Die Teufelswiese verzeiht nur wenig Fehler. Stürze und blaue Flecken sind die unangenehmen Folgen. Dabei ist sie nur 300 Meter hoch und rund 1000 Meter lang und liegt im Bergischen Land. "Sie ist die Streif von NRW", sagt Andreas Sander, er lächelt. Für den 26 Jahre alten Ski-Rennläufer aus Ennepetal war die Teufelswiese im benachbarten Wipperfürth in der Jugend lange sein Hausberg, hier stand er zum ersten Mal auf Skiern. Aber der kleine Bub langweilte sich schnell, sodass sich die Familie Sander oft auf den weiten Weg nach Österreich aufmachte, um die Skikünste ihres Sohnes zu verfeinern.
Inzwischen ist der Flachländer Andreas Sander der beste deutsche Abfahrer, der einzige nach der verletzungsbedingten Absenz von Josef Ferstl, der regelmäßig unter die besten 20 der Welt fährt. Zuletzt auf der Olympiastrecke von 2018 im südkoreanischen Jeongseon beendete er das Rennen im Super G auf dem zehnten Platz. "Wir haben gesehen, dass wir uns im Spitzenbereich bewegen können", stellte Wolfgang Maier zufrieden fest, nachdem auch noch Klaus Brandner überraschend auf Rang 14 gerast war.
Es ist noch nicht lange her, dass der Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV) über seine Speedgruppe despektierlich von einem "Trümmerhaufen" sprach, weil sie nur hinterherfuhren und auch nicht für einen Profisportler erforderlichen Arbeitsethos zeigten. Doch inzwischen tasten sich seine Rennläufer an die Weltklasseläufer heran. Vor allem Andreas Sander zeigt beständige Resultate, die ihn in der vergangenen Saison noch die wenigsten zugetraut hätten.
Mit 18 gewinnt er die Junioren-WM im Super G
"Sie haben ihm lange Flausen ins Ohr gesetzt", sagt der deutsche Cheftrainer Mathias Berthold. Sander war mit 15 Jahren zu Hause ausgezogen, um sich am Skigymnasium in Berchtesgaden zum professionellen Skirennläufer ausbilden zu lassen. Das klappte ziemlich gut. Mit 18 gewann er die Junioren-Weltmeisterschaft im Super G. Doch das Versprechen für eine ebenso fulminante Karriere bei den Erwachsenen konnte Sander nicht einlösen. Er musste sich immer wieder vorwerfen lassen, dass er sich nicht voll und ganz dem Sport widmen, das letzte Risiko scheuen würde. Hinzu kamen Verletzungen wie ein Kreuzbandriss vor drei Jahren.
Er war schon kurz davor, alles hinzuschmeißen, den Profisport für immer zu verlassen. "Ich habe ein paar Jahre gebraucht, bis ich wusste, worauf es ankommt", gibt er zu. Weil im Abfahrtsrennsport Erfahrung und Routine entscheidende Bausteine sind, kommt es häufiger vor, dass sich jüngere Läufer erst einmal an die schwierigen Pisten, an die körperlichen und mentalen Belastungen herantasten müssen. Bei Sander dauerte es 65 Weltcup-Rennen, ehe er sich das erste Mal - beim Super-G von Gröden im Dezember - unter den besten 15 einreihte.
Es kann allerdings gut sein, dass es nicht allein an ihm lag, dass er so lange gebraucht hat, um erkennbar voranzukommen. Eine entscheidende Veränderung zum Positiven könnte die Verpflichtung von Berthold als neuem Cheftrainer gewesen sein, wie Sander selbst anmerkt. Der Österreicher, der einst auch schon die deutschen Frauen erfolgreich betreute, setzte andere Schwerpunkte im Training. "Wir arbeiten etwas anders, beim Konditionstraining und im Schnee", sagt Sander, "das ist alles noch etwas professioneller." Positiv wirkt sich zudem aus, dass auch die deutschen Abfahrer nun verstärkt Riesenslalom im Training fahren müssen, es ist die Grundlagendisziplin im Skisport, die die DSV-Trainer lange Zeit vernachlässigten.
Die neuen Trainingsinhalte haben Sander verändert, sie haben ihn selbstbewusster gemacht, mutiger. In Garmisch-Partenkirchen beendete er die Abfahrt auf dem achten Platz, es ist bisher seine beste Platzierung im Weltcup. An diesem Wochenende im französischen Chamonix erwartet er allerdings nicht so viel von sich am Samstag in der Abfahrt. Er lag die Woche über erkältet im Bett und hat deshalb kaum trainieren können.
Andreas Sander kann inzwischen aber damit umgehen, im Blickfeld zu stehen. In Wengen war er noch ohne Teamkollegen unterwegs, er hatte allein vier Trainer um sich, die sich ausschließlich um seine Belange kümmerten. "Das ist nicht einfach", sagt Mathias Berthold, mit der Bürde, mit diesem Trubel umzugehen. "Aber er hat seine Sache sehr gut gemacht." Auf der Piste und in seiner neuen Rolle als Führungsfigur. Das härtere Training ist auch noch für etwas anderes gut, sagt Andreas Sander. Für ihn selbst und seine Abendgestaltung. Statt nach einer anstrengenden Trainingseinheit sich noch mit den Kumpels zu vergnügen, "gehe ich jetzt früher ins Bett". Ob er dann noch von der Teufelswiese träumt?