Sicherheitsdebatte:Das will die Formel 1 aus dem Bianchi-Unfall lernen

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Team-Garage von Bianchi: In Sotschi ohne den Franzosen (Foto: Getty Images)

Strengere Tempo-Vorgaben an Gefahrenstellen und Pilotenkanzeln wie bei Kampfjets: Nach Jules Bianchis Unfall streitet die Formel 1 über Konsequenzen.

Von René Hofmann, Sotschi/München

Die 17 ist die Startnummer von Jules Bianchi. An diesem Wochenende, beim ersten Großen Preis von Russland, wollen alle Formel-1-Fahrer mit ihr an den Start gehen. Aus Solidarität mit ihrem beim Japan-Grand-Prix schwer verunglückten Kollegen, der mit einer Kopfblessur, deren Ausmaß immer noch nicht genau abzusehen ist, weiter auf der Intensivstation des Mie General Medical Centers liegt. Ein Aufkleber mit der Startnummer und die Aufschrift "Alle sind bei Jules": Das werden die sichtbaren Zeichen sein, die an das Unglück am vergangenen Sonntag in Suzuka erinnern. Es sind nur kleine Zeichen, die nicht sofort erkennen lassen, wie sehr der Unfall die Szene wirklich bewegt.

Auch in den vergangenen Jahren sind regelmäßig Autos von den Strecken abgekommen. Es gab Unfälle, auch spektakuläre. Bianchis Unglück aber wühlt auf, weil die Umstände so kurios erscheinen. Der 25 Jahre alte Franzose war in der Dunlop-Kurve am Ende der anspruchsvollen Esses-Passage von der regennassen Strecke gerutscht, obwohl an der Stelle Streckenposten mit gelben Flaggen in beiden Händen zur Vorsicht mahnten, weil der ebenfalls havarierte Sauber des Deutschen Adrian Sutil mit einem Radlader geborgen wurde. Offizielle Aufnahmen der Szene gibt es nicht. Inzwischen aber ist ein Amateur- video aufgetaucht, auf dem zu erkennen ist, wie Bianchis Auto mit hoher Geschwindigkeit und großer Wucht unter den hinteren Überhang des Berge-Gerätes schießt.

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Alle Fahrer, die sich zu dem Vorfall in Suzuka zu Wort meldeten, zeigten sich schockiert. An diesem Donnerstag versammelte sich der Rennzirkus am neuen Kurs, der sich in Sotschi auf dem Olympiapark direkt am Schwarzen Meer befindet. Aus ihren Aussagen ist zu lesen, dass der Schock immer noch anhält. "Nach schweren Unfällen gibt es einfach keine Worte, die beschreiben könnten, wie man sich fühlt", sagt Ferrari-Fahrer Fernando Alonso. Für Williams-Lenker Felipe Massa war der Japan-Grand-Prix "das schlimmste Rennen meiner Karriere".

Fünf Unfälle, bei denen die Köpfe der Fahrer in Gefahr gerieten, in fünf Jahren - das ist schockierend

Der Unfall sei "ein großer Schock für alle im Fahrerlager" gewesen , sagt Adrian Sutil, der den Einschlag unmittelbar miterlebte: Jeder sei in Gedanken bei der Familie und Jules Bianchi. Eine Absage der Veranstaltung stand aber nie zur Debatte. "Es gibt immer eine Art Risiko. Das ist einer der Gründe, warum wir uns so lebendig fühlen", beschreibt Sebastian Vettel die Sicht der Rennfahrer: "Wenn man uns fragt - wir würden immer bevorzugen, wieder Rennen zu fahren." Bianchis Landsmann Romain Grosjean, der für Lotus aktiv ist, unterstellte: "Wenn Jules jetzt irgendetwas sagen könnte, dann würde er sagen: ,Hey Jungs, come on! Da gibt es einen Grand Prix. Also los!'"

Ein gedankenloses "Weiter so!" aber soll es nicht geben. Die Formel-1-Fahrer- gewerkschaft GPDA kündigte an, auf einer Sitzung an diesem Freitag über mögliche Maßnahmen sprechen zu wollen, die nun ergriffen werden sollten. Doch auch vor der Zusammenkunft schon mehrten sich Stimmen, die Konsequenzen forderten. Der Mexikaner Sergio Perez, 24, meint: "Wenn ein Kran im Einsatz ist, muss künftig immer das Safety Car kommen - ganz egal, welche Bedingungen herrschen." Auch von einer trockenen Fahrbahn könne schließlich ein Rennwagen abkommen, beispielsweise wenn die Bremsen versagen.

Doppelt geschwenkte gelbe Flaggen bedeuten: Extreme Vorsicht, jederzeit bereit sein zum Anhalten! Force-India-Fahrer Perez aber gibt unumwunden zu, wie er und seine Kollegen sich in der Praxis meist verhalten: "Du weißt, dass du das Gaspedal kurz lupfen musst." Das können die Aufseher des Automobilweltverbandes FIA anhand der Telemetrieaufdaten auch überprüfen. "Aber wenn wir ehrlich sind", so Perez, "will man so wenig wie möglich lupfen und so schnell wie möglich wieder schnell fahren." Eine unangemessene Geschwindigkeit könnte der Grund dafür gewesen sein, dass Bianchi die Linkskurve nicht wie gewünscht nahm. Telemetriedaten seines Autos wurden noch nicht veröffentlicht.

Das Safety Car bremst das ganze Feld auf das gleiche Tempo ein. Weil es aber stets dauert, bis sich hinter ihm alle Autos wie zu einem Gänsemarsch versammelt haben, ist sein Einsatz bei Berge-Aktionen, die nicht lange dauern, kaum sinnvoll. Eine Möglichkeit aber wäre es, die Geschwindigkeit aller Autos an kritischen Stellen über die Speedlimiter zu kontrollieren, die in den Wagen ohnehin eingebaut sind, um die Tempovorgaben in der Boxengasse einzuhalten. Der einstige Formel-1-Konstrukteur Gary Anderson hat das vorgeschlagen.

Ein anderes technisches Mittel, das die Sicherheit verbessern könnte, wären Kanzeln für die Piloten, denen von Kampfjets nicht unähnlich. In den vergangenen fünf Jahren gab es fünf Unfälle, bei denen der Kopf eines Fahrers getroffen oder beinahe getroffen wurde: 2009 prallte Felipe Massa in Ungarn eine Dämpferfeder gegen den Helm, 2010 flog das Auto von Vitantonio Liuzzi in Abu Dhabi nur knapp am Cockpit von Michael Schumachers Mercedes vorbei, 2012 ereignete sich in Spa ein ähnlicher Unfall zwischen Fernando Alonso und Romain Grosjean; im gleichen Jahr bohrte sich bei Tests das Auto der Spanierin Maria de Villota, ein Marussia, unter die Ladeklappe eines LKW. Und nun Bianchi.

Die FIA hat schon einmal geprüft, wie solche Kapseln aussehen könnten. Aus ästhetischen Gründen wurde die Idee dann auf Drängen einiger Teams nicht weiterverfolgt. Nun fordern nicht wenige ein Umdenken. "Man sollte es wenigstens prüfen und testen", findet Fernando Alonso, 33. Felipe Massa, 33, nennt die Idee "interessant". Auch Jenson Button, 34, sieht "Chancen".

© SZ vom 10.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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