennen daraufhin aus dem Weltcup-Kalender. Am Ende einigten sich beide Seiten gütlich, vor ein paar Tagen wurde über dem Hundschopf erstmals ein Sponsorenbogen präsentiert. Die Premiere steigt nun erst im nächsten Jahr.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: