Silbermedaille im Skispringen:Freund hadert nur vier Zehntelsekunden

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Severin Freund entwickelt sich beständig weiter, nun gewinnt er Silber bei der Ski-WM. (Foto: REUTERS)

Ein falscher Windhauch könnte entscheidend gewesen sein: Severin Freund springt bei der nordischen Ski-WM haarscharf an der Goldmedaille vorbei. Dennoch ist die Freude groß - vor allem beim Bundestrainer.

Von Volker Kreisl, Falun

Das Ergebnis: 252,7 zu 252,3. Vier Zehntel Rückstand also, nullkommavier Punkte, eine Nichtigkeit irgendwo in den Abläufen der zwei Sprünge von Severin Freund am Samstagabend beim ersten WM-Finale, dem Springen von der kleinen Schanze. Irgendein Wackler war es, eine minimale Verspätung, ein falscher Windhauch, der ihn von Gold trennte. Severin Freund war ehrlich: "Ganz, ganz kurz" habe er sich schon geärgert.

Ganz, ganz kurz, das heißt: Ungefähr vier Zehntelsekunden lang dürfte er gehadert haben, dann brach doch die Freude aus ihm heraus: Silber im Einzel von der Kleinschanze, das war die Einzelmedaille in einem der großen Feste seines Sports, die ihm noch gefehlt hatte - Team-Gold bei Olympia und den Skiflug-WM-Titel hatte er ja schon. Nun war er eben knapp hinter dem Norweger Rune Velta gelandet und vor dem Österreicher Stefan Kraft, der in dieser Saison die Vierschanzentournee gewonnen hatte.

"Das habe ich mir immer mal gewünscht", sagt Trainer Schuster

Der Rest der Mannschaft von Bundestrainer Werner Schuster ordnete sich im oberen Bereich der Ergebnisliste ein: Richard Freitag wurde Siebter, Marinus Kraus Zehnter und Andreas Wellinger, der erst seit drei Wochen nach seiner Rückkehr aus einer langen Verletzungspause wieder wettkampfmäßig springt, kam auf Platz elf. Das war ein ordentliches Teamergebnis, das in Schuster für die weiteren WM-Aufgaben Optimismus weckte.

"So eine WM mit einer Einzelmedaille zu beginnen, das habe ich mir immer mal als deutscher Trainer gewünscht", sagte Schuster, und es war bei Betrachtung der vergangenen Wochen einleuchtend, dass es Severin Freund sein würde, der den Auftakt-Schwung bringen würde. "Er ist der universellste Springer momentan", sagte Schuster. Der Mann aus Niederbayern, der in München wohnt und in Oberstdorf trainiert, hat zurzeit einen Lauf, so sicher und beständig wie kein anderer im Weltcup.

In sieben der acht zurückliegenden Weltcups war er unter den besten drei gelandet. Es ist, als steigere er sich seit der für ihn doch missratenen Tournee im Januar mit jeder Station. Ein vorläufiger Höhepunkt war schon das vergangene Wochenende, als er auf der größten Schanze der Welt mit 245 Metern Weite seinen deutschen Skiflugrekord erhöhte, ehe er nun auf die kleinste Schanze dieses Winterprogramms stieg, um endlich dem nächsten Wunsch nachzuspringen, einer WM-Einzelmedaille.

Es besteht ein gehöriger Unterschied zwischen Ski-Fliegen und Ski-Springen. Statt mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde wie in Vikersund gehen die Springer nur noch mit Tempo 80 über den Bakken und landen statt bei mehr als 200 Metern schon nach halber Weite. Doch Freund brauchte für die Umstellung nur einen Sprung am Donnerstag, dann hatte er auch den kleinen Bogen raus.

Und Schuster bereitet es offenbar große Freude zurzeit mit seiner Skisprungmannschaft zusammen zu arbeiten, weshalb er als Trainer sagte, er habe nicht einen Moment lang wegen dieser knappen Entscheidung irgendwelche Mängel in den Sprüngen gesucht und diesen nachgetrauert. "Da gibt es nichts zu suchen", sagte Schuster. "Rune Velta hat einen perfekten Tag erwischt, bei dem hat alles gepasst", sagte er, "einen Super-Probedurchgang hatte er und auch in beiden Finaldurchgängen den besten Sprung."

Skisprung-Fotograf David Maurer
:Die Sekunden vor dem Absprung

Anspannung, Konzentration und ein bisschen Angst: David Maurer fotografiert Skispringer, ehe sie sich die Schanze hinunterstürzen. In seinen Bildern kommt er Athleten wie Severin Freund oder Noriaki Kasai ungewöhnlich nahe.

Freund entwickelt sich beständig weiter

Velta selbst, der nicht zu den konstantesten Fliegern des Winters zählt, war von sich selber überrascht: "Als ich heute morgen aufstand, hätte ich nicht gedacht, dass ich hier gewinne". Nun hat er Gold.

Silbergewinner Freund hat dagegen die Gewissheit, zu den Sportlern mit nachhaltiger Entwicklung zu zählen. Er sammelt seine Erfolge einzeln und in eher langsamem Tempo, aber er sammelt offenbar jedesmal Erfahrungen, die er behält und für die nächsten Aufgaben gebrauchen kann. "Der Severin geht in seiner Karriere Schritt für Schritt", sagte Schuster, "und deshalb passt diese Silbermedaille irgendwie zu ihm."

Womöglich kann Freund die Erfahrungen von dieser Schanze auch schon am nächsten Tag, beim Mixed-Springen am Sonntagabend, umsetzen, das er zusammen mit Carina Vogt, Katharina Althaus und Richard Freitag bestreiten wird. Japan und Österreich werden die härtesten Gegner sein. Oder ab Donnerstag, wenn es auf die Großschanze mit einer durchschnittlichen Höchstweite von 134 Metern geht, und sich die Springer abermals auf neue Höhen, Weiten und Geschwindigkeiten umstellen müssen.

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