Ski alpin:Der Geländespieler

Lesezeit: 3 min

„Es hat einige Tage gedauert, bis ich das alles realisiert habe“: Alexander Schmid sicherte sich in Val d’Isère nicht nur den sechsten Rang, sondern auch noch die Starterlaubnis für Olympia. (Foto: Alexis Boichard/Getty Images)

Alexander Schmid, 23, galt lange als Hochbegabter, dann warfen ihn Verletzungen zurück. Seit Platz sechs im Riesenslalom von Val d'Isère gilt er als Medaillenkandidat.

Von Matthias Schmid

Die Gran Risa von Alta Badia ist wieder so ein Hang, der furchteinflößend ist. Vereist und so steil, dass sich die ungeübten Zuschauer nur mit Steigeisen am Pistenrand halten können. Im Fernsehen, erklärt der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier vor dem Riesenslalom an diesem Sonntag in Südtirol, werde das Gefälle ja gar nicht so deutlich. Alexander Schmid hat das am eigenen Leib zu spüren bekommen, als er vergangenen Samstag in Val d'Isère erstmals in den Abgrund blickte, auch eine Strecke, die so atemberaubend ist. Schmid lernt gerade im Crashkurs die Klassiker im Weltcup kennen. Ihm sei es bei der Besichtigung schon mulmig geworden, gesteht der Ski-Rennläufer vom SC Fischen, "erst recht als Fritz Dopfer erklärte, nicht fahren zu wollen." Dopfer ist ein Weltklasseläufer, hat WM-Silber im Slalom gewonnen, aber nach seiner langwierigen Verletzung hat er es auf der La face de Bellevarde vorgezogen, nur Slalom zu fahren. Sicher ist sicher.

In seiner Jugend war Schmid die Nummer zwei hinter dem Norweger Henrik Kristoffersen

Schmid, 23, stürzte sich aus dem Starthaus. "Frech und mutig", wie er selbst sagte, nachdem er bei der Besichtigung Wolfgang Maier getroffen hatte. Sie hätten viel gelacht, erzählt Schmid, Maier riet ihm, "sich nicht in die Hos'n zu scheißen". Es waren im Nachhinein die richtigen Worte, wie sich zeigte. Am Ende belegte Schmid in seinem achten Weltcuprennen nicht nur den sechsten Rang, sondern sicherte sich gleich auch noch die Starterlaubnis für die Olympischen Winterspiele im nächsten Jahr im koreanischen Pyeongchang. Es war das beste Resultat seiner Karriere, im zweiten Durchgang war er sogar drei Zehntelsekunden schneller als Marcel Hirscher, der beste Skifahrer der Gegenwart. "Es hat einige Tage gedauert, bis ich das alles realisiert habe", gibt Schmid zu. Dass er etwas Besonderes vollbracht hatte, konnte er auch an den ganzen Glückwünschen und Gratulationen erkennen, die sein Handy erreichten.

In der Jugend waren die Elogen für ihn eher normal, Schmid gehörte zu den Besten, war lange hinter dem norwegischen Ausnahmefahrer Henrik Kristoffersen sogar die Nummer zwei in der Junioren-Weltrangliste. Ein Hochbegabter, der aber früh den Albtraum von Sportlern kennen lernen musste: Verletzungen. Brüche, Prellungen und Verstauchungen, die allein schon für eine Karriere reichen würden. Er hat immer wieder von vorne beginnen müssen. Sonderlich beeindruckt haben Schmid die Rückschläge nicht, er hat die zahlreichen Arztbesuche tapfer hinter sich gebracht, "weil mir bewusst ist, dass ich einen risikoreichen Sport ausübe", wie er es ausdrückt. Aber zu sehr dürfe man die Gefahren nicht an sich heranlassen, nicht zu viel grübeln, "sonst verletzt man sich erst recht".

Über die Todesfälle von David Poisson und Max Burghart in den vergangenen Wochen haben sie in der Mannschaft natürlich gesprochen. "Sehr tragisch" findet Schmid sie. "Aber eine so unglückliche Verkettung der Umstände kann überall passieren, auch beim Autofahren." Ski-Rennläufer haben gelernt, schlimme Nachrichten von sich wegzuschieben, um - so hart es auch klingen mag - sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: auf ihren Sport. Und das gelingt Schmid in diesem Winter besonders gut. "Ich weiß, dass ich schnell Ski fahren kann", sagt er. Im Training hat er auch schon Stefan Luitz distanziert, der in den ersten beiden Riesenslalom-Rennen auf den Rängen zwei und drei landete. Im Training haben sie gleiche Bedingungen, die gleiche glatte Piste. In den Rennen sind die Hänge von Schmid zerfurcht, aufgeweicht, voller Wannen. Er musste lange mit hinteren Startnummern jenseits der 40 vorliebnehmen, weil ihm ein Wadenbeinbruch samt Riss des Syndesmosebands mehrere Monate vom Skifahren abhielt. Er hatte vor dem Unfall im Februar 2016, als er im Training einfädelte, schon angedeutet, dass er einer für höhere Aufgaben ist: Er gewann nicht nur die deutsche Meisterschaft im Riesenslalom und Slalom und schlug dabei Luitz und Dopfer, er siegte auch im zweitklassigen Eurocup.

Schmid ist ein gefühlvoller Rennläufer, er kann gut mit dem Gelände spielen und schaut besonders bei einem Konkurrenten gerne zu, der auch weniger von der Kraft kommt: Kristoffersen. "Von ihm habe ich schon einige Dinge abgeguckt", erzählt Schmid, zum Beispiel die Körperposition. Aber er versucht nicht, ihn zu imitieren. Das geht auch nicht, "weil jeder seinen eigenen Stil hat", sagt er.

Im Riesentorlauf will sich Schmid unter den besten 30 Fahrern etablieren

In diesem Winter will er sich weiter besonders dem Riesenslalom widmen, ohne aber den Slalom zu vernachlässigen. "Ich kann auch die kürzeren Schwünge fahren", sagt Schmid. Aber erst einmal will er sich im Riesentorlauf unter den besten 30 etablieren. Zum Übermut nach seinem sechsten Platz neigt er nicht, auch an die Winterspiele verschwendet er noch keine Gedanken. Er will jetzt erst einmal den Alltag bewältigen. Die Begehrlichkeiten sind gestiegen, die eigenen und die der anderen. Er ist klug genug, dass er nicht anfängt, plötzlich forsch von einem Podestplatz zu sprechen. "Ich muss auf dem Boden bleiben", sagt er.

Dass er alle Anlagen mitbringt, um in Zukunft mal auf das Stockerl klettern zu dürfen, weiß er natürlich. Dass wissen sie beim Deutschen Ski-Verband. Wolfgang Maier ist aber in der Gegenwart erst mal gespannt, wie Schmid in Alta Badia den sechsten Platz von Val d'Isère "verarbeitet hat". Er habe ein "ordentliches Ausrufezeichen gesetzt". Den Hang, die Gran Risa, kennt Alexander Schmid bisher nur aus dem Fernseher. Er hofft, dass ihm Wolfgang Maier die Angst vor dem Ungetüm wieder mit einem flotten Spruch nehmen kann.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: