Ski alpin:Ankunft auf Krücken

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Erste Hilfe in Beaver Creek: Thomas Dreßen wird nach dem schweren Sturz von der Piste geleitet. (Foto: Daniel Goetzhaber/imago/GEPA pictures)

Skirennfahrer Thomas Dreßen erleidet einen doppelten Kreuzbandriss und muss monatelang pausieren. Der Verband schraubt nach dem Unfall bei der Abfahrt in Colorado die Saisonerwartungen herunter.

Von Barbara Klimke, München

Am Sonntagmittag landete Thomas Dreßen, aus Denver kommend, am Flughafen in München, viel früher als geplant. Wenn ihm überhaupt etwas Mut machen konnte in dem Moment, als er auf Krücken durch die Ankunftshalle humpelte, dann war es der Gedanke an sein Alter. "Ich schaue jetzt schon wieder nach vorne, ich bin noch nicht so alt", sagte er in die Mikrofone und fügte an, dass er zur Rückkehr auf die Pisten fest entschlossen sei.

Wann das der Fall sein könnte, vermag niemand zu sagen nach dem schweren Sturz am Freitag in Beaver Creek in Colorado, bei dem ihm laut Diagnose das vordere und hintere Kreuzband im rechten Knie rissen und er sich eine Schulterluxation zuzog. Im Bewusstsein der Schwere der Verletzung war Dreßen jedoch klar, dass es einige Zeit dauern kann, bis er wieder einigermaßen sicher auf den Ski steht. Von sechs bis acht Monaten hätten die Ärzte im Krankenhaus in Vail gesprochen. Aber wenn er für den Heilungsprozess mit zwölf oder 18 Monaten rechnen müsse, sagte er, "nehme ich es auch in Kauf".

Thomas Dreßen ist 25, Streif-Bezwinger 2018, zweimaliger Weltcup-Sieger, Drittbester der Abfahrts-Wertung der vergangenen Saison. Fast sein ganzes Leben hat er an der Vervollkommnung seines Könnens, der Schwungtechnik, dem Stil, dem Gefühl für Geschwindigkeitsdosierung und Schnee gefeilt, in einer Disziplin, in der schon der kleinste Fehler einen Rennfahrer für Monate oder Jahre aus der Bahn werfen kann. Das ist das Dilemma in diesem Metier der Spezialisten, die sich mit 125 km/h ungeschützt auf zwei schmalen Brettern alpine Steilhänge hinunter stürzen. Abfahrtsfahrer, das gehört zum Wesen dieses Hochrisikosports, können nicht auf Nummer sicher gleiten. Vor den Folgen, die sich aus dieser Grundgefahr ergeben, sind auch die Besten nicht gefeit.

Daran, dass Thomas Dreßen aus Mittenwald nach einem rauschhaften Winter inzwischen zur Weltspitze der Speedfahrer gehört, besteht kein Zweifel: "Wir werden jetzt nicht resignieren", sagte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier nach Dreßens Sturz am Telefon in Beaver Creek: "Aber natürlich ist klar, dass man einen so außergewöhnlichen Skifahrer wie ihn nicht ersetzen kann."

Die Unfallursache bei der Abfahrt in Colorado war auch für den DSV-Sportchef nur schwer zu ergründen. Maier hatte am Freitag am Rande der Piste nicht weit von der Sturzstelle entfernt gestanden. Er sah die schnelle Zwischenzeit, er wusste, dass sich Dreßen in körperlich und technisch hervorragender Verfassung befand und beobachtete die "Eleganz, mit der er die Sprünge nahm". Es war dann wohl eine minimale Unebenheit, die ihn aus dem Gleichgewicht warf, "an einer Stelle, an der man das im Leben nicht erwarten würde", wie Maier sagte, am letzten Tor vor dem Flachstück der Strecke. Die Kante des Skis fräste sich ein. So eine Millimeterentscheidung kann bei den Geschwindigkeiten enorme Konsequenzen haben: Dreßen schoss quer über die Piste und prallte dann ungebremst in die Fangnetze. Er musste im Akia ins Tal transportiert werden.

So endet für ihn die Saison, die gerade erst vielversprechend begonnen hatte. In der Woche zuvor war der beste deutsche Skirennfahrer in Lake Louise in Kanada beachtlich in Saison gestartet als Siebter der Abfahrt und Neunter im Super-G. Beaver Creek in den Rocky Mountains, die nächste Weltcup-Station, verfügt über ein Terrain, das ihm liegt: Auf der WM-Piste "Birds of Prey" hatte er vor einem Jahr als Dritter seinen ersten großen Weltcup-Erfolg verbucht: Diesen phänomenalen Schwung nahm er mit, er trug ihn im Januar im Triumph die Streif hinunter und dann durch den ganzen Winter.

Nun wurde Dreßen ausgerechet auf der Piste der Raubvögel grausam gebremst. Und der DSV musste noch in den USA die Neuplanung der Saison vornehmen, eine Übung, in der die Alpin-Verantwortlichen mittlerweile triste Routine erworben haben. Auch im vergangenen Jahr hatten die Skirennfahrer den Ausfall zweier hochveranlagter Athleten beklagt: Felix Neureuther, der beste Slalom-Spezialist, zog sich in Copper Mountain, nur eine Autostunde von Beaver Creek entfernt, ebenfalls einen Kreuzbandriss zu und fehlte den ganzen Olympiawinter. Stefan Luitz ereilte im Dezember 2017 nach bestechender Frühform dasselbe Unglück: Er feierte am Sonntag eine phänomenale Rückkehr mit einem Sieg im Riesenslalom in Beaver Creek, den nach einer derart langen Verletzungspause kaum jemand auf Anhieb erwarten durfte. Luitz' rasante Ritt über die Piste hat die pessimistische Prognose etwas abmildern können, die Maier unmittelbar nach dem Unfall Dreßens äußerte: "Eine Saison wie die vergangene können wir nicht wiederholen", sagte er, weil seinem Abfahrer-Team von nun an der Vorfahrer, der Verlässlichste fehlte. Der DSV habe ja gerade erst allen Skeptikern bewiesen, dass er nicht nur über Slalomkünstler verfüge, sondern über rasante Abfahrer, die das Tempo der Weltelite mitbestimmen, sagte er: "Und nun fehlt uns der beste Mann." Thomas Dreßen wird nun in ärztliche Behandlung begeben, danach beginnt die Reha. Die Ski-WM in Are in Schweden findet im Februar ohne ihn statt. Aber tröstlich ist vielleicht dann doch das Alter: Bei der übernächsten 2019 in Cortina d'Ampezzo wird er erst 27 Jahre alt sein.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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